Man kann über die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und über die Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft Deutschlands umfangreiche Bücher schreiben oder hunderte Seiten an eloquenten Analysen vorlegen. Man kann den Zustand der Bundeswehr und damit Deutschlands aber auch einfach zu zwei Diagnosen komprimieren.
Erstens: Die Bundeswehr wurde vor allem in den 16 Jahren Merkel-Regentschaft (2005 – 2021) heruntergewirtschaftet. Ein Umdenken gab es nicht einmal, als Putin 2014 die Muskeln spielen ließ mit der Annexion der Krim und mit heftigen Drohgebärden gegen den Osten der Ukraine. Deutschland sonnte sich nach wie vor in der Lebenslüge, man sei ja seit 1990 nur noch von Freunden umgeben und könne nun die „Friedensdividende“ zugunsten sozialpolitischer Wohltaten unters Volk bringen.
Zweitens: Es war zu erwarten, dass an der desolaten Verfassung der Bundeswehr keine noch so hochtrabenden Ankündigungen in überschaubarer Zeit etwas ändern würden – auch wenn sie von höchster Regierungsstelle kamen. Drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 hielt Kanzler Olaf Scholz zwar seine (zu Recht?) hochgerühmte Rede zur „Zeitenwende“ und zum 100-Milliarden-„Sondervermögen“ (vulgo: Sonderschulden!) für die Bundeswehr. Scholz versprach: „Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten (…). Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“ Drei Monate später ging Scholz noch weiter: „Deutschland wird in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato verfügen.“ Ähnlich hochtrabend wie Scholz, ja schier martialisch, gab Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am 10. November 2023 vor der Bundeswehrtagung als Ziel der Ertüchtigung der Bundeswehr deren „Kriegstüchtigkeit“ aus.
Die deutsche Hilfe für die Ukraine muss argumentativ dafür herhalten, dass die Bundeswehr auf der Stelle tritt. Klar, Deutschland hat die Ukraine bislang mit Militärhilfen im Wert von 13,7 Milliarden unterstützt. Zum Beispiel wurden geliefert: 80 alte Leo-I-A5-Kampfpanzer, 18 Leo-2-A6-Kampfpanzer, 120 alte Marder-Schützenpanzer, 55 Flakpanzer Gepard und 14 Panzerhaubitzen 2000 (Stand 19. September 2024). Nachzulesen hier.
Aber diese Lieferungen können und dürfen nicht davon ablenken, dass die Bundeswehr kaum über den Zustand hinausgekommen ist, den der oberste Heeresgeneral Alfons Mais am 25. Februar 2022 so beschrieb: „(…) die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“.
Problemfall „Puma“
Man nehme allein den Schützenpanzer „Puma“, der längst den „Marder“ hätte ablösen sollen. Wenn der „Puma“ denn nicht so störanfällig wäre (TE berichtete). 111 Stück „Puma“ wollte die Bundeswehr aktuell haben. Ging nicht. Man reduzierte auf 50. Ging auch nicht: Jetzt gibt es nur „einige“ Exemplare für die Fahrschulen. Das Geld reicht nicht für mehr.
Wie ja überhaupt die 100 Milliarden spätestens 2026 zu Ende gehen und der reguläre Verteidigungsetat dann von rund 52 Milliarden auf 80 bis 90 Milliarden, manche sagen: auf 100 Milliarden jährlich, erhöht werden müsste, um an die ausgerufene „Kriegstüchtigkeit“ und an die „2 Prozent BIP-Anteil“ heranzukommen. Letzteres gelang zuletzt ja nur mit kreativer Buchführung.
Es dauert noch Jahrzehnte
Reicht es mit den schlechten Nachrichten? Nein, die Probleme sind noch viel größer. Das Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW) hat errechnet: Beim gegenwärtigen Beschaffungstempo wären die 2004er-Bestände der Bundeswehr (also vor zwanzig Jahren) bei Kampfjets in rund 15 Jahren, bei Kampfpanzern in rund 40 Jahren und bei Artillerie-Haubitzen erst in fast 100 Jahren erreicht. Russland dagegen braucht für den Aufbau solcher Bestände allenfalls ein halbes Jahr.
Die IfW-Autoren mahnen zudem an, dass die deutsche Budgetplanung nicht genügend Anreize für die Rüstungsindustrie biete, ihre Kapazitäten auszuweiten, weil unklar ist, wie viel Geld Deutschland nach Auslaufen des Sondervermögens für Verteidigung ausgeben will und kann. Moritz Schularick, IfW-Präsident, spricht Klartext: „Die Zeitenwende ist bislang nur eine Worthülse. Frieden gibt es dann, wenn das Regime in Moskau versteht, dass es einen Angriffskrieg in Europa militärisch nicht gewinnen kann. Dafür brauchen Deutschland und Europa glaubhafte militärische Fähigkeiten. Deutschland muss dafür ein angemessenes Verteidigungsbudget von mindestens 100 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung haben.“