Tichys Einblick

Tusk will das Asylrecht in Polen aussetzen – Kehrtwende oder Kosmetik?

Nach der Wiedereinführung deutscher Grenzkontrollen und angesichts zahlreicher innenpolitischer Debakel will Tusk das Gesicht wahren: Das europäische Asylrecht soll in Polen vorübergehend ausgesetzt werden. Was verändert sich durch diese Entscheidung konkret? Eigentlich gar nichts.

IMAGO

Donald Tusk ist unter Druck. Jahrelang ist ihm die zu große Nähe zur EU und zur deutschen Regierung von seinen konservativen Gegnern als Nachteil vorgeworfen worden, von seinen linksliberalen Anhängern aber als Bonus zugutegehalten worden. Viele Wähler im linksliberalen Spektrum erhofften sich daher von Tusks Wahl eine Normalisierung der Beziehungen zu Brüssel und Berlin. Nun ist Tusk an der Macht, baut den gesamten Staat den ideologischen Vorgaben der EU gemäß um, vernichtet notfalls unter Bruch der Verfassung die letzten konservativen Bastionen, setzt das Land auf den Kurs zum Euro und hat selbst die Reparationsforderungen, für die seine Partei damals gestimmt hat, dezent unter den Tisch fallen lassen. Was hat ihm das konkret gebracht? Nicht viel.

Die deutschen Eliten in Regierung, NGOs und Medien üben weiterhin Druck aus, um das Großflughafenprojekt in Łódź, das als Konkurrenz zu Frankfurt a.M. gesehen wird, definitiv fallenzulassen; um den Bau von Atomreaktoren aus Umweltgründen zu stornieren; um Warschau die Aufrüstung auszureden; um Polen zur Beteiligung an der Umverteilung von Migranten zu beteiligen, die nur durch deutsche Sozialleistungen nach Europa gelockt werden; und um gleichzeitig auf den Respekt „europäischer Werte“ an der Grenze zu Belarus zu pochen – obwohl sich immer neue Zwischenfälle ereignen und polnische Grenzwächter im Kampf mit jenen zehntausenden Migranten verwundet, ja gar getötet werden, die immer wieder von Lukaschenko und Putin angelockt und in die polnisch-weißrussischen Grenzgebiete transportiert werden. Nun kam als letzter Sargnagel die deutsche Entscheidung, im Rahmen des propagandistischen Kampfs gegen die AfD die Außengrenzen der Bundesrepublik dicht zu machen – auch und gerade gegenüber Polen, dem also ironischerweise vorgeworfen wird, gerade jene Migranten aus Belarus nach Deutschland weiterziehen zu lassen, die an der Ostgrenze aufzuhalten Polen gleichzeitig aus Berliner und Brüsseler Beamtenstuben immer wieder als Akt der Unmenschlichkeit vorgeworfen wird. Dazu kamen noch mehrere Nacht- und Nebel-Aktionen, in denen die deutsche Polizei hier und da aufgefischte Migranten manu militari festgesetzt, nach Polen zurückgefahren und dort kurzerhand auf öffentlichen Plätzen ausgesetzt und laufengelassen hat, anstatt sie ordnungsgemäß den polnischen Behörden zu übergeben.

Anstatt sich als Partner auf Augenhöhe mit Berlin profilieren zu können, diskreditiert Tusk sich also immer mehr als machtloser Vasall. Dazu kommt dann noch eine galoppierende Inflation und eine empfindliche Krise des Immobiliensektors, seit der Liberale Tusk die Mittelstandsförderungsgesetze der Vorgängerregierung kassiert hat; ganz zu schweigen vom Debakel der jüngsten Flutkatastrophe, in der Tusk durch Fehlinformationen, Verschweigung von Opferzahlen und Anforderung deutscher Soldaten als Nothelfer eine eher schlechte Figur gemacht hat. Will Tusk nicht den Sieg seines Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr riskieren oder seinen Koalitionspartnern zu viel Stoff zur Profilierung bieten, wird es dringend Zeit für einen Paukenschlag – und den hat er jetzt geliefert. Wenn es sich de facto wohl auch eher um ein leichtes Triangelklirren handelt…

Das „Asylrecht“ soll bis auf weiteres ausgesetzt werden, wurde also am 12. Oktober verkündet, wenn auch die Details erst am nächsten Dienstag beschlossen werden.

