Der Bundestag hat am 26. September 2024 einen Entwurf für das Bürokratieentlastungsgesetz IV angenommen. Im Oktober muss der Bundesrat noch seine Zustimmung erteilen. Für den Entwurf stimmten SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dagegen die Gruppe Die Linke; die AfD-Fraktion enthielt sich. Mit dem Gesetz soll die Wirtschaft jährlich um rund 944 Millionen Euro entlastet werden. Dazu ist unter anderem vorgesehen, Aufbewahrungspflichten für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht von zehn auf acht Jahre zu verkürzen. Ein Schelm, der, so er Cum-Ex, Cum-Cum und Warburg-Bank im Hinterkopf hat, Schlechtes dabei denkt! Es geht ja „nur“ um bis zu 40 Milliarden, um die der deutsche Fiskus, das heißt der deutsche Steuerzahler, in den letzten zwanzig Jahren geprellt wurde.
Aus dem Rechtsausschuss heißt es unterdessen, dass diese Regelung „mit Blick auf laufende Cum-Ex-Ermittlungsverfahren“ angepasst wurde. Die Vorgabe für Personen, Banken und Finanzdienstleister soll erst mit einem Jahr Verzögerung gelten. „Die Einschränkung dient dem Zweck, laufende Cum-Ex-Ermittlungsverfahren durch die als bloße Entbürokratisierungsmaßnahme intendierte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen nicht zu beeinträchtigen oder zu erschweren“, heißt es. Das dürfte den Strafverfolgungsbehörden aber nur wenig zeitlichen Spielraum verschaffen.
Während die Ermittlungen zu Cum-Ex-Fällen schon weit fortgeschritten sind, stehen Fahnder im Cum-Cum-Komplex, an dem deutlich mehr kleinere Banken aus ganz Deutschland beteiligt waren, noch ganz am Anfang. Die Schredder könnten also bald angeworfen werden.
Bänker Olearius: Vor Gericht nicht verhandlungsfähig, aber fähig, alle Register zu ziehen
Der vormalige Chef der Hamburger Privatbank Warburg, Christian Olearius, ist eine der zentralen Figuren in diesem Skandal. Er war unter anderem Gesprächs- und mutmaßlich auch Verhandlungspartner von Olaf Scholz in dessen früherer Eigenschaft als Erster Hamburger Bürgermeister; an den Inhalt der Gespräche kann sich Scholz nicht erinnern. Olearius war zudem Gesprächspartner des SPD-Genossen Johannes Kahrs; das ist der mit den 200.000 Euro in bar im Schließfach.
Olearius kommt offenbar ungeschoren davon. Das Cum-Ex-Strafverfahren gegen ihn wurde Ende Juni 2024 eingestellt. Das verfügte das Bonner Landgericht (LG) mit Urteil vom 24.06.2024 (Az. 63 KLs 1/22). Grund dafür ist die angeschlagene Gesundheit des 82-Jährigen.
Dennoch hat Olearius nun ein weiteres Register aus seinem Repertoire gezogen. Vor Gericht zwar nicht verhandlungsfähig, hat er sich aktuell über seine Anwälte die Ex-Staatsanwältin Anne Brorhilker vorgenommen. Brorhilker hatte der Justiz in Deutschland vorgehalten, dass sie eine Zwei-Klassen-Justiz sei. Nach dem Motto: Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen. Da fiel auch der Name Olearius.
Olearius’ Anwälte argumentieren so: Brorhilker habe „vorsätzlich und bewusst unvollständige und falsche Sachverhalte zur Grundlage ihrer Anklagen gemacht“. Ein Kronzeuge der Staatsanwaltschaft habe zudem in mindestens sechs Fällen vor dem Landgericht Bonn bewusst die Unwahrheit gesagt und Olearius und weitere Personen zu Unrecht belastet.
Kern der Vorwürfe der Olearius-Anwälte ist ein im Lauf des Prozesses angeführtes Beratungsgespräch, in dem es zu einer Tatverabredung gekommen sein soll. Der betroffene Kronzeuge hatte laut Mitteilung ausgesagt, er habe „Anfang des Jahres 2007“ an dem Beratungsgespräch in Anwesenheit von Olearius in der Warburg-Bank teilgenommen. Nach Auswertung von Kalendereinträgen sowie Mail-Daten könne gesichert ausgeschlossen werden, „dass es zu einer solchen Tatverabredung überhaupt gekommen ist. Es hat auch einen solchen Termin nie gegeben“, hieß es in der Mitteilung. Brorhilker aber habe in mehreren Anklageschriften unwahre und unvollständig belastende Aussagen von Kronzeugen als wahr und vollständig beziehungsweise ausreichend dargestellt, lautet der Vorwurf. Hinweise auf Täuschungen der Kronzeugen habe Brorhilker unterschlagen.
