Es war schon ein Balanceakt, als Giorgia Meloni vor der UN-Generalversammlung in New York sprach und an ihre Forderung von vor einem Jahr erinnerte, „den Menschenhändlern weltweit den Kampf anzusagen“. Diese „kriminellen Organisationen“ lassen laut Meloni „eine Sklaverei“ in neuer Gestalt aufleben, „verstanden als die Kommerzialisierung des Menschen“. Und eigentlich – so fand Meloni – müsse doch klar sein, dass gerade die UN gegen so etwas eintreten.
Manchmal stimmen Realität und Ideal aber einfach nicht überein. Meloni schlug die Methode „Folge dem Geld“ vor, um herauszubekommen, wer diese Migration zulässt und unterstützt. Die Methode führte sie auf jene italienischen Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino zurück, die der Mafia den Kampf angesagt hatten.
Migration als mafiöses Geschäft – das beschreibt die heutige Realität durchaus. Mit ihrer Methode müsste Meloni aber bald auch bei UN-unterstützten „Nichtregierungsorganisationen“ ankommen, die die Migration in Alter wie Neuer Welt erleichtern. Auch die G7 haben sich laut Meloni auch auf eine „internationale Koordinierung zur Zerschlagung dieser kriminellen Netze“ verständigt. Aber gefolgt ist daraus nicht viel.
Und auch die Folgen der Zuwanderung können wiederum mafiös sein, wie eine Krake, die sich allmählich immer weiter ausbreitet, etwa in Form von bisher nicht gesehener Kriminalität. So geschieht es derzeit in Skandinavien. Nach Dänemark meldet auch Norwegen Probleme mit „Kindersoldaten“ aus Schweden, die gezielt für Bombenanschläge und andere Verbrechen eingesetzt werden – nicht mehr nur in den schwedischen Vorstädten, sondern auch in den Nachbarländern. Die Parole ist damit nicht mehr: „Folge dem Geld“, sondern: „Folge der brennenden Lunte“. Schweden hieß die Migranten 2015 willkommen und beherbergte sie seitdem in Parallelgesellschaften. Die Folgen spüren nun auch die Nachbarn.
Melonis Zukunftsmusik wird Realität
Vor einem Jahr war es auch, dass Meloni eine Videoansprache veröffentlichte (geteilt etwa auch hier auf der Seite von Il Sole 24 ore), die in diesen Tagen wieder viel geteilt wurde. „Wir haben unsere Position nicht geändert“, sagte sie darin unter anderem. Soll heißen: Ihre Fratelli-Partei steht auch nach der Regierungsübernahme für eine deutliche Einschränkung der illegalen Zuwanderung und, wie sie in dem Video sagt, für die Zurückweisung und Abschiebung der meisten illegalen Zuwanderer.
Das war damals noch Zukunftsmusik. Gerade hatte Italien ein weiteres Katastrophenjahr in Lampedusa erlebt. Doch die damals eingeführten Maßnahmen – vor allem eine Ausweitung des Gewahrsams und erste Anstrengungen zu Rückführungen – haben spätestens in diesem Jahr Früchte getragen: An der italienisch-französischen Grenze werden inzwischen deutlich weniger illegale Grenzübertreter bemerkt als sonst üblich.
Vom Anfang des Jahres bis Mitte September sind die illegalen Einreisen nach Italien im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 65,4 Prozent zurückgegangen – also um zwei Drittel. Auch im Vergleich zum Jahr 2022 ist das noch ein Rückgang um 33,8 Prozent oder ein Drittel. Der Erfolg wird vor allem auf einen neuen Umgang mit den Ländern Nordafrikas, aber auch des Nahen Ostens und Balkans zurückgeführt. In Tunesien hat man EU-Gelder auf den Weg geschickt, um den Präsidenten Kais Saied zum Grenzschutz zu ermutigen.
Im Mai diesen Jahres wurde ein Polizist im Mailänder Bahnhof Lambrate von einem Marokkaner lebensgefährlich mit einem Messer verletzt, nachdem der Täter zuvor Steine auf Passanten geworfen hatte. Der Polizist musste mehrfach operiert werden. Es war ein Fall vergleichbar mit dem Attentat im deutschen Mannheim, insofern auch hier ein öffentlicher Ordnungshüter in den Kampf des Marokkaners mit der ihm fremden Gesellschaft verwickelt wurde. Ein Wecksignal für jede Gesellschaft. Daraus folgte in Italien – hierzulande weitgehend unbemerkt – eine Diskussion um die Rückführungen illegaler Zuwanderer. Denn auch der Marokkaner hätte schon vor Zeiten ausreisen müssen.
