Tichys Einblick
Programm für Wahlkampf der Sozialdemokraten

Der kleinste gemeinsame Nenner der SPD: die Wahrheit weglassen

Der SPD-Vorstand hat ein Programm für den Wahlkampf vorgelegt. Mit neuen Schulden versprechen die Sozialdemokraten ein Wohlfühlgefühl für alle - das hat nur einen kurzfristigen Effekt. Bestenfalls.

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Mitunter haben es Journalisten schwer. Etwa, wenn es darum geht, einem irrationalen Thema mit einer rationalen Überschrift beizukommen. Die Redaktion des Handelsblatts hat es versucht mit: „Die SPD schaltet vom Regierungs- in den Wahlkampfmodus.“ Nun kann sich jeder vorstellen, dass die Sozialdemokraten Wahlkampf machen. Aber das soll ihr Regierungsmodus gewesen sein? Abschiebungen versprechen und politisch bekämpfen, wer Abschiebungen fordert? Den Abbau von Bürokratie verkünden und mit jedem neuen Gesetz sechs Dutzend Einzelfallprüfungen einführen? Von Respekt reden und den steuerzahlenden Bürger unter Generalverdacht stellen und ihm im Internet das Wort verbieten? Das alles war der Regierungsmodus der SPD?

Ja. War es. Bundesweite Umfragen von weit unter 20 Prozent sowie Landtagswahlen, nach denen sich die Partei von Willy Brandt freut, überhaupt ins Parlament eingezogen zu sein – das alles kommt ja von irgendwo her. Mit dem Regierungsmodus hat die SPD es offensichtlich nicht so. Also schaltet sie bereits ein Jahr vorher in den Wahlkampfmodus. Egal, wie viel sie im Regierungsgeschäft liegenlässt. Andererseits hat die SPD 22 der letzten 26 Jahre regiert und unter anderem einen massiven Investitionsstau hinterlassen. Das zu erwähnen, ist übrigens weder „Hass“ noch „Hetze“. Den Investitionsstau beklagen die Sozialdemokraten selbst. Nur, dass sie ihren Anteil daran verschweigen – Wahlkampfmodus und so.

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Der Anlass, in den Wahlkampfmodus umzuschalten, war eine Klausurtagung des SPD-Vorstands um Lars Klingbeil und Saskia Esken. Was kommt dabei raus, wenn sich diese Vordenker zum Nachdenken zurückziehen? Ein Sammelsurium an Versprechen. Ein Cocktail, in dem jedes Getränk vorhanden ist – in der Hoffnung, jedermanns Geschmack zu treffen. Nur, dass halt eine trübe Brühe bei diesem Versuch herauskommt, die für keinen mehr bekömmlich ist.

Am wichtigsten von allem: Die SPD will die „Schuldenbremse“ aushebeln, um mit frisch geliehenem Geld alle Probleme zuschütten zu können. Das ist der gemeinsame Nenner des Programms. Zumindest der am leichtesten zu erkennende gemeinsame Nenner. Denn offensichtlich wird, dass die Sozialdemokraten Dinge dann nicht mehr zu Ende denken, wenn sie unangenehm werden. Es mag für sie ok sein, die Schulden nie zurückzahlen zu wollen. Doch der SPD-Vorstand übersieht, dass er an den Zinsen nicht vorbeikommen wird.

Wer es als Journalist gut mit der SPD meint, der betont deren Versprechen, 95 Prozent der Arbeitnehmer steuerlich entlasten zu wollen. Das eine Prozent derer mit dem höchsten Gehalt soll die so entstehende Lücke füllen. Diese Darstellung schmeichelt der SPD, denn sie lässt ganz im Sinne des Wahlkampfmodus entscheidende Details weg: Wie viel lässt sich über das Steueraufkommen dieser Topverdiener finanzieren? Treibt es diese Topverdiener dann nicht wie bereits so viele Arbeitsplätze und Investitionen ins Ausland und wie viel genau sollen die anderen 95 Prozent sparen?

