Tichys Einblick
Organspende

Organentnahme nach Herz-Kreislauf-Stillstand? Ein beunruhigender Vorstoß der FDP

In Deutschland herrscht ein Mangel an Spenderorganen. Aber der Mensch ist nun einmal kein Materiallager. Den Tod einfach so zu definieren, dass man leichter an Spender kommt, ist ethisch nicht vertretbar und ein weiterer Schritt in Richtung Dystopie.

picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Der Mensch als Material, als Produkt – eine dystopische Vorstellung, die so surreal gar nicht mehr ist. Ob Embryonenforschung oder In-Vitro-Fertilisation, die Nutzung des Menschen nach opportunistischen Gesichtspunkten ist gerade am Lebensanfang bereits erschreckend weit fortgeschritten. Doch auch im Angesicht des Todes scheint die Achtung vor dem Leben des Menschen immer weiter abzunehmen, werden ethische Schranken zunehmend ignoriert. Anders als haarsträubend kann man denn auch den jüngsten Vorstoß der FDP nicht bezeichnen: In einem Positionspapier wird nahegelegt, in Zukunft nicht mehr nur den Hirntod, sondern bereits den Herztod als Indikator gelten zu lassen, der den „Tod“ einer Person definieren und damit Organentnahme ermöglichen soll.

Ersatzteillager Mensch
In welchem Zustand Organe entnommen werden dürfen (sollen)
Der Vorschlag, über den die FDP-Fraktion eigentlich bereits hatte abstimmen lassen wollen, legt eine Mentalität offen, die die Würde des Menschen den Parametern Machbarkeit und Nützlichkeit unterordnet: Wir brauchen mehr Organspender – also müssen wir die Kriterien so niedrig gestalten, dass wir leichter an mehr Spender kommen. Wenn das mal nicht nach hinten losgeht: Zum einen wird in Deutschland ohnehin zu wenig darüber diskutiert, wie würdevolles Sterben aussieht, und dass der Mensch nicht an „Wert“ verliert, nur weil der Sterbeprozess eingesetzt hat; ja, dass auch dem Verstorbenen noch ein respektvoller Umgang zusteht.

Die Folge dieser Verdrängung von Sterben und Tod ist allerdings, dass sich eben auch wenige Menschen mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. Dies zu befördern, sollte das erste Ziel der Politik sein, um mehr Menschen überhaupt sprach- und entscheidungsfähig zu machen. Nur: Dies würde ja keinesfalls sicherstellen, dass sich diese dann auch vermehrt im Sinne größerer Spendenbereitschaft entscheiden. Am Ende einer solchen breiten Diskussion könnte ebensogut die Entscheidung für einen möglichst ungestörten Sterbeprozess stehen.

Das Vertrauen in Gesetzgebung und Gesundheitssystem wird nicht gestärkt, wenn man nun die Hürden, einen Menschen als tot betrachten zu dürfen, derart senken möchte, dass ein relativ häufig auftretendes Phänomen wie der Herz-Kreislauf-Stillstand bereits ausreichen könnte. Dies soll zwar der Spender selbst entscheiden und als zusätzliche Option in seinen Organspendeausweis eintragen lassen können. Dennoch lässt sich der Eindruck, dass man hier einfach nur schnell an Organe kommen möchte, kaum vermeiden. Und dies führt wiederum zum Verdacht, dass im Extremfall die Versorgung des Gesundheitssystems mit frischen Organen priorisiert werden könnte gegenüber dem Versuch, das Leben des Spenders zu retten. Eine Horrorvorstellung, die die Bereitschaft zur Organspende nicht erhöhen dürfte.

Allerdings legt das Vorhaben den Finger in eine offene Wunde: Bereits die Hirntod-Definition ist ein Behelf, der hart an der Grenze des ethisch Vertretbaren segelt. Während der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann, gegenüber der WELT argumentiert, dass es „keinen Goldstandard“ in dieser Frage gäbe, dass der Tod also gleichsam Definitionssache sei, wird dies beim Normalbürger intuitiv wohl eher andersherum bewertet: Definitionssache ist anscheinend, „tot genug zu sein“, um als Organquelle dienen zu können, ohne dass sich die beteiligten Mediziner der Tötung strafbar machen. Eine unangenehme Tatsache, der sich die Gesellschaft allerdings stellen muss – sonst werden Vorstöße wie jener der FDP zunehmen, und Hemmschwellen, das menschliche Leben zu instrumentalisieren, in kürzester Zeit abgebaut.

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