Das Rote Rathaus ist der Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters. Traditionell veranstaltet der Chef des Berliner Senats dort alljährlich ein Hoffest: Das ist eine Sommerparty für die Schönen und Reichen und Wichtigen in der Hauptstadt – oder zumindest für die, die sich dafür halten.
Für die Berliner Lokalmedien ist das Hoffest natürlich ein gefundenes Fressen. Auch der „Tagesspiegel“ hat am 3. September über das gesellschaftliche Ereignis berichtet. Neben vielen anderen kleinen Anekdoten steht dort unter anderem auch dieser unschuldige Satz, der nun aber juristische Folgen hat:
„Gegen 22:30 haben es dann auch Iris Spranger und ihr Mann Jörg Stroedter geschafft (…) und steuern schnurstracks dem Stand der Spielbank an.“
Abgesehen vom Grammatikfehler (es muss ja „den Stand“ heißen, nicht „dem Stand“) ist das nicht weiter bemerkenswert. Könnte man meinen. Ungefähr so bedeutend wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt. Könnte man meinen. Noch deutlicher: komplett irrelevant. Könnte man meinen.
Doch wer das meint, der kennt die Berliner SPD schlecht.
Vorab ist es vermutlich unabdingbar, die handelnden Personen kurz vorzustellen: Iris Spranger ist SPD-Politikerin und seit 2021 Senatorin für Inneres und Sport. Damit ist sie unter anderem zuständig für die von migrantischer Messergewalt und Clan-Kriminalität völlig überforderte Berliner Polizei. Auch das chronische und mittlerweile schon legendäre Chaos in der Stadtverwaltung geht maßgeblich mit auf ihre Kappe.
Jörg Stroedter ist auch SPD-Politiker und derzeit Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Dort ist er Stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Der galoppierende Niedergang der Sozialdemokraten in der Hauptstadt geht also maßgeblich mit auf seine Kappe.
Zusammen bilden die Eheleute Spranger/Stroedter eines jener Polit-Paare, die sich irgendwann auf der Ochsentour durch die Parteigremien hin zu den Fleischtöpfen von öffentlichen Ämtern und Mandaten zusammengetan haben und dazu eine auch familiäre Seilschaft bilden. Im privaten und beruflichen Leben solcher Leute dreht sich nahezu alles um Partei und Politik. Das weiß jeder, der mal den Fehler gemacht hat, mit diesen Menschen mehr Zeit zu verbringen als unbedingt nötig.
Die politischen Doppel sind nicht zwangsläufig und unbedingt am Wohl der Bürger und der Stadt interessiert. Dafür verstehen sie aber bei der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen überhaupt keinen Spaß. Davon kann jetzt auch der „Tagesspiegel“ ein Liedchen singen.
Gerade eben hat die Hauptstadt-Zeitung diese Gegendarstellung zu ihrer Hoffest-Berichterstattung von Iris Spranger und Jörg Stroedter veröffentlicht:
„Hierzu stellen wir fest:
Wir trafen bereits gegen 19.30 Uhr bei dem Hoffest ein und steuerten auch nicht den Stand der Spielbank an. Vielmehr haben wir den Stand der Spielbank nicht aufgesucht.“
Halten wir kurz inne und denken nach.
Die Gegendarstellung ist im Presserecht ein Akt der Notwehr. Damit können Betroffene gegen falsche Tatsachenbehauptungen in Medienberichten vorgehen.
Oft wehren sich Prominente mit Gegendarstellungen gegen Erfindungen der Boulevardpresse über ihr Privatleben. Manchmal ist das richtig spektakulär: Caroline von Monaco hat gerichtlich Gegendarstellungen auf der Titelseite der Illustrierten „Bunte“ erwirkt. Die BILD-Zeitung musste ebenfalls in Schlagzeilengröße eine Gegendarstellung der Schauspielerin Meret Becker drucken.
Doch in 90 von 100 Fällen kommt es so weit erst gar nicht. Denn wenn ein Artikel einen sachlichen Fehler enthält, gibt es weit unterhalb der Gegendarstellung viele Möglichkeiten, den korrigieren zu lassen. Die meisten Fehler (wenn auch nicht alle) sind keine böswilligen und absichtlichen Erfindungen, sondern schlichte Irrtümer. Da kann man dann den Chefredakteur anrufen, ihn auf den Irrtum hinweisen und darum bitten, dass die Zeitung den Sachverhalt von sich aus korrigiert. Oder man kann selbst eine Richtigstellung formulieren und um Veröffentlichung bitten. Oder einen Leserbrief schreiben. Und, und, und…
Doch das Berliner SPD-Duo Spranger/Stroedter wählte einen anderen Weg.
Das wirft neue Fragen auf: Im Regelfall beauftragt man für eine Gegendarstellung einen Fachanwalt, denn das Ganze ist juristisch durchaus anspruchsvoll. So ein Jurist kostet auch Geld, und zwar nicht zu wenig. Falls Spranger/Stroedter ebenfalls einen Anwalt eingeschaltet haben sollten, würde sich die Frage stellen, wer den bezahlt: die Senatsverwaltung für Inneres (also der Steuerzahler)? Die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus (also auch der Steuerzahler)? Die SPD Berlin als Partei (also teilweise der Steuerzahler)? Oder das Ehepaar privat?
Vor allem fragt sich der vernunftbegabte Bürger aber natürlich: Warum machen die das überhaupt?
Spät zum Hoffest zu kommen, wäre schwerlich ein Vergehen, das die politische Laufbahn der Innensenatorin oder des stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden gefährden könnte. Und weder im Wahlprogramm noch auf der Internetseite der Berliner SPD steht irgendetwas Negatives über die Spielbank oder auch nur über Glücksspiel insgesamt.
Warum die beiden Politiker also wegen einer absoluten Nichtigkeit derart massiv gegen den „Tagesspiegel“ vorgehen, bleibt ein Rätsel. Interessant ist jedoch, dass sie es überhaupt tun. Denn es zeigt, was auf ihrer politischen Prioritätenliste ganz oben steht: nämlich sie selbst.
Frau Spranger und Herr Stroedter könnten die Arbeitszeit, für die sie vom Berliner Steuerzahler übrigens üppig entlohnt werden, auf die Lösung von Problemen der Bürger und der Stadt verwenden. An geeigneten Baustellen herrscht nun wirklich kein Mangel: Um all das abzubilden, was in der Bundeshauptstadt schiefläuft, ist im gesamten Internet nicht genug Platz – und in diesem Text schon gar nicht.
Stattdessen kümmern sich die beiden um einen einzigen Satz (!) in einem Artikel – in dem noch nicht einmal irgendetwas steht, was kritikwürdig wäre. Selbst wenn die darin wiedergegebenen Informationen (Uhrzeit, Spielbank) nicht zutreffen sollten, wäre das maximal belanglos. Doch das SPD-Pärchen rückt sozusagen mit der Kavallerie an: mit einer Gegendarstellung.
Die Hauptstadt und ihre Bürger dürfen weiter vor sich hin schimmeln. Aber wenn es um sie selbst geht, verstehen Berliner SPD-Politiker eben keinen Spaß. Man muss halt Prioritäten setzen.
Dit is‘ Berlin.