Tichys Einblick
Kein Bock auf Verantwortung

Grüne Jugend dreht frei

Auflösungserscheinungen einer politischen Bewegung: Der Vorstand der Nachwuchsorganisation von Bündnis 90/Grüne tritt geschlossen zurück – und auch gleich aus der Partei aus. Das ist nicht weiter schlimm. Doch es zeigt, wie hilflos die woke Blase ist, wenn die Welt nicht mehr nach ihrer Pfeife tanzt.

Screenprint: via X

Die Spitze der Grünen Jugend hat genug von Annalena Baerbock und Robert Habeck. Das Rücktritts- und gleichzeitig Austrittsschreiben des Vorstands der Nachwuchsorganisation ist – außer an die Medien – namentlich gleich an acht (8) Top-Leute aus der Partei- und der Fraktionsführung gerichtet.

Die beiden ranghöchsten Grünen in Staatsämtern werden ausdrücklich nicht genannt.

„Wir gehen nicht davon aus, dass eine personelle Neuaufstellung zu einer inhaltlichen und strategischen Neuausrichtung der Partei in unserem Sinne führen wird.“

Das ist der Kernsatz des Brandbriefs. In ihm offenbart sich der eigentliche Grund für den Bruch des grünen Nachwuchses mit der eigenen Mutterorganisation: Es ist die fundamentale Unfähigkeit, mit dem demokratischen Umstand klarzukommen, dass die Mehrheit der Partei einfach nicht so will, wie die Grüne Jugend sich das vorstellt.

Man kennt das von bockigen Kindern aus dem Sandkasten: Entweder, wir spielen jetzt alle so, wie ich das sage, oder ich spiele nicht mehr mit. Im Sandkasten führt das so gut wie immer dazu, dass der erpresserische Nervtöter sich beleidigt woanders hinsetzt und alle anderen dann eben einfach ohne ihn weiterspielen. Hier ist das ganz genauso.

„Wir (…) glauben, dass es mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt.“

Übersetzt heißt das: Die Spitze der Grünen Jugend macht sich vom Acker, weil die grüne Partei ihr einfach nicht auf dem Weg in die Abschaffung des Kapitalismus folgen will. Deshalb verlässt man jetzt nicht nur die eigenen Ämter, sondern gleich auch die politische Bewegung.

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Auf die Gefahr hin, die grünen bzw. ex-grünen Nachwuchsweltverbesserer in ihrem Selbstverständnis zu treffen: Davon wird die Welt nicht untergehen, noch nicht einmal die grüne. Der Zuspruch für grüne Politik in den jungen Alterskohorten ist in den vergangenen Jahren massiv eingebrochen. Bei der Landtagswahl in Brandenburg konnten sich gerade noch sechs (6) Prozent der 16- bis 24-Jährigen dazu durchringen, ihr Kreuz bei Bündnis 90/Grünen zu machen.

In derselben Altersklasse holte die AfD über 30 Prozent.

Es ist keine allzu steile These, wenn man vermutet, dass die Führung der Grünen Jugend bei diesem Phänomen weniger Teil der Lösung ist als eher Teil des Problems. Die beiden bisherigen sogenannten Bundessprecherinnen, Svenja Apphuhn und Katharina Stolla, stehen auch ganz persönlich in ihrer Biografie und in ihrer Attitüde für ein von Haus aus saturiertes Milieu. Die ganz normale Welt der Erwerbsarbeit ist ihnen nicht nur fremd, sie lehnen sie teilweise offensiv ab.

Stolla zum Beispiel findet die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eine großartige Idee. Zusätzlich schlägt sie eine kräftige weitere Erhöhung des Bürgergeldes vor und sagt dazu: „Die Leute in meiner Generation, ich, meine Freunde, wir denken uns bloß: Wir wollen nicht krank werden durch die Arbeit.“ Außer einer Tätigkeit als studentische Hilfskraft während des Studiums hat die 26-Jährige keine Erfahrung im Arbeitsleben.

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Appuhn ist auch 26 und hat mal ein Medizinstudium begonnen. Politik fand sie dann aber doch spannender. In ihrer Biografie findet sich ein Praktikum für ein Kinderrechtsprojekt in Indien. Sie ist Mitglied im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club ADFC, bei ver.di, im Bildungswerk für Schülervertretung und Schülerbeteiligung, im Flüchtlingsrat Niedersachsen und beim Institut Solidarische Moderne.

Weder Stolla noch Appuhn haben also jemals in irgendeiner Weise zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung beigetragen. Auch künftig wird man eher nicht sehen, dass sie bei REWE Regale einräumen. Die Grünen-Dissidenten kündigen in ihrem Abschiedsbrief ein neues politisches Projekt an: „Wir wollen dazu beitragen, dass es bald eine starke linke Partei in Deutschland geben kann.“

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In einer Hinsicht ist das Ganze trotzdem interessant: Es zeigt, wie die grüne Blase in ihrem Innern verfasst ist. Da sammeln sich Menschen, die um sich selbst kreisen. Meist stammen sie aus mindestens moderat wohlhabenden Elternhäusern. Deshalb fehlt es ihnen an den unmittelbaren persönlichen Herausforderungen, mit denen sich der Normalbürger im normalen Leben halt so konfrontiert sieht – zum Beispiel mit der Notwendigkeit, über Arbeit und Zeitaufwand für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen.

Ersatzweise kümmern sie sich aus der Blase heraus deshalb um die Rettung der Welt, auch wenn die gar nicht gerettet werden will (schon gar nicht von Stolla und Appuhn). Und sie gerieren sich als militante Verteidiger der angeblich unterprivilegierten Klasse – die sie allerdings, wenn überhaupt, nur vom Hörensagen kennen.

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Mit völlig normalen Alltagswiderständen kann die grüne Blase nicht umgehen. Auf Ablehnung reagiert sie erst mit verständnislosem Staunen – und dann mit Aggression gegenüber der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung, die sich von wohlstandsverwahrlosten, vorlauten und altklugen Besserwissern eben einfach nicht zwangsbeglücken lassen will.

Und da Loyalität nicht als Wert angesehen wird, fällt es den Angehörigen dieser Blase auch leicht, die Verantwortung einfach abzugeben, sobald sie einem unangenehm wird. Sogar die Brücken zur eigenen Partei kann man ohne Gewissensbisse abbrechen, sobald man sich dort mit seinen kruden Vorstellungen demokratisch nicht durchsetzen kann.

Die Vorgänge in der Grünen Jugend spielen politisch keine Rolle, dazu ist die Organisation viel zu unbedeutend. Aber sie geben gerade den Blick frei auf ein Milieu, das in Auflösung begriffen ist. Das ist das große Missverständnis, dem auch Stolla und Appuhn erliegen: Die Grünen scheitern gerade – aber nicht daran, dass sie ihre Ziele nicht erreichen.

Die Grünen scheitern gerade daran, dass sie ihre Ziele erreichen.

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