Die Leiche der 18-jährigen Ryan aus Friesland wurde am 28. Mai 2024 in Lelystad gefunden. Die junge Frau hatte angeblich die Familienehre schwer verletzt, woraufhin sie von ihren beiden Brüdern Muhanad und Mohammed (24 und 22) entführt wurde. Wenig später war sie tot, ermordet von ihren Brüdern, wie der Vater Khaled in einem Brief an die Tageszeitung De Telegraaf offen zugab. Er hatte seinen Söhnen den Auftrag dazu gegeben: „Die Fische sollen sie fressen, damit keine Spur von ihr zu finden sein wird.“ Kurz darauf reiste Khaled zurück in seine syrische Heimat, wo er am besten bleiben wird.
In diesen Tagen begann die Verhandlung in dem Fall, der in niederländischen Medien breit diskutiert wird. Das Land will etwas aus diesen rechtlosen Zuständen lernen, ja, es hat seine Lektion schon gelernt, wie sich bei den letzten Wahlen zeigte, die ein neues Regierungsbündnis an die Macht brachten. Und diese neue Regierung will nun in der Tat Grundsätzliches ändern am niederländischen Asyl- und Einwanderungsrecht.
Die unmittelbar umzusetzenden Vorschläge zum Asylrecht drehen sich dabei um die Unterbringung der Asylbewerber, die Befristung von Asylbescheiden und die Verschärfung vieler Verfahren. Daneben will man ärmere Haushalte durch einen Energiefonds unterstützen und im Jahr 100.000 Wohnungen bauen (darunter 290.000 Seniorenwohnungen bis 2030), kostenloses Schulessen beibehalten und 600 Millionen Euro für die Altenpflege ausgeben. Die Außenpolitik soll weitgehend unverändert bleiben.
Spiritus rector des Ganzen ist ohne Zweifel Geert Wilders, dessen Partei für die Freiheit (PVV) der stärkste der Koalitionspartner ist und seit langem über die Themen Asyl und Islamisierung spricht. Die Spitzenkandidaten aller vier Partner sind aufgrund einer gemeinsamen Verständigung nicht selbst in die Regierung eingetreten.
„Die ganze Kette ist festgefahren“ – Regierung will rasch Asylkrise ausrufen
Asyl- und Migrationsministerin Marjolein Faber von der PVV will nun so bald wie möglich eine nationale Notlage ausrufen, um – wie während der Regierungsbildung versprochen – das „strengste Asylsystem aller Zeiten“ einführen zu können. Die Ausrufung eines nationalen Notstands ist dabei nur ein Teil der Strategie und für sich schon ungewöhnlich. Eine rechtliche Prüfung ist im Gange und laut der Ministerin auch schon abgeschlossen. Der Premierminister hielt am Freitag fest: „Ich denke, dass unser Vorschlag der Kritik standhalten kann.“
Man wird vor allem das höchste Gericht, den Staatsrat (Raad van State), überzeugen müssen, dass die Krise real ist und dass sie gewisse Voraussetzungen erfüllt. Unter einer solchen Notlage verstand man bisher vor allem Kriege und Naturkatastrophen. Die Asylkrise ist anderer Art, auch wenn sie Charakteristika von Kriegen und Naturkatastrophen teilen mag. Noch 2022 hatte der Asyl-Staatssekretär Eric van der Burg von der rechtsliberalen VVD ein schon damals von einem Parteifreund gefordertes Asyl-Krisengesetz abgelehnt, weil das Außergewöhnliche der Situation seiner Meinung nach noch nicht erreicht war. Das kann sich in der Zeit ändern. Ebenso können sich die Maßstäbe ändern, weil der Bürgerblickwinkel sich verändert hat oder weil er vermehrt in Regierungshandeln einfließt.
Faber macht die Krise mit den folgenden Sätzen anschaulich: „Die Menschen sind überlastet, die ganze Kette ist festgefahren, es gibt keine Häuser mehr. Wir müssen etwas gegen den Zustrom tun – und zwar sehr schnell.“ Die Ausrufung einer Asylkrise war Teil des Koalitionsrahmenvertrags gewesen. Die dann ergriffenen Maßnahmen sollen auch mittelfristig für eine Dauer von bis zu zwei Jahren gelten.