Aber was bedeutet das denn faktisch? Eigentlich nichts.

Grenzkontrollen in Richtung Deutschland, Tschechien und Slowakei sind ohnehin aufgrund der großen Zahl von Grenzübergängen und Pendlern faktisch schlecht möglich und daher mehr oder weniger kosmetischer Natur: Selbst Faesers angebliche „Grenzkontrollen“ finden ja nur für gelegentliche Medien-Reportagen an ausgewählten Orten statt und sind an der eigentlich wichtigen Grenze, derjenigen nach Westen, inexistent, wie der Verfasser dieser Zeilen bei regelmäßigen Fahrten von Belgien nach Deutschland auf der nordfranzösischen Hauptmigrationslinie mit eigenen Augen gesehen hat. Und die polnische Grenze nach Osten, also nach Belarus, wurde unter der Vorgängerregierung mit großem Aufwand befestigt und immer noch recht scharf bewacht, trotz regelmäßiger Versuchsballons der polnischen Regierung, aufgrund des medialen Dauerterrors seitens der eigenen linken Medien und NGOS sowie natürlich der westlichen Migrationsempörungsindustrie eine gewisse kontrollierte Öffnung zum Druckabbau zu vollziehen.

Zudem betont Tusk immer wieder, daß es ihm schließlich nur um die Aussetzung „illegaler“ Migration geht. Aber ist Migration denn „illegal“, wenn der entsprechende Bewerber sich regulär beim Grenzübergang oder einem Konsulat meldet bzw. im Rahmen des Migrationspakts formal korrekt „umverteilt“ wird? Zwar will Tusk die Umsetzung des 2024 unterschriebenen Migrationspakts stoppen; für dessen Implementierung sind aber ohnehin zwei Jahre Zeit vorgesehen und auch die Erklärung sogenannter „Krisenfälle“ eingerechnet, und diesen Status wird Ursula von der Leyen ihrem Parteifreund und langjährigen Kollegen Donald Tusk sicherlich mit Handkuß zugestehen – wenigstens bis zur Präsidentschaftswahl nächstes Jahr.
Und ohnehin: Aus westlicher Richtung wandert kein Migrant je „freiwillig“ nach Polen und verläßt das Regenbogenparadies der Ampel-Zahlungen, und die Blockierung der polnischen Ostgrenze wird aufgrund der Kriegssituation zwar von westlichen NGOs nicht gerne gesehen und immer wieder kritisiert, aber faktisch noch lange Zeit toleriert werden, da man sonst allzu offensichtlich Putin und Lukaschenko in die Karten spielen würde. Und wie steht es mit den regulären Arbeitsmigranten, die Polen angesichts der katastrophalen demographischen Situation seit Jahren aus Südostasien importiert? Diese werden ohnehin ganz offiziell eingeworben und verfügen über die entsprechenden Dokumente. Ihre Zahl ist bereits unter der Vorgängerregierung dramatisch gestiegen, der Tusk jetzt ihre angeblich allzu liberale Visa-Politik vorwirft (wenn er auch seine Wähler 2023 dazu aufgerufen hatte, das Anti-Migrations-Referendum der PiS zu boykottieren), und wird wohl in Zukunft trotz der vollmundigen Ansagen Tusks weiter steigen. Denn mit nur 1,16 (!) Kindern pro Frau wird Polen bald eine dramatische Renten-, Konsum-, Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise erleben und dementsprechend wohl das Einzige machen, was den Europäern gegenwärtig einfällt: den Mangel an eigenem Kinderwillen mit dem Import fremder Menschen ausgleichen. Die Millionen ukrainischer Kriegsflüchtlinge und Gastarbeiter schließlich werden durch allseitigen Konsens willkommen geheißen und stehen außer Diskussion.

Insgesamt: Für Polen wird sich durch Tusks „Aussetzung“ also nichts, aber auch gar nichts Entscheidendes ändern, für den Rest Europas auch nicht. Aber Tusk dürfte ein paar enttäuschte Wähler zurückgewonnen haben – vielleicht.

Und übrigens: Genau ein Tag, bevor Tusk die Aussetzung des Asylrechts verkündete, begann er in ironischer zeitlicher Konkordanz mit der Errichtung von 49 großen, EU-finanzierten Asylzentren überall in Polen – die ersten ihrer Art in diesem Land… Also: Alles beim Alten.

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