Tichys Einblick
Angeschlagene Kamala Harris:

Trump auf der Zielgeraden: „Ave Maria“ statt Angriff

Die US-Präsidentschaftskampagne von Kamala Harris gerät ins Taumeln. Nach einer Reihe von kleineren Skandalen und den Plagiatsvorwürfen liegt sie in Umfragen mittlerweile wieder deutlich hinter Donald Trump. Dieser setzt bei Wahlkampfauftritten nun sogar auf die Kraft der Musik.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alex Brandon

Knapp drei Wochen vor den US-Präsidentschaftswahlen herrscht im Lager der Dem-Kandidatin Kamala Harris Katerstimmung. Längst verflogen scheint der Hype der Harris-Kampagne des Sommers, die mit wenig Inhalten, aber dafür nachdrücklicher Betonung ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe, Harris in den Umfragen kurzfristig sogar vor ihren Rivalen Donald Trump spülte. Harris war eine Kandidatin, die wohl nicht zufällig spät ins Rennen geschickt wurde, da Wahlkampfmanager wohl um ihren kurzen Atem wussten, sodass es nicht überrascht, dass ihr im Endspurt des Wahlkampfs nun die Puste auszugehen scheint.

Die Probleme sind dabei durch die Bank selbst gemacht. War ihr wohlwollendes CNN-Interview gemeinsam mit ihrem Vize Tim Walz noch ein Versuch, die Risse in der inhaltlichen und rhetorischen Fassade von Harris mit guter Planung zu verdecken, traten diese in den letzten Wochen immer deutlicher zum Vorschein. Ob aus Übermut nach dem revisionistisch zum Erfolg stilisierten Präsidentschaftsduell mit Trump, oder aus purer Notwendigkeit der Öffentlichkeitsarbeit, stellte sich Harris in den letzten Wochen häufiger den Reporterfragen und kam dabei immer wieder ins Straucheln.

Der Harris eigentlich wohlgesonnene Fernsehsender CBS lud sie in die Sendung „60 Minutes“ ein, doch als Moderator Bill Whitaker es nicht – wie die Kollegen von CNN – bei wohlwollenden Fragen zur Freizeitgestaltung der Vizepräsidentin beließ, sondern stattdessen bei unangenehmen Fragen zur Migrationspolitik nachhakte, verhedderte sich Harris wieder einmal in einen ausweichenden Wortsalat, für den sie mittlerweile selbst in anerkannten Medien berüchtigt ist. Wo Harris sich selbst nicht helfen konnte, eilte ihr CBS aber in der Postproduktion zur Hilfe und kürzte nicht nur eine Antwort wohlwollend, sondern erzeugte im Videoschnitt sogar eine vollkommen andere Antwort, als die, die Harris ursprünglich gegeben hatte.

Selbst Biden torpediert Harris-Kampagne

Doch immer häufiger dringt diese Art der Bevorzugung von Harris an die Öffentlichkeit. Für das Wahlkampfteam von Trump natürlich ein gefundenes Fressen, Trump selbst forderte, dass Harris sich einem Test ihrer kognitiven Fähigkeiten unterziehen sollte, da sie den Eindruck erwecke, dass „etwas nicht mit ihr stimmt“. Der Fernsehsender CBS zog es jedoch vor, die zahlreichen Anfragen zu den Schnitten nicht weiter zu kommentieren. Manchmal verursacht Schweigen den geringsten Schaden, eine Einsicht, die sich wohl viele Helfer im Wahlkampfteam von Harris für ihre Kandidatin wünschen würden.

Das missglückte Interview war aber nur der Anfang einer schweren Woche für Harris. Nachdem Trump ihr bereits in den von Hurricanes betroffenen Gebieten zuvorgekommen war, legte sich Harris auch noch öffentlich mit dem Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, an, da dieser angeblich nicht auf ihre Telefonanrufe reagiert habe. Dabei offenbarte sich aber ein anderes Problem, denn in der momentan herrschenden Befehlskette lag es nicht im Aufgabenbereich von Harris, sich beim Gouverneur zu melden. Gleichzeitig berichtete der noch amtierende Präsident Joe Biden allerdings von einem guten Austausch mit dem Gouverneur von Florida und leistete somit Harris einen Bärendienst im Wahlkampf.

Und das womöglich nicht unbeabsichtigt, denn in Washington pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass Joe Biden und sein Team alles andere als erquickt sind über die Art und Weise, mit der man den amtierenden Präsidenten vor wenigen Monaten aus dem Präsidentschaftsrennen entfernt hatte. Offiziell unterstützt Biden natürlich seine Vizepräsidentin, doch einige seiner Taten und Aussagen erscheinen kontraproduktiv für die Harris-Kampagne, da Biden nicht nur andere Schwerpunkte in seiner Öffentlichkeitsarbeit setzt, sondern er darüber hinaus sogar Reden zeitgleich mit Wahlkampfveranstaltungen von Harris plant, was auf Kosten der Fernsehzeit der Dem-Kandidatin geht. Unvergessen bleibt auch der Moment, als Joe Biden sich vor wenigen Wochen von einem Feuerwehrmann eine Trump-Baseballmütze geben ließ und diese sich vermeintlich „ironisch“ aufsetzte. Nicht nur das: Er nahm sie danach sogar deutlich sichtbar mit ins Flugzeug. Die Vermutung, dass Biden selbst – trotz politischer Differenzen mit Trump – eine Niederlage von Harris nicht bedauern würde, liegt mittlerweile verlockend nahe.