Letzteres führt zu einem anderen Punkt, den die SPD in ihrem Wahlkampfmodus weglässt: die Pflege- und Krankenversicherung. Deren Beiträge steigen in den kommenden Monaten zusammen um einen Prozentpunkt. Über 5.000 Euro zusätzliche Kosten für jeden durchschnittlichen Arbeitsplatz im Jahr. So sieht die SPD aus, wenn sie im Regierungsmodus ertappt wird. Den Anstieg der Beiträge für Pflege- und Krankenversicherung lässt der SPD-Vorstand in seinem Papier einfach weg. Nach 22 von 26 Jahren in Regierungsverantwortung können die Sozialdemokraten vor allem verantwortungslos sein.

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Es sind nicht die einzigen Kosten, die der SPD-Vorstand in seinem Konzept übersieht. Die Erhöhung der Beiträge für die Rentenversicherung kann der sozialdemokratische Arbeitsminister Hubertus Heil zwar noch hinter die Wahl verschieben. Doch zum Jahreswechsel gehen die CO2-Steuer und die LKW-Maut wie gehabt nach oben. Ein gutes Medium fragt die SPD, ob die 95 Prozent der Arbeitnehmer von der SPD um mehr entlastet als belastet werden. Wer das unterlässt, ist ein SPD nahes Medium – oder journalistisch unfähig.

Über die Steuerentlastung hinaus will die SPD das neue Schuldengeld verwenden, um Investitionsanreize zu schaffen. Und zwar: „in Zukunftsbranchen und gute Arbeitsplätze am Standort Deutschland“. Der Staat und nicht der Unternehmer soll also entscheiden, was „Zukunftsbranchen“ sind. Der Staat ist das Superhirn, das alles besser weiß. Aktuell ist dieses Superhirn Robert Habeck (Grüne). Was soll schon schiefgehen, wenn er über die künftigen Investitionen der Wirtschaft am Markt vorbei entscheidet?

Als Bereiche, in die investiert werden müsste, sieht der SPD-Vorstand unverbindlich: Straßen, Schienen und Brücken oder Kitas, Schulen und Universitäten. Konkret und detailiert beschreiben die Sozialdemokraten eine Investition: die in E-Autos. Von deren Zukunft hänge auch die Zukunft des Standort Deutschlands ab. Mit Kaufprämien will die SPD diese Zukunft gestalten.

Womit die Sozialdemokraten wie ein Schüler sind, der die gleiche Aufgabe zum 27. Mal auf die gleiche Weise verbockt hat. Es gilt durchzuatmen und es ihnen einfach nochmal zu erklären: Die SPD will staatliches (Schulden-)Geld investieren, damit die Wirtschaft ankurbeln und hoffen, dass die danach von alleine läuft. Das scheitert aus vielen Gründen. Etwa, weil die Banken ungerne Investitionen unterstützen, die nur mit Zuschüssen „wirtschaftlich“ sind – denn die Zuschüsse können jederzeit beendet werden. Wohlgemerkt, so sieht der SPD-Plan aus, wenn er gut läuft.

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Doch das ist er in den vergangenen Jahren nicht. Die SPD hat unter der Verantwortung von Finanzminister und Bundeskanzler Olaf Scholz hunderte von Milliarden Euro an Investitionspaketen in die Wirtschaft gesteckt: Entlastungspakete, Sondervermögen, Wumms, Doppelwumms oder Klima- und Transformationsfonds. Das Ergebnis dieser Investitionspakete: Deutschland ist in der Rezession, die Wirtschaft also zwei Jahre in Folge geschrumpft. Man muss schon Sozialdemokrat sein, um zu glauben, dass es nur Mehr vom Gescheiterten braucht, um dieses Mal erfolgreich zu sein. Wahrheiten auszublenden ist der kleinste gemeinsame Nenner der SPD im Wahlkampfmodus.