Wäre die nationale Asyl-Notlage einmal eingeführt, dann hätte die Regierung viele Möglichkeiten. Das Ausländergesetz könnte zeitweilig aufgehoben werden. Dem Staat stünde es frei, vorerst keine weiteren Asylanträge anzunehmen. Das könnte dank Notstandsrecht auch durch königlichen Erlass, ohne Parlamentsdebatte, beschlossen werden. Im Unterhaus hätten die vorgeschlagenen Maßnahmen derzeit aber zudem eine klare Mehrheit, wie der Telegraaf anmerkt. Nur die linke Opposition, vor allem die sozialdemokratische Arbeitspartei (PvdA), GroenLinks (GL) und die linksliberale D66, führe hier ein „fanatisches Nachhutgefecht“, in dem sie die neue Regierung als „kalt“ und „rechtsextrem“ darstellt.
Linke sieht nur Krise bei der Unterbringung
Für die Linken gibt es nur eine Krise bei der Unterbringung von Asylbewerbern, vor allem seit Faber einem Teil von ihnen das staatlich bezahlte Bett, Bad und Brot strich (TE berichtete). Aber die Wohnungsnot ist auch in den Niederlanden kein neues Phänomen. Die Linken meinen, es gebe kein Problem, die Zahl der Migranten liege stabil bei jährlich etwa 40.000 Asylbewerbern. Welche Logik!
Ihren Kritikern entgegnet die Fachministerin Faber: „Die Ausrufung einer rechtlichen Asylkrise ist ein normaler Teil des Einwanderungsgesetzes.“ Daneben wird die Regierung das Asylsystem so oder so grundlegend reformieren, und dies ab sofort. So will sie zeitlich unbegrenzte Asylgenehmigungen abschaffen und die Dauer der befristeten Erlaubnisse anpassen. Die Verfahren sollen allgemein sehr viel strenger werden, der Familiennachzug eingeschränkt werden. So werden volljährige Kinder nicht mehr nachreisen können. Es soll mehr abgeschoben werden, Einspruchsmöglichkeiten gegen Gerichtsurteile entfallen.
Man ergreife „Maßnahmen, um die Niederlande für Asylsuchende so unattraktiv wie möglich zu machen“. Das – kurz vor Regierungsbildung noch beschlossene – Zwangsverteilungsgesetz wird abgeschafft, und über Asylanträge wird vorerst nicht entschieden. Erwartet werden außerdem Grenzkontrollen, die im Zweifel über das deutsche „Vorbild“ hinausgehen werden.
Und in Brüssel: Entweder Opt-out oder Ausgleichszahlungen
Daneben will die Regierung schon nächste Woche in Brüssel einen Antrag auf ein sogenanntes „Opt-out“ aus der EU-Asylpolitik einreichen. Die teils erst im Dezember von der Regierung Rutte mitbeschlossenen Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sollen dann nicht mehr für die Niederlande gelten. Wird dem Antrag nicht stattgegeben, will die Regierung die Regelung nutzen, nach der ein Mitgliedsstaat 20.000 Euro zahlen kann, um die Übernahme eines EU-Asylbewerbers zu vermeiden. Sicher ist man sich in Den Haag offenbar nur über eins: Man wird in der gleichen Weise wie Ungarn keinen einzigen „umverteilten“ Asylbewerber aus Brüsseler Händen annehmen. Dazu ist der Platz am Deich zu knapp und teuer.
Kurzfristig werden sich Asylbewerber auch darauf einstellen müssen, nicht mehr in Mietwohnungen untergebracht zu werden, sondern in Zimmern mit gemeinsamen Küchen und „Waschgelegenheiten“. Der Vorrang auf dem Wohnungsmarkt für sogenannte Statusinhaber wird abgeschafft. Wenn es mit der ungezügelten Zuwanderung so weitergehe, würden „im Jahr 2050 zwischen 21 und 23 Millionen Menschen in den Niederlanden leben. Viel, viel zu viele auf diesem kleinen Fleckchen Erde“, meinte die Abgeordnete der Bauern-und-Bürger-Bewegung (BBB) Claudia van Zanten.