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Hart aber Fair: Pseudo-Debatte um AfD-Verbot

Alle sind sich einig: Die AfD ist eine gefährliche Partei. Ein klar vorgegebener Meinungsrahmen also, in dem sich die Talkgäste bewegen. Diskutiert wird also weder hart noch fair – einen Angehörigen der AfD, der seine Partei verteidigen könnte, sucht man vergebens. Von Marius Marx

Screenprint: ARD / Hart aber Fair

Deutschland ist mal wieder im Bann der AfD. Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion steht einmal mehr ein mögliches Parteiverbotsverfahren. Anlass der Debatte ist der geplante Antrag einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Bundestagsabge-ordneten der SPD, CDU/CSU, Grünen und Linken unter Führung des ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz (CDU), mit dem das Bundesverfassungsgericht aufgefordert werden soll, die Verfassungsfeindlichkeit der AfD festzustellen und die Partei zu verbieten.

Über diesen Antrag sowie die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines AfD-Parteiverbotsverfahren wurde in der gestrigen Hart aber Fair-Sendung diskutiert. Wobei die Sendung durch die Auswahl der eingeladenen Diskutanten schon von vornherein jegliche Fairness vermissen ließ. Denn unter den sechs anwesenden Gästen befand sich kein einziger AfD-Vertreter, der seine Partei angemessen hätte repräsentieren oder verteidigen können. Während es im alten Rom noch als Geste der Fairness galt – audiatur et altera pars – auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen, kam die phasenweise Züge eines Schauprozesses annehmende Sendung ohne eine Anhörung des eigentlichen Angeklagten, nämlich der AfD, aus.

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So war denn auch von Härte – dem zweiten Namensgeber des ARD-Formats – nicht allzu viel zu sehen. Stattdessen bot sich dem geneigten Zuschauer überwiegend eine recht harmonische Runde, die sich über die entscheidende Frage, nämlich die Verfassungsfeindlichkeit der AfD, bereits einig war, und nur noch darüber diskutierte, welches Vorgehen aus dieser vermeintlichen Tatsache abzuleiten sei.

Da kommt einem ein bekannter Ausspruch des linken (zu einer Zeit als „links“ noch quasi-synonym für antiautoritär verwendet wurde) Intellektuellen Noam Chomsky in den Sinn, der einmal sagte: „Der schlaueste Weg, Menschen passiv und fügsam zu halten, besteht darin, das Spektrum akzeptabler Meinungen strikt zu begrenzen, aber innerhalb dieses Spektrums eine sehr lebhafte Debatte zu ermöglichen – sogar die kritischeren und die Ansichten der Dissidenten zu fördern. Das gibt den Menschen die Wahrnehmung, dass freies Denken möglich ist, obwohl durch die Grenzen, die der Debatte gesetzt sind, fortwährend die Voran-nahmen des Systems bestärkt werden.“

Die gestrige Debatte könnte tatsächlich als Lehrbuchbeispiel für dieses Vorgehen dienen. Vorgegebener Diskussionsrahmen und die permanent bestätigte systemische Vorannahme war dabei die geteilte Auffassung über die dem Anschein nach bereits hinlänglich bewiesene allgemeine Gefährlichkeit der AfD. So hielt es die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler schon eingangs der Sendung für notwendig, zu betonen, dass alle Anwesenden „darüber einig“ seien, „dass die AfD eine gefährliche Partei ist“. Für eine in der Tat lebhafte Debatte innerhalb dieses klar abgesteckten Meinungsspektrums sorgten neben ihr Michael Kellner von den Grünen, seines Zeichens parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, die Moderatorin und Initiatorin einer Petition, die ein AfD-Verbot fordert, Ruth Moschner, der Journalist Ronen Steinke und der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke. Die Rolle des Dissidenten übernahm der AfD-Aussteiger und Buchautor Alexander Leschik.