Trump nach Plagiatsvorwürfen wieder deutlich in Front

Es läuft also schon längst nicht mehr alles nach Plan im Harris-Lager. Nun also auch noch die Plagiatsvorwürfe, die zwar von der New York Times noch bestritten werden, die aber selbst CNN mittlerweile anerkennt. Der Vorwurf lautet, dass Harris in einem ihrer Bücher reihenweise Passagen direkt aus Wikipedia abgeschrieben hat. Einige der Vorwürfe sind dabei schon länger bekannt. So zitierte Tucker Carlson bereits vor Jahren eine Passage, derzufolge Kamala Harris als Kind auf einer Bürgerrechtsdemonstration von ihrer Mutter gefragt wurde, was sie sich am meisten wünschte und darauf mit einem inkorrekt artikulierten „Freiheit“ geantwortet hätte. Peinlich nur, dass die exakt gleiche Anekdote – inklusive des charmanten Sprachfehlers eines kleinen Kindes – sich bereits in einem Interview des Playboy mit Dr. Martin Luther King aus dem Jahr 1965 fand.

— Benny Johnson (@bennyjohnson) October 14, 2024

Während das Lager von Harris noch überlegt, wie es diesen Brand löschen soll, gießt der Rep-Kandidat für die Vizepräsidentschaft, J.D. Vance, der erst kürzlich deutlich sein TV-Duell gegen den Demokraten Tim Walz gewann, schon neues Öl ins Feuer und verkündete vor Fernsehkameras, dass wenn die Amerikaner einen Präsidenten mit eigenen Ideen haben wollten, sie Donald Trump wählen müssten, wenn sie aber jemanden wollen, der seine Ideen abschreibt, sie bei Kamala Harris richtig wären.

In dieser Situation wäre der womöglich größte Fehler, den die Trump-Kampagne noch begehen könnte, zu aggressiv auf Harris einzuschlagen, da sie gegenwärtig, auch ohne Rep-Zutun, ihre eigene Demontage rasant vorantreibt. Ihre Zustimmungswerte liegen auch bei der demokratischen Kernwählerschaft von Frauen und schwarzen Männern auf einem Rekordtief, kein Dem-Kandidat hatte seit 1960 geringeren Zuspruch bei diesen Wählergruppen als Kamala Harris.

Entsprechend sind auch die Umfragewerte von Harris massiv rückläufig. Das Portal Polymarket.com sieht Donald Trump landesweit bereits mit 56 zu 43 Prozent in Führung vor Harris. Entscheidend sind im amerikanischen Wahlsystem aber die Wahlmänner in jenen „Swing States“ (Bundesstaaten, in denen der Wahlausgang knapp sein dürfte), die bislang als unentschieden gelten. Doch in fünf der sechs dieser Swing States liegt Donald Trump neuesten Umfragen nach schon deutlich in Führung.

Trump geht vom Gas und lässt „Ave Maria“ für sich sprechen

Im wichtigsten dieser verbliebenen Swing States, Pennsylvania, absolvierte Donald Trump erst am Montag eine Fragestunde mit Wählern, die er allerdings, nachdem zwei Besuchern aufgrund der nicht funktionierenden Klimaanlage schlecht wurde, abkürzte und stattdessen Musik spielen ließ. Während Sanitäter sich um die geschwächten Besucher kümmerten, erklang Schuberts „Ave Maria“ mit Luciano Pavarotti aus den Lautsprechern. Womöglich ein musikalischer Gruß an die in den USA bedeutsame Gruppe christlicher Wähler? Wenn ja, dann ließ Trump Vorsicht walten, denn nach dem Ave Maria erklang noch ein buntes Potpourri aus James Browns „This is a man’s world“, Leonard Cohens „Halleluja“ (ein dezidiert NICHT-christlicher Kontrast zum „Ave Maria”), sowie der Schwulenhymne der Village People „YMCA“ in der Halle.

Anstatt sich den Fragen seiner Anhänger zu stellen, zog Trump es zu diesem Zeitpunkt bereits vor, zu den Klängen seiner Playlist auf der Bühne zu schunkeln, bevor er sich wieder verabschiedete. War er müde? Hatte er womöglich sogar Angst vor unangenehmen Fragen? Eher unwahrscheinlich, da er zuvor gewohnt klare Vorwürfe an die Democrats gerichtet hatte.

Oder hatte Trump begriffen, dass der Zeitpunkt im Wahlkampf gekommen ist, an dem er das Rennen womöglich nur noch verlieren kann, wenn er selbst noch einmal Fehler macht? Die Vorstellung in Pennsylvania zeigte, dass Trump es wohl nicht mehr für nötig empfand, weitere Stimmen zu fangen, sondern dass es genügte, mit seiner Musikauswahl ein indirektes Zeichen an all die verschiedenen Wählergruppen zu senden, die ihm in drei Wochen ihre Stimme geben könnten.

Trump hat wohl verstanden, dass Schweigen manchmal Gold wert ist. Eine Einsicht, die sich das Team von Harris für seine Kandidatin zwar vor langer Zeit gewünscht hätte, die aber nun vielleicht schon zu spät für sie kommen könnte.

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