Wenn die Linke mal untergehen wird, dann nicht, weil Louis Klamroth nicht mit allen verfügbaren Mitteln dagegen angekämpft hätte, diesmal mit dem Thema: „Die Gerechtigkeits-Debatte: Können wir uns die Reichen noch leisten?“ Dass da am Ende ein Fragezeichen steht, ändert wenig daran, dass es sich hierbei um einen vielfach bemühten Slogan der Linken handelt. Warum Klamroth damit gerade jetzt um die Ecke kommt – wo monatlich irgendein Unternehmen aus Deutschland abwandert –, wird nicht ersichtlich. Es gibt keinerlei aktuellen Bezug, niemand diskutiert gerade über Umverteilung oder Erbschaftssteuer.
Es ist nichts als ein Ablenkungsmanöver. Der Winter kommt und auf die inzwischen horrenden Supermarktpreise kommen jetzt auch noch die hohen Preise für Strom und Gas. Da braucht man rechtzeitig jemanden, auf den man diesen Wohlstandsverlust schieben kann. Und wer bietet sich besser an als die ominösen, mysteriösen oberen zehn Prozent? Die ganz wenigen, die viel mehr vom Kuchen haben als alle anderen, die im Bargeld schwimmen und ganz viele andere Reiche-Leute-Sachen mit ihrem Geld machen, die wir uns gar nicht vorstellen können.
Jane Austen hätte mit dieser Sendung ihre helle Freude gehabt. Die Vertreter der Reichen gaben in der Sendung die ganze Zeit damit an, wie viele ehrliche Arbeiter sie doch kennen, während die anderen in der Runde sich darum stritten, wer schon mit mehr Milliardären gesprochen hat. Die meiste Zeit aber streiten sich zwei Multimillionäre darüber, wie sie eine gerechte Welt gestalten wollen.
Star der Sendung war wohl Jan van Aken von der Partei Die Linke. Nicht weil er sich durch Genialität, Wortgewandtheit oder irgendein anderes Talent besonders hervorgetan hätte, sondern weil für ihn ja wohl diese ganze Sendung hier angeleiert wurde. Niemand interessiert sich heute noch für die Linken, doch er wird in der Primetime im Ersten mit seinem Lieblingsthema präsentiert. Van Aken hat seinen großen Auftritt auch genutzt. So erklärt er etwa, dass er „alle Milliardäre“ abschaffen wolle. Sein Feindbild sind die „unanständig Reichen“, wie er sie pikiert nennt.
„Unanständig reich“ findet er Menschen ab einem Vermögen von hundert Millionen, einer Milliarde. Die verdienen das Geld, das sie haben, einfach nicht. Deshalb will er es ihnen wegnehmen, so, wie sie es anderen vorher weggenommen haben. Für van Aken sind diese „unanständig Reichen“, die doch überhaupt nur deshalb so reich geworden sind, weil sie sich nicht genug „an unserem Gemeinwesen beteiligt“ haben, gleichzusetzen mit Einbrechern, einer „Gangster-Bande“. Deshalb sei der Begriff der Neiddebatte auch völlig fehl am Platz. „Die haben uns das weggenommen, wir wollen das wiederhaben!“, erklärt er – natürlich völlig frei von jeder Spur Populismus.
Gegen van Aken sollte Johannes Vogel von der FDP antreten – noch so eine Partei, die kurz vorm Abkratzen ist. Sein Auftritt war noch unwürdiger als der von van Aken. Das werde ich gar nicht ausschmücken, ich präsentiere Ihnen einfach ein Zitat von ihm: „Ich finde gut, dass es eine Erbschaftssteuer gibt.“ Niemand braucht sich zu wundern, weshalb die FDP nicht mehr gebraucht wird. Ja, die FDP ist angeschlagen, aber als Regierungspartei vor einem Sozialisten zu kapitulieren, der nicht mal mehr eine richtige Bundestagsfraktion hat, ist schon erbärmlich.
Louis Klamroth lässt sich in dieser Sendung natürlich geschickt außen vor. Obwohl er ja zum Thema sicher wertvolle Einblicke gewinnen konnte, seit er sich mit Luisa Neubauer in eine Erbin der Reemtsma-Millionärsfamilie verliebt hat. Ob wir uns die noch leisten können, wäre mal tatsächlich eine spannende Frage. Anders als die anderen Reichen muss man ja in der Familie Reemtsma chronisch die Welt verbessern – und in dem Zuge für uns alles teurer machen. Ist ja schön, dass Luisa erstmal die Welt bereisen konnte, bevor schon der Flug nach Malle für Normalsterbliche dank ihres Aktivismus’ endgültig unbezahlbar wird.