Erst jüngst freilich hatte Olearius einen Gerichtserfolg verbucht. Er hatte gegen das Land NRW geklagt, weil er sich durch Äußerungen von zwei Beamten öffentlich vorverurteilt sah. Das Kölner Verwaltungsgericht gab Olearius großteils recht. Die ARD hatte 2021 eine Dokumentation ausgestrahlt, in der Brorhilker zu Wort kam; Olearius wurde in dem Film gezeigt und namentlich genannt.
Nicht erfolgreich war Olearius vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Hintergrund: Im ersten Strafprozess um die Cum-Ex-Deals hatte das Landgericht Bonn im Jahr 2020 zwei britische Aktienhändler zu Bewährungsstrafen verurteilt, der Bundesgerichtshof hatte dies ein Jahr später bestätigt. Olearius selbst war in diesem Prozess zwar nicht angeklagt, kritisierte aber, dass er dort vorverurteilt worden sei. Der frühere Chef der Hamburger Privatbank M. M. Warburg sah sich daher in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. Das sahen die Straßburger Richter anders. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat eine Beschwerde des Hamburger Bankiers Christian Olearius am 17. September 2024 abgewiesen.
Nochmal: Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen, weil sie sich für Zigtausende Euro Anwälte leisten können. Aus welchen Töpfen wohl?
Cum-Ex-Chronologie
In den Cum-Ex-/Cum-Cum-Skandal sind zahllose, auch namhafte Banken verwickelt. Um nur ein paar Namen zu nennen: Deutsche Bank, Commerzbank, Deka, Hypo-Vereins-Bank, Hamburg Commercial Bank, Warburg-Bank, Macquarie (Australien), Maple Bank (Kanada), Bank J. Safra Sarasin Bank (Schweiz) usw. Das Handelsblatt hat für die Jahre 1999 bis Januar 2022 mit 140 Einzelstationen eine beeindruckende Chronologie des Skandals erstellt. Nachfolgend Auszüge daraus. „Warburg“ kommt darin 18-mal, Warburg-Mann Olearius 4-mal, Olaf Scholz 3-mal vor (siehe ohne Bezahlschranke).
15. Dezember 1999: Der Bundesfinanzhof (BFH) entscheidet, dass das wirtschaftliche Eigentumsrecht an einer Aktie bereits beim Kauf an den Erwerber übergeht. Dies gilt auch dann, wenn die Aktien erst später geliefert werden. Damit ermöglicht der BFH, dass es bei Cum-Ex-Deals steuerrechtlich zwei Eigentümer geben kann.
20. Dezember 2002: Der Bundesverband deutscher Bank moniert beim Bundesfinanzministerium, dass Banken bei Leerverkäufen um den Dividendenstichtag Steuerbescheinigungen für beide beteiligten Parteien ausstellen. Auch dann, wenn nur eine Steuer abgeführt wurde.
2005 bis 2008: Die Deals nehmen Fahrt auf. Im Eigenhandel setzen etliche Banken beim Handel mit Aktien rund um den Dividendenstichtag Milliarden von Euro um. Die Kapitalertragsteuer-Erstattung ist dabei der entscheidende Renditehebel.
2007: Mit dem Jahressteuergesetz will der Gesetzgeber die Cum-Ex-Deals in den Griff kriegen. Er verbietet den Aktienhandel über inländische Banken. Folge: Nun werden die Geschäfte über ausländische Depotbanken abgewickelt. Viele Banken erhöhen nach der Gesetzesänderung sogar noch einmal den Einsatz.
28. November 2012: Spektakuläre Razzia: Über 60 Staatsanwälte, Steuerfahnder und Polizeibeamten filzen Büros der Hypo-Vereinsbank, der deutschen Niederlassung der Bank J. Safra Sarasin und weitere Objekte. Im Fokus der Ermittler steht auch der Steueranwalt Hanno Berger. Berger setzt sich in die Schweiz ab.
23. Oktober 2014: Die Staatsanwaltschaft Köln startet zusammen mit Schweizer Kollegen eine Großrazzia im Umfeld der Bank J. Safra Sarasin gegen mehr als 30 Personen. Zu den Beschuldigten gehört auch Steueranwalt Dr. Hanno Berger.
Januar 2016: Die Staatsanwaltschaft Köln startet Ermittlungen gegen Verantwortliche der Privatbank M.M. Warburg. Es geht um einen Steuerschaden von rund 150 Millionen Euro.
Februar 2016: Der Bundestag beschließt auf Initiative der Bundestagsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke einen Untersuchungsausschuss zu „Cum-Ex“ einzurichten.
