Tichys Einblick
Achtung, Glosse!

Solar-Fähre an der Ostsee: Kein Schiff wird kommen

E-Fahrzeuge haben einen schlechten Ruf. Das Imageproblem resultiert aus einem Leistungsproblem: Außerhalb von Berlin hat sich herumgesprochen, dass E-Mobilität nur sehr selten wirklich alltagstauglich ist. Wie sich jetzt zeigt, gilt das nicht nur auf den Straßen, sondern auch auf dem Wasser.

picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE

„If it ain’t broken, don’t fix it“: Wenn’s nicht kaputt ist, repariere es nicht. Die uralte Lebensweisheit kennt bei den Angelsachsen buchstäblich jedes Kind.

Der deutsche Michel hat zwar geradezu panische Angst vor Sonderwegen – das hält uns aber nicht davon ab, es trotzdem immer wieder anders zu machen als die anderen Kinder, pardon, die anderen Völker. Irgendwie wohnt uns Teutonen einfach der mächtige (vor allem mächtig nervtötende) Drang inne, aller Welt unermüdlich zu zeigen, dass wir es besser wissen und besser können als irgendjemand sonst.

Vermutlich deshalb haben wir uns Regierungen zusammengewählt, die ohne jede Not alles Mögliche „transformieren“ wollen. Im großen Sandkasten außerhalb der Werbebranche bedeutet das: An Buddelförmchen, die prima funktionieren, wird so lange herumgebastelt, bis sie halt nicht mehr funktionieren.

So haben unsere Klassensprecher in ihrem Reform-Furor schon dafür gesorgt, dass das Musikkorps die einzig einsatzbereite Kompanie der Bundeswehr ist. Und gerade sorgen sie dafür, dass mit einem epochalen Energieaufwand versucht wird, Energie zu sparen.

Damit sind wir in Missunde.

Das ist ein süßer kleiner Ort an der Schlei, etwa fünf Kilometer östlich von Schleswig. Seit 1471 fährt dort eine Fähre über den idyllischen Ostsee-Fjord: 553 Jahre, erst mit Muskelkraft betrieben, dann mit Segeln, dann mit Dieselmotor.

Seit über sechs Jahrzehnten haben die Fähren „Missunde I“ und ihre Nachfolgerin „Missunde II“ unzählige Menschen über die Schlei gebracht – problemlos, zuverlässig, ohne Beschwerden und ohne jeden Zwischenfall.

„If it ain’t broken, don’t fix it.“

Vor ein paar Jahren nun kam die grünbewegte CDU von Schleswig-Holstein auf die Idee, die voll funktionsfähige Diesel-Fähre durch ein mehr im Zeitgeist schwimmendes Gefährt zu ersetzen. Für 3,3 Millionen Euro des Steuerzahlers wurde bei einer Werft die „Missunde III“ in Auftrag gegeben: eine Solar-Fähre, voll öko also. Cool.

Etwas weniger cool ist nun die Erkenntnis, dass die sauteure Fähre zwar theoretisch sauber fahren könnte, aber praktisch nicht sauber fährt – weil sie nämlich gar nicht fährt. Genauer: Sie kann nicht fahren. Die „Missunde III“ kommt gegen den Wind und die Strömung der Schlei nicht an.

Sie schafft es nie ans andere Ufer, was für eine Fähre eher schlecht ist. Kein Schiff wird kommen.

Wie in solchen Fällen üblich, setzen bei den Verantwortlichen nun zwei Reflexe ein: Bei der Schuldfrage schlagen sie sich schneller in die Büsche, als man „Regress“ sagen kann. Und sie suchen panisch nach schnellen Lösungen, damit das Desaster nicht so auffällt.

Der zuständige Landesbetrieb für Küstenschutz in Schleswig-Holstein wäscht seine Hände nicht in der Schlei, aber in Unschuld: Alle Beteiligten hätten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, was leise Zweifel sowohl am Wissen wie am Gewissen der Zuständigen aufkommen lässt. Von einer Fehlplanung will man in der Behörde, die dem grünen Umweltminister Tobias Goldschmidt untersteht, jedenfalls nicht sprechen, erst recht nicht von einer eigenen Verantwortung. Und ab in die Büsche.

Aus einer schnellen Lösung wird auch nichts, denn die nicht fahrende Solar-Fähre muss jetzt aufwändig umgebaut werden. Sie soll zwei neue sogenannte Bugstrahlruder bekommen. Vorher hatte man diese Manövrierhilfen für überflüssig gehalten. Der nachträgliche Einbau wird noch einmal richtig teuer – und vor allem: Er wird dauern. Lange. Sehr lange.

Die einzige Brücke über die Schlei in der Nähe steht in Lindaunis. Sie wird von der Deutschen Bahn schon seit 2020 saniert und ist nicht befahrbar. Eigentlich sollte sie 2025 fertig werden, doch die Bahn hat gerade erklärt, dass es länger dauern dürfte. Viel länger. Die einzige andere Fähre in der Region ist seit 2023 außer Betrieb. Für die notwendige Instandsetzung fehlt der zuständigen Stadt Arnis das Geld.

Nun können die netten Menschen an der Schlei ja aber nur schlecht durch den Meeresarm schwimmen. Irgendwann sind wieder Wahlen, und an sowas würden sich die Bürger dann wohl doch erinnern. Also soll die alte „Missunde II“ reaktiviert werden – Diesel hin, Diesel her.

Allerdings hatte die grüne Behörde die alte, böse, dreckige Fähre so schnell wie nur irgend möglich loswerden wollen – und sie deshalb nach Dänemark verkauft: zum Schrottpreis von 17.000.- Euro. Unsere Nachbarn haben dankend zugegriffen, Diesel-Fähren stehen dort nicht auf der Liste der unzüchtigen Verkehrsmittel.

Und die Dänen sind nicht nur pragmatisch, sondern auch geschäftstüchtig. Als sie vom Dilemma der schleswig-holsteinischen Weltverbesserer hörten, boten sie großzügig an, die „Missunde II“ wieder an die deutschen Nachbarn zurückzugeben: für nur 100.000.- Euro.

Ein echtes Schnäppchen also, oder?

Weil niemand weiß, wie lange es dauern wird, bis die neue Solar-Fähre wirklich einsatzbereit ist, hat die alte Diesel-Fähre eine Betriebsgenehmigung bis 2028 bekommen. Irgendwie scheint man jetzt auch im Amt nicht mehr so recht daran zu glauben, dass das Öko-Schiff fix in Fahrt kommt.

Jetzt fährt die „Missunde II“ wieder: problemlos, zuverlässig, ohne Beschwerden und ohne jeden Zwischenfall. Und eine Bürgerinitiative sammelt fleißig Unterschriften dafür, dass die Diesel-Fähre unbefristet weiterfahren darf.

„If it ain’t broken, don’t fix it.“

Es gäbe übrigens Dinge, die tatsächlich kaputt sind und unbedingt repariert werden sollten: unzählige Brücken zum Beispiel. Doch die rührt man so lange nicht an, bis sie halt einstürzen. Andererseits ist das vermutlich auch nicht weiter schlimm: Denn bald soll es ja nur noch E-Autos geben. Die sind bekanntlich ähnlich leistungsfähig wie Solar-Fähren. Also wird man bei uns in absehbarer Zeit gar nicht mehr viele Brücken brauchen.

Von den anderen Kindern will inzwischen niemand mehr mit uns spielen. Anders: Die früheren Gefährten weigern sich beharrlich, Dinge zu reparieren, die nicht kaputt sind.

Mal sehen, wem am Ende der Sandkasten gehört.

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