Hinzu kommen das künstlich verteuerte Fleisch, das künstlich verteuerte Benzin, das künstlich verteuerte Gas und alles andere, was uns unbedingt aberzogen werden soll. Ganz ehrlich: Das Gemeinnützigste, was ein Millionär oder Milliardär machen kann, ist, seine Kohle in Yachten, Autos oder Stripperinnen zu verpulvern. Hauptsache, sie setzen sich nicht in den Kopf, die Welt retten zu müssen.
Und auch Louis Klamroth steht nicht gerade schlecht da. Wie er in seiner Sendung selbst erklärt: Man gilt in Deutschland schon als reich, wenn man als Single 3.700 Euro im Monat verdient. Was nichts sonderlich Gutes über unsere Wirtschaft aussagt. Nun bekommt Louis Klamroth bereits um die 16.000 Euro pro Sendung, und wenn er nicht wieder plötzlich in einen mysteriösen Blitzurlaub abtaucht, macht er davon vier pro Monat. Können wir uns Louis Klamroth also noch leisten?
Ich für meinen Teil nicht. Und das nicht nur, weil Klamroth und die (ehemaligen) Bundestagsabgeordneten Jan van Aken und Johannes Vogel die einzigen in der Runde sind, die ich – oder noch viel eher Sie, denn ich zahle noch nicht so lange Steuern und Rundfunkbeitrag – tatsächlich bezahlen muss. Bei mir ist noch nie ein Millionär eingebrochen. Und ich bin auch nicht verpflichtet, meine Milch von einer bestimmten Marke zu kaufen. Aber wenn ich keine Steuern zahle, habe ich ein Problem. Und wenn ich meinen Rundfunkbeitrag nicht zahle, klingeln da bald nicht so nette Leute bei mir.
Doch auch auf einer ganz anderen Ebene kann ich mir Louis Klamroth nicht mehr leisten. Als ich eingeschult wurde, hieß es: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens.“ 18 Jahre später ist es endlich so weit. Ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Studium angekommen, wo es ernst wird. Da kann ich mir die nächtlichen Affären mit Louis Klamroth nicht mehr leisten. Ich bin die erste in meiner Familie, die studiert, ich darf nicht auch die erste sein, die durchfällt, sonst bin ich am Ende noch die erste, die Karriere bei den Grünen machen muss.
Das können auch Sie, liebe Leser, nicht wollen. Und deshalb ist das hier heute meine letzte Talkshow-Rezension. Am 30. Oktober 2020 habe ich meine erste Illner-Rezension für TE geschrieben. Damals war ich eine junge Autorin, die vorher nicht regelmäßig geschrieben hat. Mir so eine Aufgabe anzuvertrauen, war eine große Chance für mich. Ich habe es nun knapp vier Jahre durchgezogen, habe die Corona-Phase mit Karl Lauterbach als Dauergast in Talkshows durchgehalten, mir ein Jahr lang wöchentlich die ewigen Ukraine-Debatten angeschaut und mehr als mir lieb ist von irgendwelchen quietschigen Klimaaktivistinnen angehört.
Aber ich werde Sie vermissen, liebe Leser, denn in der Juristerei streicht man mir meine Metaphern immer raus, ich komme nicht mehr mit Bemerkungen wie „die Argumentation war so langweilig, dass ich eingeschlafen bin“ durch und diejenigen, die meine Schriftsätze lesen, sind ganz und gar nicht so erfreut darüber, wie Sie es immer waren. Da hilft dann auch das passiv-aggressive „Mit freundlichen kollegialen Grüßen“ am Ende nicht.
Trotzdem lasse ich die Jahre, in denen ich wehleidig und theatralisch Talkshows rezensiert habe, nun hinter mir, um in Zukunft noch wehleidiger und theatralischer über Büchern und Gesetzestexten zu hängen. Und so bleibt es mir nur noch, meinem Nachfolger viel Durchhaltevermögen zu wünschen. Meiner Erfahrung nach helfen Ironie, Sarkasmus, Zynismus ganz gut – und ein doppelter Espresso.