11. März 2016: Medien berichten, dass die Finanzbehörden Banken, Fonds und Investoren für die Cum-Ex-Geschäfte je Fall bis zu 750.000 Euro Steuern auszahlten – ohne Prüfung. Nur bei höheren Beträgen haben die Beamten genauer hingeschaut.
19. Juli 2016: Der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss eruiert: Die Steuerbetrüger blieben lange unbehelligt, weil sich die verschiedenen zuständigen Behörden kaum austauschten.
20. Juni 2017: Der Untersuchungsausschuss des Bundestags schließt seine Arbeit ab. Auf einen einheitlichen Abschlussbericht zu dubiosen Dividendengeschäften können sich die Parlamentarier aber nicht einigen.
2. August 2017: In der größten Finanzaffäre der Republik spielen Wissenschaftler mit bezahlten Gutachten eine unrühmliche Rolle. Im Fokus steht vor allem ein renommierter Steuerrechtsexperte der Universität Münster.
3. Mai 2018: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt will sechs Männer zur Verantwortung ziehen. Im Mittelpunkt: der Ex-Finanzbeamte Hanno Berger.
7. November 2018: Eine Razzia findet unter anderem bei dem weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock statt.
10. Januar 2019: Die Deutsche Bank gerät stärker ins Visier der Cum-Ex-Ermittler. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Bank.
28. März 2019: Ein Prüfbericht der Bankenaufsicht Bafin bringt die Privatbank M. M. Warburg in eine schwierige Lage. Der bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte in Auftrag gegebene Bericht untermauert, dass Warburg ein massives Problem mit früheren Cum-Ex-Geschäften hat. Es geht um eine dreistellige Millionenhöhe.
7. Juni 2019: Die Staatsanwaltschaft Köln nimmt 80 Mitarbeiter der Deutschen Bank ins Visier.
9. Oktober 2019: Es gibt ein erstes Urteil: Der Geständige gibt zu, einen Ex-Geschäftspartner damit erpresst zu haben, dessen Cum-Ex-Aktivitäten publik zu machen.
14. Oktober 2019: Die jetzige Hamburg Commercial Bank beteiligte sich an mutmaßlich kriminellen Aktiendeals. Die Hamburger Staatsanwälte mochten nicht ermitteln. Die Sache ging an die Staatsanwaltschaft in Köln.
18. März 2020: Urteil im Strafprozess am Landgericht Bonn: Im Pilotprozess zum Steuerskandal kommen die beiden Angeklagten mit moderaten Strafen davon. Die M.M. Warburg Gruppe soll 176,5 Millionen Euro zahlen.
25. Mai 2020: Die Staatsanwaltschaft Köln versinkt in der Cum-Ex-Affäre in immer neuen Fällen. Inzwischen sind es allein in NRW Westfalen knapp 70 Ermittlungskomplex mit rund 900 Beschuldigten. Es drohen Verjährungen.
3. September 2020: Olaf Scholz (zu diesem Zeitpunkt Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat) gerät im Cum-Ex-Skandal um die Privatbank Warburg in Erklärungsnot. Berichten zufolge traf er Mitinhaber Christian Olearius öfter als bisher bekannt.
30. April 2021: Olaf Scholz will sich im Cum-Ex-Skandal an nichts erinnern. Scholz beklagt vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft „haltlose Schauermärchen“ im Zusammenhang mit der Warburg Bank.
16. März 2021: Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ermittelt schon seit acht Jahren in Deutschlands größtem Steuerskandal. Nun bekommt sie eine eigene Hauptabteilung im Kampf gegen das Milliardengeschäft.
25. März 2021: Der lange erwartete Cum-Ex-Strafprozess am Landgericht Wiesbaden beginnt ohne den Hauptdarsteller Hanno Berger.
1. Juni 2021: Ein deutscher Banker soll wegen Cum-Ex-Deals ins Gefängnis. Es trifft den früheren Generalbevollmächtigten der Privatbank M.M. Warburg, der laut Landgericht Bonn eng in die Geschäfte eingebunden war.
28. Juli 2021: Der Bundesgerichtshof bestätigt in einem Grundsatzurteil: Aktiengeschäfte zulasten der Steuerzahler waren strafbar. Die Entscheidung aus Karlsruhe hat weitreichende Folgen für die Finanzbranche.
23. September 2021: Ein Ex-Manager von Warburg Invest muss auf der Anklagebank Platz nehmen.
28. September 2021: Ermittler durchsuchen Privaträume des SPD-Politikers Johannes Kahrs. Es geht um den Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal. Kahrs führte Gespräche mit dem M.M. Warburg-Chef Olearius.
5. Januar 2022: Im größten Fall von Steuerkriminalität in Deutschland weitet die federführende Staatsanwaltschaft Köln ihre Ermittlungen massiv aus. Ab da sind dort 105 Verfahren anhängig. Die Zahl der Beschuldigten steigt auf 1350 …