Tichys Einblick
Brandenburg-Wahl:

Gekaufte Demokratie?

Bei der Wahl in Brandenburg greift erstmals eine mit Bundesmitteln ausgestattete Organisation ein um mit hohem Mitteleinsatz die Grünen irgendwie ins Parlament zu hieven und erwartete Erfolge der AfD zu bremsen. Gleichzeitig werden die Wähler von unabhängigen Kandidaten ihrer Zweitstimme beraubt.

Die Grüne Marie Schäffer hat Aussichten auf ein Direktmandat. Sie wird von "Campact" finanziell unterstützt - um einen AfD-Kandidaten zu verhindern.

picture alliance/dpa | Soeren Stache

Ein Wahlkampf, der Alternativen aufzeigt, auch hart in der Sache, auch deftig im Argument verläuft, der sich aber von Lügen und Verschwörungstheorien fernhält, trägt zu Klärung der Standpunkte und zur Transparenz, wofür sich der Wähler tatsächlich entscheidet, bei. Doch im Wahlkampf in Brandenburg geht es der SPD und den Grünen erkennbar nicht um Brandenburg, auch nicht um Inhalte.

Seit Tagen wird in Brandenburg, um den Wählerwillen zu unterlaufen, mit viel Geld „taktisches Wählen“ propagiert, um einen Wahlsieg der AfD zu verhindern und die Grünen entgegen des Wählerwillens wieder in den Brandenburger Landtag zu hieven. Ein Mittel ist das Ausnutzen der Grundmandatsklausel, die besagt, wenn eine Partei ein Direktmandat gewinnt, zieht sie in Abhängigkeit von der Zahl der Zweitstimmen in den Landtag ein. Eine Organisation, die sich Campact nennt und die eher grünnützig als gemeinnützig ist, investiert laut Märkische Allgemeine 186.000 Euro um einen Sieg der AfD in Brandenburg zu verhindern. Hält Campact die Demokratie für käuflich, für eine Sache des Geldes?

Campact behauptet, das Geld stamme aus Spendengeldern. In der Bundespressekonferenz fragt der Journalist Florian Warweg den Vize-Sprecher das Bundeskanzlers: „Was sagt der Bundeskanzler dazu? Die Kampagnenplattform Campact hat nach Thüringen nun auch in die Landtagswahls Brandenburg mit Wahlaufrufen und Wahlspenden in sechsstelliger Höhe eingegriffen. Erneut sind die Grünen der größte Profiteur, also jene Partei, die via Bundesfamilienministerium einer Campact-Tochtergesellschaft seit 2021 über 2 Millionen Euro hat zukommen lassen. Als ich letzte Woche das Familienministerium zu der Causa befragte, räumte man zwar die entsprechende finanzielle Unterstützung für die Campact-Tochtergesellschaft Hate Aid ein, verkündete aber sonst: „Ich kann Ihnen zu dem Einzelfall im Detail gerade nichts sagen.“

Machen wir es konkret: Aussichtsreichste Kandidatin der Grünen ist Marie Schäffer, die das so sehnlich erhoffte Direktmandat im Wahlkreis 21 in Potsdam für holen soll. Selbst über Whatsapp-Gruppen von Erstwählern wird die Campact-Kampagne vorangetrieben. Nicht um die politischen Inhalte geht es dabei Campact, das hätte ja etwas mit Demokratie zu tun, sondern nur darum, die AfD zu verhindern. Die Märkische Allgemeine berichtet: „Wie Campact am Freitag in einer Pressekonferenz erklärte, erhalte Schäffer, die als einzige Grüne gute Aussichten auf ein Direktmandat hat, für ihren Wahlkampf in Potsdam 25.000 Euro direkte Spenden und wird mit weiteren Hilfeleistungen von Campact im Wert von 50.000 Euro unterstützt. Die Organisation verteilt unter anderem 61.000 Postwurfsendungen und verschickt 7.500 Mails an Campact-Unterstützer im Wahlkreis.“