Die zwei widerstreitenden Positionen und Argumente sind dabei im Grunde schnell erzählt: Kellner, Moschner und Steinke halten die politisch-parlamentarische Auseinandersetzung mit der AfD für gescheitert, die AfD für so durch und durch extremistisch und die Situation überdies bereits für so akut, dass nur noch ein Parteiverbot Abhilfe leisten könne. Lucke, Güler und später dann auch Leschik teilen zwar die Auffassung über die extremistische Ausrichtung der AfD, fürchten allerdings die hohen politischen Kosten eines Verbotsverfahrens und plädieren deshalb nach wie vor für eine politische Bekämpfung und Entzauberung der AfD.

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Von den Befürwortern eines AfD-Verbots wurden dabei in der Sendung die üblichen und zum Teil längst widerlegte Argumente ins Feld geführt. So begründete Michael Kellner, offenkundig in Anspielung auf das „Treffen von Potsdam“, seine Beteiligung an dem noch einzubringenden Verbotsantrag allen Ernstes damit, dass die AfD „Deportationen“ von „Nicht-Biodeutschen“ plane und bezeichnete eine Bundestagsdebatte über den AfD-Verbotsantrag als „Sternstunde der Demokratie“. Und der SZ-Journalist Ronen Steinke plädierte nicht zuletzt aufgrund der unter skandalösen Umständen unterbrochenen ersten Sitzung des thüringischen Landtags unter Leitung des Alterspräsidenten und AfD-Mannes Jürgen Treutler, den er einen „Westentaschendiktator“ nannte, für ein AfD-Verbot.

Serap Güler ging rhetorisch zwar nicht ganz so weit, warf dem Alterspräsidenten dafür aber „Machtmissbrauch“ vor und behauptete, er habe die Geschäftsordnung des thüringischen Landtages mit „Händen und Füßen getreten“. Allerdings eignet sich insbesondere dieser konkrete Fall bei Lichte besehen überhaupt nicht als Argument für ein AfD-Verbot. Schließlich war das Handeln Treutlers während der ersten Sitzung des thüringischen Landtages ja gerade Ausdruck des Versuches, der seiner Auffassung nach geltenden Rechtslage in Thüringen Rechnung zu tragen. Seine Gesetzes- und Verfassungstreue stellte er dann auch unter Beweis, indem er sich bei der Fortsetzung der Landtagssitzung den Vorgaben des thüringischen Verfassungsgerichts un-terwarf, obwohl dieses seiner Rechtsauffassung eine klare Absage erteilt hatte.

Beinahe komisch mutete dann die in die Debatte eingebrachte AfD-Kritik Ruth Moschners an, die der AfD unter anderem Provokationen und Populismus – welche Partei käme ohne beides aus? – vorwarf, sich aber so gnädig erwies, der AfD zu attestieren, dass ja „natürlich nicht alles menschenfeindlich“ sei. Moschner, die sich in der Sendung selbst als „stolze Wählerin“ bezeichnete, hält ein AfD-Verbot in Merkel-Manier für alternativlos.

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Wer dafür nun stichhaltige Argumente erwartete, wurde jedoch enttäuscht: Neben „man muss doch irgendwas tun“, erzählte sie nicht ohne Pathos von ihren Freundinnen, die aus Angst vor der erstarkenden AfD mit dem Gedanken spielen auszuwandern und sie fragen würden, ob man angesichts der vielen Rechtsextremisten überhaupt noch in bestimmte Regionen fahren könne. Die Skeptiker eines AfD-Verbotes wahrten demgegenüber noch einen gewissen Restbezug zur Wirklichkeit, indem sie vor allem darauf hinwiesen, dass ein mögliches Verbotsverfahren nicht nur Jahre in Anspruch nehmen würde, sondern dass auch dessen Ausgang überhaupt nicht vorauszusagen sei. Abgesehen vom Ergebnis selbst spiele die gesamte Debatte letztlich nur der AfD und ihrer Opferinszenierung in die Hände.