Vom Drehkreuz-Schiff ins Abschiebungszentrum
Im Oktober sollen nun die beiden italienischen Asylzentren in Albanien in Betrieb genommen werden. Es geht um zwei Arten von Zentrum, von jeder Art eins: das in Shengjin, einem Küstenort mit kleinem Hafen, soll der Identifikation dienen. Im anderen, deutlich größeren Zentrum in Gjader werden die Schnellasylverfahren von 28 Tagen stattfinden. Außerdem gibt es hier Abschiebe- und Haftplätze (etwa für diejenigen Migranten, die ein Wiedereinreiseverbot missachtet haben; Strafe: ein bis vier Jahre). Die Lager werden in Deutschland als besonders spartanisch geschildert, aber für den italienischen Militärattaché der Botschaft in Tirana haben sie „alle notwendigen Annehmlichkeiten“. So unterscheiden sich manchmal die Ansichten im „einigen Europa“.
Mit Amüsement wurde bemerkt, dass in der Nähe der Einrichtung von Shengjin ein Restaurant mit einem sehr italienischen Thema eröffnet hat. Es ist die „Trattoria Meloni“, die durchweg mit Portraits der Premierministerin geschmückt ist – gezeigt wird Meloni von dem Künstler nicht immer mit vorteilhafter Mimik, aber doch mit Charakter. Der Wirt soll ein Fan sein, der Maler angeblich nicht; auch das wäre eine typische soziologische Verteilung. Die Einrichtung in Shengjin soll aber grundsätzlich beliebt sein, weil durch sie Arbeitsplätze in der Küstenregion ziemlich im Norden des Landes, nahe der Grenze zu Montenegro, entstehen. Gjader liegt ein paar Kilometer landeinwärts.
Bis vor kurzem war allerdings nicht klar, welche Migranten genau in die beiden Lager kommen sollen. Diesen Baustein des italienischen Albanien-Plans enthüllte die kommunistische Tageszeitung Il manifesto, inzwischen auch die britische Times (hinter Bezahlschranke). Geplant ist demnach, dass ein Drehkreuz-Schiff („nave hub“) südlich von Lampedusa in internationalen Gewässern liegen wird, die zugleich zur italienischen Such- und Rettungszone (SAR) zählen. Das Schiff dient dabei als erster Gewahrsam für illegale Migranten und entlässt nur Frauen, Kinder, „Vulnerable“ und Familien direkt nach Lampedusa. Auch junge Männer können dem Gewahrsam entgehen, wenn sie einen Pass besitzen.
Die meisten Verfahren sollen mit Ablehnung enden
Bei den allein reisenden, jungen Männern ohne Pass – das ist natürlich die Mehrheit der Rübermacher – muss als nächstes die Nationalität festgestellt werden. Letztlich ist nur für Bürger aus den 22 offiziellen „sicheren Herkunftsstaaten“ ein Schnellasylverfahren von 28 Tagen in den albanischen Lagern möglich.
Zu den sicheren Herkunftsländern gehören seit längerem Albanien, Algerien, Bosnien-Herzegowina, Kap Verde, die Elfenbeinküste, Gambia, Georgien, Ghana, Kosovo, Marokko, Montenegro, Nordmazedonien, Nigeria, Senegal, Serbien und Tunesien. Im Mai kamen Ägypten, Bangladesch, Kamerun, Kolumbien, Peru und Sri Lanka dazu. Kurz davor hatten sich die Ankünfte von Ägyptern und Bangladeschern gehäuft. Es wird erwartet, dass die meisten Verfahren mit einer Ablehnung enden werden, weil die Liste der sicheren Staaten so umfassend ist.
Daneben verfügt die Anlage von Gjader über eine Abschiebehaft. In einem anderen Teil soll der Strafvollzug möglich sein, etwa wegen Verletzung eines Wiedereinreiseverbots (ein bis vier Jahre Haft). Auf dem Drehkreuz-Schiff und in Albanien wird vermutlich auch der UNHCR sowie die Internationale Organisation für Migration (IOM) vertreten und beteiligt sein.