Also 75.000 Euro für Marie Schäffer, damit die AfD verhindert wird, damit die Grünen wieder in den Landtag einziehen können und womöglich der grüne Landwirtschaftsminister Axel Vogel seine Anti-Bauern-Politik fortsetzen kann. Kauft sich Campact eine Demokratie? Aufschlussreich ist, dass das von der grünen Politikerin Lisa Paus geführte Familienministerium eine Campact-Tochtergesellschaft unterstützt, und zwar „seit 2021“ mit „über 2 Mio. Euro“, wie Florian Warweg schreibt.

Aber natürlich muss Putin in Potsdam verhindert werden, indem die Grüne Schäffer gewählt werden muss! Wie perfid die Aktion von Campact und Schäffer ist, enthüllt Schäffer ungewollt selbst, wenn sie auf Nachfrage antwortet: „Der Appell einer externen Organisation sei viel wirksamer und glaubwürdiger als eigene Werbung, sagte die Grünen-Landtagsabgeordnete. Wenn Parteien selbst zur Wahl ihrer Kandidaten aufriefen, gehe das schnell unter.“ Delegieren wir die Demokratie doch gleich an Campact, ändern wir doch das Grundgesetz, ersetzen wir die Parteien durch Campact, indem schärfer noch formuliert wird: Campact übernimmt die politische Willensbildung?

Hält sich Marie Schäffer für nicht glaubwürdig genug? Bleibt die Frage, weshalb sollen die Wähler Marie Schäffer wählen und nicht gleich Camapct? Interessant ist in diesem Zusammenhang der Kommentar dazu von Manja Schüle, die nicht nur der SPD angehört, nicht nur Wissenschaftsministerin in Brandenburg ist, sondern auch Schäffers Konkurrentin im Wahlkreis 21: „Natürlich hätte ich auch gerne Großspenden von westdeutschen Kampagnenplattformen – oder bezahlte Postwurfsendungen.“ Wenn Schüle recht hat, hieße Schäffer nicht zu wählen, ostdeutsch wählen. Das stimmt insofern, weil die Grünen in der Tat eine Westpartei sind.

Wer sich also wirklich für die Demokratie engagiert, der kann am Sonntag im Wahlkreis 21 wählen, wen er will, nur nicht Marie Schäffer, wie er auch sonst bei niemanden sein Kreuz machen sollte, der von Campact unterstützt wird.

Aber auch Péter Vida vom BVB/Freie Wähler erhält laut Märkischer Allgemeinen „für seinen aussichtsreichen Kampf um das Direktmandat im Wahlkreis rund um Bernau (Barnim)“ Hilfe von Campact. Denn: „Campact hat analysiert, welche Kandidatinnen und Kandidaten in den 44 Wahlkreisen die besten Chancen haben, gegen AfD-Leute den Wahlkreis zu gewinnen.“ Dass gerade eine Liste, die sich als Bürgerinitiative sieht, sich nicht von den Campact-Praktiken fernhält, zeigt wie wenig bürgernah, wie wenig demokratisch der BVB/Freie Wähler ist, wenn er sich von einer „westdeutschen Kampagnenplattformen“ unterstützen lässt.

Wie TE berichtete, wurde der BVB/Freie Wähler und Péter Vida ganz im Sinne der „westdeutschen Kampagnenplattformen“ tätig, um den Wahlsieg des Einzelkandidaten des Wahlkreises 24 (Teltow-Fläming II), Arne Raue, zu verhindern. Dazu wurde ein Paragraph des Brandenburgischen Wahlrechts, den bis dahin auch viele Landespolitiker nicht kannten, weil er noch nie eine Rolle spielte, propagiert. Arne Raue ist einer der vielen Direktkandidaten in den 44 Wahlkreisen für den Landtag in Brandenburg. Das ist noch nichts Besonderes, auch nicht, dass er Bürgermeister des Städtchens Jüterbog ist. Auch nicht, dass er sehr beliebt ist und sein Einzug in den Landtag bis zum Erscheinen eines Artikels in der Märkischen Allgemeinen als sehr wahrscheinlich galt. Nun rufen betreten Wähler bei ihm an oder schreiben ihm ratlos mails und fragen, wie sie sich verhalten sollen oder erklären ihm, dass sie ihn leider nicht mehr wählen können, weil sie ihre Zweitstimme nicht verlieren möchten.

