Als Frau bin ich es gewohnt, ständig für ein Mysterium gehalten zu werden, das interessiert beobachtet und studiert wird. Viele Männer haben längst die Hoffnung aufgegeben, meinesgleichen auch nur annähernd zu verstehen, und so sehen sie sich als Amateurforscher des weiblichen Verhaltens.
Voller Faszination wird dann zur Kenntnis genommen und zu den Akten getragen, dass ich seltsamerweise auch beim 146.365.782sten Mal nicht gut auf das reagiere, worauf ich schon die 146.365.781 Male davor nicht hocherfreut reagiert habe: Es ist doch zum Beispiel völlig klar, dass ein Kompliment für mein Kleid eigentlich eine verdeckte Beleidigung ist, eine unterschwellige Kritik an meinem Gewicht, oder nicht? Ich fühle mich deshalb grob missverstanden!
Die sechs Gäste sind so unglaublich typisch für Hart aber Fair ausgewählt, Sie könnten wahrscheinlich die Hälfte erraten. Es geht um den mysteriösen Ossi-Wähler auf dem Land und dann auch noch um Brandenburg – natürlich darf Juli Zeh nicht fehlen. Dann haben wir Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende des Bündnisses, das ihren Namen trägt. Die Front auf der einen Seite des Studios wird komplett durch Phillip Amthor, Bundestagsabgeordneter der CDU, vielleicht die einzige Halbüberraschung im Podium, aber auch nur, weil ich seine Existenz vergessen hatte.
Auf der anderen Seite sitzt Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär – mit Juli Zeh die zweite SPD-Repräsentation in der Runde. Daneben die Soziologin und Autorin Katharina Warda; und da Hart aber Fair sonst nicht hart aber fair wäre, kommt auch noch die Fleischereifachverkäuferin Doreen Lorsch dazu, als Stimme aus dem normalen Volk.
Was will der Wähler? Es ist doch wirklich seltsam. Wie weit ist die Menschheit gekommen, vor allem im letzen Jahrhundert. Medizinische, technische Wunder, so viele tolle Erkenntnisse, aber der Endgegner ist der ostdeutsche Wähler aus ’nem brandenburgischen Kaff, der aus unergründlichen Gründen die AfD wählt. Und dann hocken sie alle zusammen.
Sahra Wagenknecht steht dann plötzlich als Schlangenflüsterin da, weil sie so etwas sagt wie, dass man eben mal auf die Sorgen der Bürger hören müsse. Juli Zeh wird, was immer sehr erheiternd ist, im Internet von Konservativen als Konservative aufgefasst, weil sie ab und zu anmerkt, dass Parteien wie die Grünen die Bürger zu sehr in ihrer Privatsphäre gängeln.
Wie viele Journalisten, Soziologen und andere Talkshow-Tingler bauen ihre ganze Daseinsberechtigung darauf auf, in Sendungen wie diese zu kommen und darüber zu philosophieren, was der Wähler denn jetzt wohl komisches, exotisches gewollt haben könnte. Und sie haben es allen ernstes immer noch nicht raus? Ich könnte Ihnen ja die ganzen seltsamen Zitate aus der Sendung präsentieren, aber da würde ich mich der Leserbeleidigung schuldig machen, weil Sie das alles schon hundertmal gelesen haben.
Insofern ist der unergründliche Wähler, der auch trotz so vieler ihm gewidmeter Sendungen immer noch nicht zufrieden ist, ein noch größeres Phänomen unserer Zeit als die Frau. Er reagiert nicht mit „Willst du etwa sagen, ich wäre fett?“, er wählt die AfD, obwohl man ihm gesagt hat, dass er das lassen soll. Und bis heute haben die Experten nicht herausgefunden, wieso.