Der Chef des deutschen Inlands-Geheimdienst Thomas Haldenwang (CDU) hat jüngst berichtet, dass russische Kräfte im Versuch ertappt wurden, ein deutsches Flugzeug zum Absturz zu bringen. Dies ist eine bedeutende Nachricht. Denn Deutschland unterstützt 800 Kilometer vor seiner Grenze massiv einen Partner, die Ukraine, in einem Angriffskrieg, der von eben diesem Russland ausgegangen ist. Trägt der Aggressor diesen Krieg nach Deutschland, müssten hierzulande alle Alarmglocken läuten.
Doch so recht passiert das nicht. Die Medien haben zwar über die Bedrohung der deutschen Luftfahrt berichtet. Doch der breite Aufschrei blieb aus. Wer sich an den Theken von Bäckereien unterhält, in Betrieben, auf dem Sportplatz oder abends an der Theke, der merkt: Die russische Bedrohung ist nicht wirklich das Thema, das die Gespräche dominiert. Das Engagement von Thomas Tuchel als Trainer der englischen Fußball-Nationalmannschaft schlägt zum Beispiel weit höhere Wellen. Woran liegt das?
Der Bundestag hat sich jetzt mit der Nationalen Sicherheitsstrategie beschäftigt, die das Parlament vor einem Jahr beschlossen hat. Selbst die AfD räumt ein, dass eine solche Strategie grundsätzlich nötig sei. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mahnt, dass Deutschland angesichts der „hybriden Kriegsbedrohung“ durch Russland einen „sicherheitspolitischen Kompass“ brauche. Eine Bedrohung, die eben nicht nur eine militärische sei, sondern die ganze Gesellschaft betreffe.
Die Redner der unterschiedlichen Fraktionen und Gruppen führen viele Punkte auf, die angesichts der hybriden Kriegsbedrohung nötig seien: eine bessere Gesundheitsversorung. Etwa ausreichend Plätze in Krankenhäusern, wenn der Krieg 800 Kilometer vor der eigenen Grenze eskaliere. Besser vernetzte Sicherheitsbehörden. Einen guten Schutz der Infrastruktur – vor allem der EDV. Alles richtig. Alles notwendig angesichts der Bedrohungslage. Übrigens auch notwendig ohne Bedrohungslage.
Doch genau da beginnen die Gründe, aus denen heraus die Russland-Drohungen von Politik und Geheimdiensten so wenig bewirken. Jede Bevölkerung wünscht sich, dass ihre Regierungen eine ausreichende Gesundheitsversorung vorhält, die Infrastruktur schützt und Sicherheitsbehörden effektiv arbeiten. Doch genau das liefert die Ampel nicht und hat zuvor auch schon die große Koalition unter Angela Merkel (CDU) nicht geliefert: Aktuell ist Deutschland ein digitales Neandertal; sterben Krankenhäuser, obwohl die Beiträge für die Krankenkassen so stark steigen wie noch nie und kann ein Schwerverbrecher über 20 Jahre mit 27 unterschiedlichen Identitäten in Deutschland agieren, weil die Sicherheitsbehörden ihren Job nicht machen. Die Politik ruft dem Volk zu, wir müssen das alles wegen Putin verändern. Das Volk antwortet: Macht halt, ganz egal, ob wegen Putin oder warum auch immer, nur macht endlich.
Die Appelle gehen von der Politik ans Volk, eigentlich müsste es umgekehrt sein. Das ist nur ein Grund, warum die Warnungen vor Russland nicht verfangen. Ein anderer ist, dass sich Versäumnisse nun rechnen, die in besseren Zeiten moralisch problematisch waren – und sich jetzt auch als praktisch fatal erweisen. Seit zehn Jahren hat sich ein Großteil der Medien – entgegen allen Warnungen – zur Partei gegen die AfD gemacht. Und auch der besagte Chef des Inland-Geheimdienstes hat öffentlich zugegeben, dass er es als seine Aufgabe sieht, die AfD politisch kleinzuhalten und sich nur beschwert, dass er dabei alleingelassen werde.