Mit Blick auf das gescheiterte NPD-Verbotsfahren wurde außerdem diskutiert, wie es um die Erfolgsaussichten eines Verbotsantrages bestellt wäre. Ronen Steinke vertrat dabei die Auffassung, dass einem Verbot der AfD nichts im Wege stünde, schließlich dürften heute, anders als noch bei der NPD, lediglich Parteimitglieder und -funktionäre in der dritten oder vierten Reihe als V-Leute angeworben werden. Und hinsichtlich der „Potenzialität“ – der zweiten verfassungsrechtlichen Hürde eines Parteiverbots –, also der Wahrscheinlichkeit, die eigenen verfassungsfeindlichen Bestrebungen auch realisieren zu können, bestünden bei der AfD bei Wahlergebnissen jenseits der 30% mittlerweile keine Zweifel mehr.

Dem pflichtete auch der Grüne Michael Kellner bei, der sein Engagement für ein AfD-Verbot auch damit begründete, dass die AfD zum Teil in Landtagen bereits über Sperrminoritäten verfügt und gewisse Gesetzesvorhaben blockieren kann. Albrecht von Lucke sieht wiederum sieht durch die unzweifelhaft größere Relevanz der AfD zwar ebenfalls größere Erfolgsaussichten für ein Verbotsverfahren, rückte in einem seiner lichten Momente aber dankenswerterweise die Frage in den Mittelpunkt, was nach einem möglichen AfD-Verbot eigentlich mit ihren Wählern geschehen solle.

Er drehte das Relevanz-Argument um und argumentierte, dass die AfD mittlerweile schlicht „too big to forbid“ sei und man nicht, ohne damit enorme politische Verwerfungen zu riskieren, eine Partei verbieten könne, die in den ostdeutschen Bundesländern bei 35% steht. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch der ehemalige AfDler Leschik, der die AfD 2021 aus enttäuschter Hoffnung über die ausgebliebene Entwicklung der AfD in Richtung einer staatstragenden Rolle verlassen hat.

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Er betonte die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen den seiner Auffassung nach weitestgehend radikalisierten AfD-Funktionären auf der einen, und den AfD-Wählern auf der anderen Seite, die mehrheitlich fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stünden und denen die etablierten Parteien mit einer entsprechenden Politik die „Hand reichen“ sollten. Aus seiner Sicht würde ein Verbot die Wut und Verunsicherung der Wähler anfachen und zu einer Radikalisierung und Amerikanisierung des politischen Wettbewerbs führen.

Von Lucke verstieg sich daraufhin zu der Unterstellung, die AfD-Wähler wüssten überhaupt nicht, was die freiheitlich demokratische Grundordnung sei, und forderte stattdessen bessere politische Aufklärung, um sie in die Lage zu versetzen, zu verstehen, wen sie mit der AfD eigentlich wählen. Wie das in der Praxis konkret aussehen soll verriet er dem fragenden Zuschauer freilich nicht. So blieb die Frage, wen die heutigen AfD-Wähler nach einem Parteiverbot eigentlich stattdessen wählen sollen, ungelöst; ebenso die Frage, wie AfD-Politiker auf ein Verbot reagieren würden. Nun, ich schätze dafür hätte man wohl tatsächlich mit statt nur über sie reden müssen.

An dieser Stelle sei mir eine persönliche Bemerkung gestattet, der ich von nun an der werten Leserschaft die Aufgabe abnehme, sich Hart aber Fair selber anschauen zu müssen: Dank an meine Vorgängerin Elisa David für die guten Wünsche – viel Durchhaltevermögen kann ich bei Louis Klamroth und Co sicher gut gebrauchen. Und Ironie, Sarkasmus und Zynismus sind mit Abstand meine Lieblingsstilmittel, also bin ich hoffentlich gut gewappnet. Aber statt einem doppelten Espresso bleibe ich dann doch lieber bei Mate. Ihr Marius Marx.

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