Sah es kürzlich noch danach aus, dass die Sperrminorität gegen die Chatkontrolle in der EU wackeln könnte, hat die ungarische Ratspräsidentschaft nach der Ankündigung der Niederlande, bei der Abstimmung nicht für die Verordnung zu stimmen, die Chatkontrolle wieder von der Tagesordnung genommen. Mit dem Entschluss der Niederlande steht vorerst wieder die benötigte Sperrminorität, die ungarische Ratspräsidentschaft kündigte jedoch an, weitere Gespräche mit den Mitgliedstaaten zu führen, um doch noch einen Konsens zu erreichen. Bereits beim Treffen der Justiz- und Innenminister am 9. und 10. Oktober könnte die Chatkontrolle wieder auf der Tagesordnung stehen.
Kritiker der Verordnung zeigten sich daher nur vorsichtig optimistisch. „Dass die Chatkontrolle von der Tagesordnung genommen wurde, zeigt, dass eine aktive digitale Zivilgesellschaft in allen EU-Staaten nötig ist, um das Gesetz zu verhindern“, so Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Dennoch scheint der vermehrte Druck der vergangenen Wochen gegen die Chatkontrolle Wirkung zu zeigen. Erst kürzlich hatten mehr als 300 Wissenschaftler auch vor dem neuesten Entwurf der Ungarn gewarnt. Auch die Gesellschaft für Informatik (GI), die Internationale Dachorganisation der Informatik-Gesellschaften Council of European Informatics Societies (CEPIS) sowie das Forschungszentrum Informatik (FZI), eine Initiative des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums und der Uni Karlsruhe, liefen Sturm gegen den neuesten Vorstoß zur Durchsetzung der Verordnung.
Aber nicht nur Digital- und Grundrechtsorganisationen, auch der niederländische Geheimdienst AIVD übt scharfe Kritik an der Chatkontrolle, da die geplanten Anordnungen für Anbieter von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation ein zu großes Sicherheitsrisiko darstellen würden. Das angedachte Client-Side-Scanning auf Endgeräten würde ein „zu großes Sicherheitsrisiko für die digitale Widerstandsfähigkeit der Niederlande darstellen“, erklärte der niederländische Justizminister David van Weel. Laut AIVD würde die „Einführung einer Scan-Anwendung auf jedem Mobiltelefon“ ein komplexes und umfangreiches System darstellen, das Risiken für die digitale Belastbarkeit mit sich brächte.
Unterstützung bekommt die niederländische Position dabei sogar von der Opposition. GroenLinks (Grüne) und PvdA (Partei der Arbeit) plädierten ebenfalls für einen evidenzbasierten Ansatz, der Privatsphäre schütze und Kindesmissbrauch wirksam bekämpfe. Das immer wieder vorgebrachte Argument lautet, dass die bei der Chatkontrolle zum Einsatz kommende Technik ungeprüft und fehleranfällig sei. Der Massenüberwachung der europäischen Bevölkerung würde somit Tür und Tor geöffnet.
Deutschland ist einer der vehementesten Gegner der Chatkontrolle. Justizminister Marco Buschmann meinte, die Chatkontrolle habe „in einem Rechtsstaat nichts zu suchen“. Auch der EU-Abgeordnete Moritz Körner von der FDP richtete eindringliche Worte an die Kommission, sie müsse „endlich erkennen: wenn man ein totes Pferd reitet, sollte man absteigen“. Die Position Deutschlands bleibe in der Hinsicht deutlich: „Massenhaftes und anlassloses Scannen privater Kommunikation ist ein massiver und ungerechtfertigter Eingriff in die Privatsphäre“, so Buschmann.