Interesse an diesem Modell hat merkwürdigerweise auch Keir Starmer gezeigt. Er beobachtet die italienischen Fortschritte in Albanien angeblich mit Argusaugen. Britische Beamten hatten viele Fragen dazu an die albanische Führung. Daneben ist Starmer aber vor allem wegen der starken Reduktion der Ankünfte in diesem Jahr interessiert, die Italien erreichen konnte. Und nun brachte sogar der linke Guardian ein halbwegs positives Stück über Meloni, stellte zumindest das ihr freundlich gesonnene Giornale fest.
Der neue Hang zu Abschiebungen
Daneben hat die Regierung verschiedene andere Maßnahmen ergriffen, um Rückführungen zu erleichtern. Anfang des Jahres musste sich der italienische Innenminister Matteo Piantedosi (parteilos, aber der Lega und Salvini nah) korrigieren: Auch Asylbewerber können unter den aktuell gültigen Einwanderungsgesetzen in Abschiebe- oder Rückführungszentren (Centri di permanenza per il rimpatrio, CPR) kommen, und zwar in Entscheidungen von Fall zu Fall, etwa wenn dem Migranten schwerwiegende Verbrechen vorgeworfen werden, wenn er „eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt“ oder es zumindest guten Grund gibt, ihn für gefährlich zu halten. Daneben gilt auch „Fluchtgefahr“ als hinreichender Grund für eine Gewahrsamsverhängung. Allerdings gibt es auch noch eine Obergrenze für die Dauer des Gewahrsams: 18 Monate. Was nach deren Ablauf passiert, ist unklar.
Diese Rechtsnormen aus dem gesetzesvertretenden Dekret Nr. 142 von 2015 zielen auf Straftäter und Gefährder ab. Erlassen wurden sie indes lange, bevor Matteo Salvini oder Giorgia Meloni an die Regierung vorrückten. Aber natürlich kann eine neue Regierung von solchen Regelungen intensiveren Gebrauch machen. Allerdings gab es im ersten Halbjahr 2024 wohl auch nur 9000 Abschiebungen in Italien, was keine wahnsinnig hohe Zahl ist. Nun fürchtet man die „toghe anti-rimpatri“, die „Richter gegen Abschiebungen“ – nicht anders als in Großbritannien oder Deutschland.
Die neue Regierung hat darüber hinaus einige Dekrete beschlossen, darunter das sogenannte Cutro-Dekret nach dem Küstenort, vor dem einige Migranten im Frühjahr 2023 Schiffbruch erlitten. Im März 2023 beschlossen, wurde das Dekret im Mai durch Parlamentsvotum Gesetz. Im Cutro-Dekret wird festgelegt, dass im Falle anhaltender Ankünfte in einer Region auch solche Migranten in Rückführungszentren untergebracht werden können, auf die ein „beschleunigtes Grenzverfahren“ angewandt wird, das in solchen krisenhaften Zeiten möglich ist. Zusammen mit der erhöhten Zahl an sicheren Herkunftsstaaten schnürt sich so langsam ein Paket wie von selbst, dass als negativer Anreiz gegen die illegale Migration dienen sollte. Zieht sich also das Netz zu? Gelingt es Italien vom Einfallstor für die Illegalen zur Festung zu werden? Darüber wird der Erfolg der verschiedenen Maßnahmen entscheiden.
Rimpatrio – Remigratio?
Seit letztem Jahr hat die Regierung angekündigt, in allen 20 Regionen des Landes Abschiebezentren zu errichten, vor allem auch für abzuschiebende Migranten aus sicheren Herkunftsstaaten. Neue Zentren sollen etwa in Kalabrien und Kampanien entstehen, zudem ein weiteres auf Sizilien, wo mit Pozzallo schon ein Zentrum arbeitet.
Die Zentren sollen abseits von Siedlungen, aber bevorzugt in der Nähe eine Flughafens entstehen. Außerdem arbeitet man an der Vereinfachung der entsprechenden Verfahren zur Rückführung oder Remigration, wie man das italienische „rimpatrio“ vielleicht auch übersetzen könnte. Die Worte sind jedenfalls nahe beieinander.