Tichys Einblick
McKinsey-Studie warnt

E-Auto-Wende könnte Europa 400 Milliarden Euro kosten

Die europäische Autoindustrie, die 2023 fast zwei Billionen Euro zur Wirtschaftsleistung des Kontinents beigetragen hat, steht vor einem gewaltigen Umbruch. Eine aktuelle Studie warnt, durch die vollständige Umstellung auf Elektroantriebe könnte bis zu ein Fünftel dieses Beitrags verloren gehen. Von Hannes Märtin

picture alliance / Jochen Eckel | Jochen Eckel

Die Unternehmensberatung McKinsey schlägt Alarm: Europäische Autohersteller geraten zunehmend unter Druck. Der Studie zufolge droht der weltweite Marktanteil der europäischen Autoindustrie im Zuge des Umstiegs auf Elektromobilität von derzeit 60 % auf 45 % zu sinken. Damit könnten bis zu 400 Milliarden Euro an Wertschöpfung verloren gehen. Erwähnenswert: Die Automobilbranche beschäftigt mit fast 14 Millionen Menschen, etwa 6 % aller Arbeitnehmer in Europa.

Die starke Konkurrenz aus Asien erobert immer größere Marktanteile und verdrängt nach und nach europäische Hersteller und deren Zulieferer. In diesem Marktsektor ist es den europäischen Herstellern schlichtweg nicht möglich beim Preis-Leistungs-Verhältnis mitzuhalten.

Hinzu kommen die ineffiziente Energieversorgung, die besonders in Deutschland spürbar ist, sowie die unzureichende Ladeinfrastruktur, Engpässe bei der Batteriebeschaffung, sowie Softwareprobleme, die mit der E-Mobilität einhergehen. Diese und weitere Faktoren tragen dazu bei, dass Elektroautos derzeit keine effektive Alternative gegenüber Pkws mit Verbrennern darstellen.

Um die prognostizierte Batteriekapazitätslücke von 500 GWh bis 2030 zu schließen, wären rund 20 neue Batteriefabriken notwendig – ein Vorhaben, das Investitionen von über 35 Milliarden Euro erfordert.

Die Herausforderung ist jedoch nicht auf Batterien begrenzt: Auch Europas Abhängigkeit von Halbleiterimporten bleibt kritisch. Der europäische Anteil an der globalen Halbleiterproduktion liegt derzeit noch unter 10 Prozent, während der Verbrauch doppelt so hoch ist. Trotz der Einführung des „European Chips Act‟, einem 43-Milliarden-Euro-Paket zur Förderung der Halbleiterindustrie, reicht dieses Maßnahmenpaket bei Weitem nicht aus, um das strukturelle Defizit zu beheben.

Für die Errichtung einer ausreichenden Anzahl neuer Chip-Fabriken werden schätzungsweise 190 Milliarden Euro benötigt. In diesem Kontext sieht es insbesondere für Deutschland düster aus, denn das von Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck angepriesene und mit 30 Milliarden Euro subventionierte Intel-Werk in Magdeburg wurde aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des US-Konzerns vorerst auf Eis gelegt.

Obwohl Intel-CEO Pat Gelsinger erklärte, dass die Verzögerung voraussichtlich nur etwa zwei Jahre betragen werde, bleibt angesichts der aktuellen Krise beim Technologiekonzern die Frage im Raum, ob die Fabrik tatsächlich jemals vollendet werden wird.

Intels Schulden belaufen sich derzeit auf gigantische 122 Milliarden US-Dollar. Zudem droht Intel, einst Marktführer im Halbleiterbereich, von seinem Konkurrenten Qualcomm übernommen zu werden. Laut dem Wall Street Journal könnte der Kaufpreis für Intel bis zu 90 Milliarden US-Dollar betragen. Eine Übernahme durch Qualcomm könnte das sichere Aus für die Fabrik in Magdeburg bedeuten.

Die eklatante Unterversorgung im Bereich der Batteriekapazitäten und der Halbleiterindustrie verdeutlicht: Das Geschäft mit E-Autos scheint den Europäern schlichtweg nicht zu liegen.