An der SPD lässt sich verzweifeln wie an einem Schüler, der immer und immer wieder die gleichen Fehler macht: So wollen Esken und Klingbeil die Strompreise senken. Super Idee? Ja, schon, aber Vorsicht, nicht über Sozialdemokraten jubeln, bis das Kleingedruckte gelesen ist. Die SPD will die Strompreise nur für die Chemie- und Glasindustrie senken. Damit maßen sich die Sozialdemokraten wieder an, zu wissen, welche Produktion notwendig ist; lassen alle anderen Branchen im Stich, frustrieren sie und verspielen das Vertrauen in die Parteien, die im Regierungsmodus waren – oder sein müssten.

Der kleinste gemeinsame Nenner im SPD-Konzept ist das Weglassen der Wahrheit. Etwa beim Mindestlohn. Der solle nicht politisch missbraucht werden, etwa im Wahlkampfmodus, sondern von einer unabhängigen Kommission festgelegt. Das versprach Andrea Nahles vor weniger als zehn Jahren, als die SPD den Mindestlohn einführte. Nun macht sie zum zweiten Mal in Folge Wahlkampf damit. Dieses Mal soll er auf 15 Euro steigen. Mehr Geld für alle ist der gut erkennbare gemeinsame Nenner des SPD-Programms.

Doch entscheidender ist, was die SPD alles weglässt. Da ist zum einen die Überlastung der Wirtschaft. Schon jetzt klagen Branchen, dass sich bereits mit einem Mindestlohn von unter 13 Euro ihr Geschäftsmodell nicht mehr rentiere. Etwa die Verleger von Tageszeitungen. Steigt der Mindestlohn in Folge eines willkürlichen politischen Akts auf über 15 Euro, werden deutlich mehr Betriebe und Beschäftigte in die Schwarzarbeit ausweichen (müssen). Mit allen Folgen für Steuereinnahmen und Bezug von Bürgergeld.

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Neben dieser praktischen Ebene gibt es aber auch eine moralische. Die ist nicht zu unterschätzen. Gemeinsam mit den Grünen und dem willfährigen Lakaien FDP kämpft die SPD aktuell gegen die Meinungsfreiheit. Bürger sollen im Netz nicht mehr sagen dürfen, dass sie der Regierung grundsätzlich kein Vertrauen mehr entgegenbringen. Dieses Verbot wird notwendig, weil Regierungsparteien wie die SPD durch offene, angekündigte Wortbrüche wie beim Mindestlohn jedes Vertrauen in sie unmöglich machen.

Steuern und Abgaben blieben unter der SPD hoch. Statt die Bürger zu entlasten und ihnen somit mehr Freiraum zu geben, wollen die Sozialdemokraten entscheiden, an welcher Stelle die Bürger ihr Geld ausgeben sollen. Das sorgt für noch mehr Verwaltungsaufwand. Anträge müssen gestellt, Unterlagen eingereicht und geprüft, Ausnahmeregeln beachtet und Folgezuschüsse beantragt werden.

Das Beste, was sich über das Programm der SPD sagen lässt: Es soll eine Wohlfühlatmosphäre schaffen – wenn auch auf der Basis von geliehenem Geld. Das schafft eine kurzfristige Blüte – wenn überhaupt. Doch die Wirtschaft und die Gesellschaft leistungsfähiger machen zu wollen, hat der SPD-Vorstand komplett außen vorgelassen. Das Bürgergeld bleibt attraktiver als manche Arbeitsstelle, der Verwaltungsaufwand wuchert, statt zu schrumpfen, und Preise wie Steuern bleiben auf Rekordniveau. Das hat genau zu der Krise geführt, in die das Land in 22 Jahren SPD-Regierungsverantwortung geraten ist. Doch diese unangenehme Wahrheit lassen die Sozialdemokraten weg – ihr kleinster gemeinsamer Nenner im Wahlkampfmodus.

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