Tichys Einblick
Stadtrat lehnt Gesslerhut ab

Neubrandenburg: Regenbogenflagge weg – na und?

In Neubrandenburg weicht die Regenbogenflagge vom Bahnhof. Der homosexuelle Bürgermeister tritt zurück. Die Woken zeigen sich höchst empfindlich, nachdem ihr Majestätssymbol weg ist. Dabei können sie sich nur nicht an die neue Realität gewöhnen.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Wie tief sitzt jemand in der woken Echokammer? Man kann es daran erkennen, wie die Reaktion auf das Abhängen einer Regenbogenflagge in der mecklenburgischen Provinz ausfällt. Vertraut man einigen Medien und Aushängeschildern der Bewegung in den Sozialen Netzwerken, dann steht – mal wieder – das Ende der Demokratie vor der Tür. Dem gequälten Leser kommt nicht selten der Gedanke, dass es hoffentlich bald mal mit dieser Demokratie vorbei ist, so oft sie bedroht wird und gerettet werden muss.

Dabei ist die Geschichte banal. Der Stadtrat entscheidet mit einer Mehrheit, dass die Regenbogenflagge nicht mehr am Bahnhof gehisst wird. Der Bürgermeister, selbst homosexuell und jemand, der mit der Regenbogenflagge posiert, tritt daraufhin zurück – nach nur acht Monaten Amtszeit. Die Zeitungen konzentrieren sich nunmehr vor allem auf den Antragsteller und den Ex-Bürgermeister, sowie auf die nun von den Fahnenträgern der jeweiligen Bewegungen vorgetragenen Positionen. Dabei verdeckt die Frage nach der Rechtsradikalität des Antragstellers, nach der Homophobie des Vorgangs und der Zustimmung des BSW zum Antrag den eigentlichen Sachverhalt.

Nicht ohne Ironie bleibt die Wendung, dass diejenigen, die in der Regenbogenflagge ein vermeintlich übergreifendes, universelles Bekenntnis erblicken wollen, sich so nationalistisch und ressentimentgeladen verhalten wie die ehemaligen Parteigänger im Fahnenkrieg. Für sie hat die Regenbogenflagge längst Schwarz-Rot-Gold ersetzt; die Regenbogenflagge ist ihr Identitätszeichen, ihr Symbol geworden, das über den eigentlichen Symbolen, Hoheitszeichen und Bekenntnissen steht, die eigentlich die Gemeinschaft repräsentieren. Wie wenig die Einheimischen an der Flagge hängen, zeigt, dass ein Argument des Antrags darin bestand, dass sie häufig angegriffen werde.

Dass die Regenbogenflagge eben keine neutrale Fahne ist, stellen ihre Verteidiger damit unter Beweis. Genau so wird sie bei ihren Gegnern wahrgenommen: sie ist kein versöhnendes, kein vereinigendes, sondern ein polarisierendes Symbol, das als Ausweis einer bestimmten Ideologie gesehen wird, die weniger mit Toleranz, denn Herrschaft assoziiert wird. Sie ist das Machtsymbol einer internationalen linken Bewegung geworden, die anderslautende Meinungen als fremdenfeindlich, als intolerant, als homophob, als reaktionär abkanzelt. Gläubige, Patrioten (national wie zivilisatorisch) und Konservative haben gute Gründe, die Regenbogenflagge abzulehnen.

Das Aufziehen der Flagge im öffentlichen Raum, teils an der Seite von Kommunal-, Länder-, National- und EU-Flagge, ist daher Machtzelebration, die vielleicht einige Minderheiten einschließt, aber andere damit auch kategorisch ausschließt. Das gilt im Übrigen auch für Homosexuelle, die ihre eigene Sexualität nicht als Abgrenzungszeichen sehen wollen oder diese prinzipiell für eine private Angelegenheit halten. Es gibt zahlreiche Gruppen der in der Regenbogenflaggen angeblich repräsentierten Minderheiten, die sich nicht als „Community“ partikularisieren lassen wollen, sondern sich ein Teil des Großen und Ganzen sehen: Emanzipation heißt Teilhabe an der Gemeinschaft, nicht Abkapselung des Ghettos.

Das alles stört einige Protagonisten nicht, ihre privaten Vorlieben zur öffentlichen Sache zu machen und damit die Polarisierung voranzutreiben. Statt gemeinschaftlicher Konsens soll eine bestimmte Interpretation gelten. Dabei zeichnet demokratische Repräsentation ja gerade das Bewusstsein aus, dass der kleinste gemeinsame Nenner akzeptiert wird, und nicht der Gusto eines Einzelnen oder einer spezifischen Gruppe. Der Autor dieser Zeilen zum Beispiel würde gerne wieder die Haydn-Hymne mit dem alten Text hören – freilich nicht den von 1841, sondern den von 1797. Das würde freilich einen großen Teil des Volkes weniger polarisieren, denn irritieren; doch im Falle der Regenbogenflagge fußt die veröffentliche Meinung darauf, dass dies das Normalste auf der ganzen Welt sei.

Dass also Zeter und Mordio die Sphären der Linkserweckten prägen, weil man ihnen nun ihre Flagge nehmen will wie anno 1918 den Monarchisten ihr Schwarz-Weiß-Rot, das ist die eine Seite der Mecklenburger Provinzposse. Die andere ist deutlich kürzer abgefasst: Wo die etablierten Parteien verlieren, da bricht das Kartenhaus schneller zusammen als man dachte. Insbesondere im Osten ändert sich die Zusammensetzung von Stadt- und Landtagen: mit Konsequenzen, die gestern noch nicht denkbar waren. Die Linke reagiert darauf geschockt. Ihre einzige Antwort äußert sich in Empörung statt konstruktiver Debatte.

Damit macht sie es den Herausforderern noch einfacher als gedacht. Denn Majestätsbeleidigung kann nur erkennen, wer eine gewisse Majestät anerkennt. Diese Anerkennung bleibt beim regenbogenfarbenen Gesslerhut in weiten Teilen der Bevölkerung aus.

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