Besonders ist, dass Arne Raue als Einzelkandidat antritt, und parteilos ist. Der Artikel scheint von Péter Vida auszugehen, denn, so die Märkische Allgemeine: „Auf diese Besonderheit weist der Landtagsabgeordnete Péter Vida (BVB/Freie Wähler) hin.“ Und damit man weiß, dass Péter Vida ein aufrechter Bürger und ein demokratischer Demokrat ist, fügt Vida laut Märkische Allgemeine hinzu: „Diese Regelung könnte in besonderem Maße der AfD schaden, vermutet Vida.“ Besser hätte es Campact auch nicht formulieren können. Und als uneigennütziger demokratischer Demokrat ergänzt Vida: „Den Bürgern, die Raue wählen, droht also die Entwertung ihrer Zweitstimme. Damit ist der von der AfD herbeifantasierte Pakt nichts als die größte Wählertäuschung dieser Landtagswahl.“

Der Absatz 2  von Paragraph 3 besagt:

„Für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitzen werden die für jede Landesliste abgegebenen gültigen Zweitstimmen zusammengezählt. Nicht berücksichtigt werden dabei die Zweitstimmen derjenigen wählenden Personen, die ihre Erststimme für eine im Wahlkreis erfolgreiche Bewerbende oder einen im Wahlkreis erfolgreichen Bewerbenden abgegeben haben, die oder der nach § 24 als Einzelbewerbende oder Einzelbewerbender oder von einer Partei, politischen Vereinigung oder Listenvereinigung vorgeschlagen ist, für die keine Landesliste zugelassen ist. Von der Gesamtzahl der nach § 1 Absatz 1 Satz 1 zu wählenden Abgeordneten wird die Zahl der erfolgreichen Wahlkreisbewerbenden abgezogen, die in Satz 2 genannt sind.“


Dieses Absatz 2 dürfte exzentrisch sein, aber Gesetz ist Gesetz. Dass die Zweitstimme dafür ausschlaggebend ist, wie viele Sitze eine Partei im Landtag erhält, und dass diese zunächst den Direktkandidaten zustehen und dann die Listenkandidaten folgen, ist Wahlalltag. Doch jetzt wird aus einem normalen Vorgang eine Posemuckler Schnurre. Wenn Wähler einem Einzelkandidaten ihre Stimme gegeben haben, können diese nicht mit einer Landesliste verrechnet werden, weil ein Einzelkandidat keiner Partei angehört, also auch auf keiner Landesliste steht.

Der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau erläutert: „Die Zweitstimme, die Listenstimme bestimmt die Anzahl der Mandate, die einer Partei im Landtag zustehen. Von dieser Zahl wird die Zahl der errungenen Direktmandate abgezogen, die übrigen zustehenden Landtagssitze werden den Listenkandidaten ihrer Reihenfolge nach zugeteilt. Sind hingegen von einer Partei bereits mehr Abgeordnete direkt gewählt, als ihr nach Zweitstimmenergebnis zustehen würden, handelt es sich um „Überhangmandate“.“

Diese blieben der Partei erhalten, sie müssen allerdings durch zusätzliche „Ausgleichsmandate“ (für die übrigen Parteien!) ausgeglichen werden, damit am Ende die Zweitstimmenproportion im Landtag wieder hergestellt würde, so Vosgerau weiter. „Durch die Ausgleichsmandate wächst der Landtag dann an und wird beträchtlich größter als die in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Brandenburgisches Landeswahlgesetz genannte „gesetzliche Mitgliederzahl“ von 88 Abgeordneten. Um diesen Wachstumsprozeß zu begrenzen, werden jedoch – nächste Brandenburger Besonderheit – die Überhangmandate unter Umständen nur „mehr oder minder“ (s.o.) ausgeglichen, denn die höchstmögliche Zahl der Landtagsmitglieder ist auf 110 „gedeckelt“. Sind 110 Abgeordnete erreicht, wird der Ausgleichsprozeß einfach abgebrochen“, so Vosgerau weiter.