Nun warnt dieser Mann vor russischen Angriffen auf deutsche Flugzeuge. Aber in welcher Funktion tut er das? Als Chef einer neutralen Behörde? Dann müsste Haldenwangs Berichte ernstgenommen werden und eine erhöhte Verteidigunsbereitschaft im Volk auslösen. Vielleicht tut er es aber auch in seiner Funktion als Bekämpfer der AfD? Dann ordnen es die Bürger als politische Meinungsäußerung ein – und der stehen sie aus gutem Grund deutlich skeptischer gegenüber. Der Deutschlandfunk tut sein Übriges dazu, die zweite Sicht auf die Dinge zu stärken. Eine seiner Reporterinnen erklärt am gleichen Tag, dass der geplante Anschlag nun endlich deutlich machen müsse, wie sehr eine russlandfreundliche Kraft wie die AfD abzulehnen sei. Wie werden Medien und Geheimdienst wahrgenommen? Als neutrale Institutionen, deren Expertise zählt oder als Partei im Kampf gegen eine andere Partei? Dass sich mehr für die anstehende Trainerzeit eines Thomas Tuchels interessieren, gibt einen Hinweis auf die richtige Antwort.
Die Debatte zeigt noch einen dritten Grund auf, aus dem heraus die Warnungen vor Putin nicht verfangen. Er wird als Standardausrede genommen für alles, was Politiker eh schon gefordert oder bekämpft haben. Der russische Präsident ist das „Arschloch im Wandschrank“, wie der Kabarettist Volker Pispers einst die Rolle Saddam Husseins in der amerikanischen Außen- und Innenpolitik beschrieben hat. Er wird verprügelt, wann immer es gerade passt. So skandalisiert Baerbock in der Bundestags-Debatte die Kritik an der Einwanderungspolitik der Ampel, indem sie die Putin-Karte zieht: Der russische Präsident versuche in Deutschland Demokratie und Gesellschaft voneinander zu trennen, indem er deren Migrationsproblem schaffe und Einwanderer liefere.
Daran ist alles falsch. Angefangen damit, dass Baerbock sprachlich die Regierung mit der Demokratie gleichsetzt und das Volk als „Gesellschaft“ in dieser Form der Demokratie außen vor lässt. Davon abgesehen ist ihre Schilderung der deutschen Migrationskrise grundverkehrt. Diese hat damit angefangen, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2015 den Schutz der Grenze und internationale Abkommen über Bord geworfen hat, um unschöne Bilder zu vermeiden. Diese Krise hat sich zugespitzt, weil jeder der Besserungsvorschläge gemacht hat, als Extremist am rechten Rand skandalisiert wurde. Und diese Krise eskaliert, weil Baerbocks Partei jede noch so sinnvolle Einschränkung der unbegrenzten Einwanderung bekämpft.
„Putin bestimmt nicht, wer nach Europa reinkommt“, sagt Baerbock und meint damit, die Einwanderungspolitik müsse genauso und möglichst unkommentiert weitergehen, weil das dem Kampf gegen Russland diene. Die Außenministerin blendet überfüllte Aufnahmelager aus, ebenso wie überforderte Schulen und Kitas, einen kollabierenden Wohnungsmarkt und nicht mehr finanzierbare Sozialsysteme. Am Ende wird auch daran Putin schuld sein. Denn das Prinzip des „Arschloch im Wandschranks“ ist nicht, dass er die Verantwortung trägt, sondern andere sie ihm zuschieben.
Joachim Wundrak (AfD) legt in der Debatte einen Finger in die Wunde. Die deutsche Sicherheitsstrategie sei mehr Selbstbeweihräucherung der Ampel als wirklich ein Konzept mit tragfähigen Vorschlägen. Es mangele der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik an Realismus. Auch ordne sie sich zu sehr den Interessen der Verbündeten unter, statt die eigenen Interessen zu bedienen. Sieht man sich das Trauerspiel um die offiziell nicht aufgeklärte Sabotage an der Ostsee-Pipeline Nordstream an, ist dieser Punkt nicht ganz von der Hand zu weisen.
Ist die Bedrohung durch Russland real? Vieles spricht dafür: Putins Angriffskrieg, seinen diktatorischen Führungsstil und seine Aushebelung des Rechtsstaates können auch die nur schwer ausblenden, die den Kräften misstrauen, die in Deutschland vor ihm warnen. Umso schlimmer, wenn in der Situation die Regierung mit ihren Appellen die Bürger nicht dazu bringen kann, die Bedrohung ernst zu nehmen, sondern durch ihre Schwächen eher noch dem Diktatur sein Handeln erleichtert. Wollen SPD, Grüne und FDP das ändern, müssen sie sich zuallerst ehrlich machen – und dann ehrlich bleiben. Vor allem gegenüber dem Bürger, der im Übrigen genauso Bestandteil der Demokratie ist wie das politische Personal der Demokratie.