Tichys Einblick
Leere Betroffenheitsrhetorik

Steinmeier zum 7. Oktober: Keine Selbsterkenntnis, dafür unterschwellige Kritik an Israel

Am 7. Oktober darf man sich in Deutschland betroffen fühlen. Das soll wohl eine klare Positionierung an der Seite Israels ersetzen. Denn eine Abkehr von der Unterstützung für die UNWRA, Selbstkritik oder ein Bekenntnis zu Israel abseits von Worthülsen: All das suchte man in Steinmeiers Rede zum Jahrestag des Hamas-Massakers vergeblich.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber

Die Bundesrepublik hat einen neuen inoffiziellen Gedenktag: Es ist der 7. Oktober, der Tag an dem Palästinenser ein präzedenzloses antisemitisches Massaker in Israel vom Zaun brachen. Ach, wie gut können wir uns doch fühlen, wie moralisch, wenn wir des Massakers gedenken, wenn wir eine traurige Miene aufsetzen, wenn wir die Opfer beklagen!

Endlich können wir wieder „Zeichen setzen“, und tun das zum ersten Jahrestag auch bereits eifrig: Das Brandenburger Tor erstrahlt mal wieder in den Farben Israels und fordert die Freilassung der Geiseln; das Bundeskanzleramt hängt ein Transparent mit einer gelben Schleife von der Terrasse, dem Symbol des Gedenkens. Es ist fast so schön wie der Holocaust-Gedenktag, an dem wir vordergründig die Opfer der Shoah betrauern, in Wahrheit aber häufig nur uns selbst für unsere „einzigartige“ Aufarbeitung feiern.

Ich will ehrlich sein: Mich regt das nur noch auf und ich muss Acht geben, an dieser Stelle weiter so gediegen zu formulieren, dass man es noch veröffentlichen kann. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es spricht nichts dagegen, „Zeichen zu setzen“. Und ein erleuchtetes Brandenburger Tor wird in Israel durchaus positiv und als ermutigendes Signal wahrgenommen.

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Mein Problem fängt da an, wo Zeichen und Taten eklatant auseinanderklaffen, wo es nur darum geht, sich gut zu fühlen, anstatt in die echte Selbstkritik zu gehen und einen vielleicht schmerzhaften Kurswechsel zu vollziehen. Erinnern Sie sich noch an das viel bejubelte Video, das Robert Habeck im vergangenen Jahr zum 7. Oktober veröffentlichte? Fast alle waren begeistert, weil Habeck sich klar an Israels Seite zu positionieren schien. Ich war schon damals kritisch, weil es in dem Statement an zwei Elementen eklatant mangelte: dem der Selbsteinsicht und dem der Umkehr.

Das Gleiche musste man nun in der Rede beobachten, die der Bundespräsident am Montag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zum ersten Jahrestag des Massakers hielt. Er sei noch immer „entsetzt und fassungslos“, sagte Steinmeier über den Hamas-Angriff, beklagte das „tiefe Trauma für Jüdinnen und Juden“. Zugleich ging er darauf ein, dass in Deutschland wieder Wohnungen von Juden „markiert“ würden, dass Brandsätze auf Synagogen flögen, dass Juden an Universitäten bedroht würden.

Worauf man in der 17-minütigen Rede vergeblich wartete: Selbstreflexion, Selbstkritik und ein Bekenntnis umzukehren, die Politik zu verändern. Und zwar sowohl, was die außenpolitische, als auch was die innenpolitische Dimension betrifft. Zunächst zur Außenpolitik: Vielleicht hat Steinmeier es mittlerweile selbst vergessen, aber er war insgesamt acht Jahre lang Außenminister dieses Landes.

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Und als solcher hat er die Lebenslügen mitgetragen und weiter perpetuiert, die die deutsche Nahostpolitik bis heute prägen, die alles nur schlimmer gemacht haben und noch machen: zum Beispiel, dass es so etwas wie eine „Zwei-Staaten-Lösung“ geben könnte; zum Beispiel, dass man das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge faktisch bedingungslos finanzieren müsse; zum Beispiel, dass man sich vor Erzterrorist Jasser Arafat zu verbeugen hat.

Zum Beispiel aber auch, dass man den Iran durch Verhandlungen davon abbringen kann, Israel weiter mit Vernichtung zu drohen. Zur Erinnerung: Steinmeier hat das Iran-Abkommen von 2015 mitverhandelt und unterschrieben. Ein Abkommen, das von Israel (und zwar nicht nur von Premier Netanjahu!) ob seiner ganzen Faulheit heftig abgelehnt wurde. Unter anderem, weil es das iranische Raketenprogramm nicht adressierte – mit dessen Hilfe der Iran Israel just in diesem Jahr schon zwei Mal angegriffen hat.

Zur Innenpolitik: Steinmeier beklagte am Montag den explodierenden Antisemitismus. Aber er fand kein Wort zu einer wesentlichen Triebkraft, die er mitzuverantworten hat: die Massenmigration. Der heutige Bundespräsident war 2015 Mitglied der Regierung, als Merkel die Schleusen endgültig aufriss. Hat er damals widersprochen?

Anstatt darauf einzugehen, den eingeschlagenen Irrweg zu benennen und Besserung anzukündigen, erging sich der Bundespräsident in geradezu bizarren Phrasen, erinnerte daran, „wohin deutscher Rassenhass und entfesselter Nationalismus“ geführt hätten. Statt seine eigene Verantwortung in der Gegenwart zu benennen, flüchtet sich der Bundespräsident also 80 Jahre in die Vergangenheit.

Kritische Töne kamen dann übrigens doch – nicht aber an die eigene Adresse, sondern ausgerechnet Richtung Israel: „Die Fragen werden lauter, drängender, auch die öffentliche Debatte – weniger darüber, ob Israel ein Recht zur Selbstverteidigung hat, sondern darüber, wo die Grenzen jeden Rechts auf Selbstverteidigung liegen“, sagte er. Wenngleich Steinmeier auch vor einer „leichtfertigen Verurteilung Israels“ und vor „europäischer Überheblichkeit“ warnte, war das als unterschwellige Kritik am jüdischen Staat zu verstehen.

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Am Ende steht der Bundespräsident mit dieser Rede nur pars pro toto für die deutsche Politik insgesamt. Und so verwundert es nicht, dass wir zwölf Monate nach dem 7. Oktober konstatieren müssen, dass sich in der deutschen Israel- und Nahost-Politik nichts geändert hat, die viel beschworene „Zäsur“ hier nicht zu spüren ist: Wir ergehen uns immer noch in denselben Phrasen (von der „Gewaltspirale“ bis zum „Flächenbrand“), wir finanzieren die UNRWA munter weiter, wir enthalten uns in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wenn sie gegen Israel Stellung bezieht.

Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hielt der deutschen Politik am Montagabend beim zentralen Gedenken vor dem jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße den Spiegel vor, indem er von der Bundesrepublik klare Unterstützung in den Vereinten Nationen und der Europäischen Union verlangte – wohl wissend, dass es diese aller „Staatsräson“-Rhetorik zum Trotz auch nach dem 7. Oktober nicht gibt. Steinmeier lauschte diesen Worten in der ersten Reihe. Das Publikum klatschte – die Hände des Bundespräsidenten aber rührten sich nicht.

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