„Dies dürfte in den Fällen verfassungswidrig sein, in denen es mehr Überhangmandate gibt, als eine halbe Fraktionsstärke ausmachen würden, die nicht ausgeglichen werden (BVerfG, Urt. v. 27.07.2012, BVerfGE 131, 316 ff.). Aber das ist ein anderes Thema. Wie dem auch sei, das Wahlrecht beruht auf einem Ineinanderrechnen von Listen- und Direktmandaten, wobei die Zweitstimme für die Zusammensetzung des Landtags entscheidend sind, aber dennoch die Überhandmandate erhalten bleiben. Ein unabhängiger Direktkandidat, der also nicht für eine Partei antritt, die außerdem auch eine Landesliste hat, steht gewissermaßen außerhalb dieses Systems der großen Parteien. Der Grund dafür, daß die Zweitstimmen von Wählern, die mit ihrer Erststimme – erfolgreich – einen unabhängigen Wahlkreiskandidaten gewählt haben, gewissermaßen „unterschlagen“ werden, liegt im Grundsatz der Gleichheit der Wahl.“

Der Grundsatz „one man, one vote“ könne in völliger Reinheit nur durchgehalten werden, wenn jeder Wähler nur eine Stimme hat. In Systemen mit Erststimme und Listenstimme komme es regelmäßig zu Verschiebungen und ungleichem Stimmgewicht, wenn die beiden Stimmen strategisch an verschiedene Parteien verteilt werden, so der Verfassungsrechtler weiter. „Denn dann kann man eben nicht nur einen Direktkandidaten in den Landtag befördern, sondern nebenher noch eine weitere Partei stärken im Sinne des Erfolges ihrer Landesliste. Das „strategische Wählen“ hilft nicht nur zwei Parteien statt einer einzigen, sondern stärkt vor allem das eigene Stimmgewicht. In der Regel sind diese Ungleichheitseffekte aber überschaubar, weil durch das Wahlrecht ja gerade die Mandatserfolge ausgeglichen werden und am Ende in etwa die Verteilung der Zweitstimmen im Landtag abgebildet wird.“

Doch in Brandenburg „sprenge“ der unabhängige Direktkandidat das System, sein Mandat könne im Erfolgsfall gar nicht „ausgeglichen“ werden. Daher – so Vosgerau – haben nach Brandenburger Wahlrecht die Wähler, die bereits erfolgreich einen unabhängigen Direktkandidaten in den Landtag befördert haben, gewissermaßen „ihr Stimmgewicht verbraucht“, sie sollen mit ihren Zweitstimmen nicht auch noch einen oder mehrere Listenkandidaten in den Landtag schicken können – denn sonst würden sie quasi zu „Superwählern“, deren effektives Stimmgewicht das der Wähler im Nachbarwahlkreis, wo es nur (ausgleichsfähige) Parteibewerber gibt, weit in den Schatten stellen würde. „Also: Gewinnt ein Direktkandidat, der Einzelkandidat ist, verlieren die Zweitstimmen ihre Gültigkeit.“

Arne Raue hat für die Wähler den Rat, sich nicht beirren zu lassen und das zu wählen, was sie vor Péter Vidas „Initiative“ entschieden hatten zu wählen.

Die Botschaft lautet: Wählen Sie den, den Sie für den besten Vertreter ihrer und ihres Landes Interessen halten. Wählen Sie demokratisch. Wählen Sie nicht die Kandidaten, die Campact unterstützt.

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