Wäre man dem Erfolgspfad der Verbrennermotoren treu geblieben – einer Technologie, die über Jahrzehnte etabliert und profitabel war – hätte die Automobilkrise, in der Europa aktuell steckt, womöglich vermieden werden können.

Diese verfahrene Situation ist maßgeblich der ideologisch geformten Politik der Europäischen Union zuzuschreiben, die durch strikte Flottengrenzwerte und hochgesteckten Klimaziele die Automobilindustrie massiv unter Druck setzt.

Die Flottengrenzwerte für Pkw in der EU sehen seit 2021 strenge Vorgaben vor: Ein CO2-Grenzwert von 95g/km für neu zugelassene Fahrzeuge gilt bereits, und bis 2030 müssen die Emissionen um 37,5 % im Vergleich zu 2021 gesenkt werden. Ab 2035 sollen dann nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden. Ob diese unrealistischen Ziele tatsächlich umgesetzt werden können, erscheint jedoch zunehmend fraglich.

Die Realität zeigt, dass zahlreiche große Automobilhersteller ihre Klimaziele bereits revidieren. Die E-Mobilität, einst als Heilsbringer gefeiert, verliert zunehmend an Attraktivität – ein klarer Indikator ist der dramatische Nachfrageeinbruch in Deutschland, wo im August ein Rückgang der E-Auto-Verkäufe um 70 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum verzeichnet wurde. Dieser Abwärtstrend zeigt wie unprofitabel das Geschäft mit den Elektroautos für europäische Hersteller und Zulieferer geworden ist.

Das sieht auch der europäische Automobilherstellerverband ACEA so. In einem aktuellen Bericht des Bloomberg-Magazins forderte der ACEA die Europäische Union eindringlich dazu auf, die Klimaziele zu überdenken und gegebenenfalls zu verschieben. Andernfalls, so warnt der Verband, könnten katastrophale Konsequenzen für die europäische Automobilindustrie drohen.

Diese Einschätzung wird von immer mehr europäischen Automobilherstellern geteilt. So hat der Vorsitzende des Aufsichtsrats von VW, Hans Dieter Pötsch, bereits eine signifikante Anpassung der CO2-Ziele für 2025 und 2035 gefordert. Auch Mercedes hat seine ursprünglichen Ambitionen, bis 2030 vollständig auf Elektrofahrzeuge umzusteigen, drastisch auf 50 % reduziert. Zudem hat Renault seine Pläne, ab 2030 ausschließlich Elektroautos anzubieten, erheblich zurückgefahren, der angestrebte Börsengang der Elektrosparte Ampere wurde ebenfalls abgesagt.

Anhand der genannten Beispiele wird deutlich: Es ist dringend notwendig, dass die Europäische Union ihre Klimapolitik überdenkt, andernfalls riskiert man die vollständige Zerstörung bzw. Abwanderung der Automobilindustrie und der unzähligen Arbeitsplätze.

Die Lage ist eigentlich ganz simpel – europäische Automobilkonzerne bedienen einen internationalen, milliardenschweren Markt. Die 16 größten Autokonzerne der Welt erzielten im ersten Quartal 2023 einen Gesamtumsatz von 494 Milliarden Euro. Dies deutet auf einen jährlichen Umsatz von rund 2 Billionen Euro allein für die größten Hersteller hin – beeindruckende Zahlen!

Wenn es für VW, Mercedes, BMW & Co. also ums Überleben geht, und die Nachfrage nach E-Autos weiterhin stagniert, während die Nachfrage nach Verbrennern beständig bleibt, ist es gut möglich, dass diese Unternehmen die Reißleine ziehen. Sie könnten Europa und der Elektromobilität den Rücken kehren und sämtliche Produktionswerke sowie Stellen ins Ausland verlagern. Das wäre ein gravierender Schlag für die europäische Wirtschaft, aber leider ist dieses Szenario nicht allzu unrealistisch.

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