Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat einen Blitzstart in der deutschen Parteienlandschaft hingelegt. Anfang des Jahres gegründet, konnte die Partei bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen zweistellige Ergebnisse erringen. Zu einem solchen Erfolg braucht es Ideen, aber auch eine Struktur, Wahlkampfveranstaltungen müssen organisiert und finanziert werden. Und das war in diesem Jahr schon nicht billig. Wie der BSW-Schatzmeister Ralph Suikat dem Tagesspiegel mitteilte, war für die drei Landtagswahlkämpfe dieses Jahres ein Budget von insgesamt rund 1,3 Millionen Euro vorgesehen, für die EU-Wahlen vom Juni lagen die Kosten sogar bei „etwas über vier Millionen Euro“. Das macht zusammen über fünf Millionen Euro. Und just so viel bekam das BSW seit Januar gespendet, und zwar in zwei Großspenden, die der Unternehmer Thomas Stanger an die Partei überwies. Das geht auch aus der offiziellen Dokumentation der Präsidentin des Deutschen Bundestages hervor.
Es ist aber darüber hinaus kein Geheimnis. Denn der Spender und seine Frau sind keine medienscheuen Leute, nicht zu vergleichen mit einem Leo Kirch oder Helmut Kohls berühmten, unbekannten Spendern. Die Eheleute Lotte Salingré und Thomas Stanger aus dem kleinen Klütz im Nordwesten Mecklenburgs tragen ihr Herz auf der Zunge, geben sogar Interviews und haben insgesamt 5,08 Millionen Euro an das Bündnis Sahra Wagenknecht gespendet. Das ist allein schon ziemlich außergewöhnlich. Zum Vergleich: Alle anderen Parteien – von der CDU bis zur DKP – haben in diesem Jahr Großspenden in einer Gesamthöhe von rund 3,3 Millionen Euro erhalten, in vielen Fällen von großen Unternehmen, aber auch einigen Privatleuten.
Die Spende hat also Aufmerksamkeit erregt, schlicht dadurch, dass sie gemäß der neuen Veröffentlichungspraxis des Bundestages unmittelbar bekannt wurde. Und so wurden auch bald Zweifel laut, dass hier alles mit rechten Dingen zuging. Denn Millionenspenden von Privatleuten an einzelne Parteien sind in der Tat selten. Die „normalen“ Großspenden liegen eher zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Die Grünen erhielten etwa 161.300 Euro von der „Kampagnen-Organisation“ Campact, die CDU insgesamt 350.000 Euro vom E-Commerce-Unternehmer Stephan Schambach.
Übrigens gehören zu den größten Spender der AfD anscheinend ihre eigenen Abgeordneten, beispielsweise der EU-Abgeordnete Guido Reil mit einigen zehntausend Euro. Daneben hat das BSW einen Verein „Für Vernunft und Gerechtigkeit“, der ebenfalls Spenden zu sammeln scheint und die dann offiziell an die Partei spendet. Ähnlich verfährt die Werteunion mit ihrem Förderverein, der einige Einzelspenden über 50.000 Euro tätigte.
Fünf Millionen Euro für den Frieden
Aber zwei Tranchen in Millionenhöhe stechen in dieser Bundestagsunterrichtung dann schon heraus. Salingré und Stanger überwiesen schon im Januar 990.000 Euro an das BSW. Im März kamen noch 4,09 Millionen Euro dazu, macht insgesamt über fünf Millionen Euro. Das Paar aus Mecklenburg hat sein Vermögen angeblich in der IT- oder Hightech-Branche verdient. Vor mehr als 40 Jahren soll Stanger eine Elektronikfirma in Würzburg gegründet haben, deren Gesellschafter er bis heute ist. Daneben besitzt Thomas Stanger einen Anteil von 30 Prozent an einem dänischen Unternehmen LED-Hersteller.
Dem BSW wollten sie so die gleichen Startchancen ermöglichen, wie sie etablierte Parteien haben, vor allem wegen der Friedenspolitik des BSW: „Wir wollen, dass Konflikte ohne Waffen und Kriege gelöst werden. Zurzeit setzen alle anderen Parteien, die für uns wählbar waren, mehr auf Waffenlieferungen in Krisengebiete als auf diplomatische Konfliktlösung.“ Ob sich freilich so schnell etwas in Richtung Frieden drehen wird, bleibt offen, zumal das BSW sich gerade anschickt, genau mit jenen Parteien zu koalieren, die für die entgegengesetzte Politik stehen.
Nun gibt es Recherche-Ansätze zu den beiden BSW-Großspenden, die zum Teil auf X veröffentlicht wurden. Man darf allerdings auch kritisch fragen, wohin all das führen soll. Es geht dabei allein um die Thomas Stangers Anteile an dem dänischen LED-Hersteller Brother, Brother & Sons (BB&S), einer Holding, die zudem über mindestens drei Tochtergesellschaften verfügt.
Eine China-Jointventure: Sehr verdächtig
Das Unternehmen BB&S wurde 1999 von dem Dänen Peter Plesner gegründet, der gelegentlich – und natürlich sehr verdächtig – als Peter Igor Werschenskij Plesner firmiert. Er besitzt auch heute noch 70 Prozent an der Holding. Produziert werden hier angeblich LED-Lampen für Film und Fernsehen, komplett in Dänemark übrigens, wie Plesner noch 2016 in einem Video-Auftritt erklärte. Auf einer der Websites ist die Rede von einem „führenden internationalen Hersteller und Entwickler von preisgekrönter High-End-LED-Beleuchtung“. Damit könnte man vielleicht Geld verdienen, eine amerikanische Tochter soll mit elf Mitarbeitern 4,2 Millionen Dollar Jahresumsatz erwirtschaften. Möglich? Vielleicht, wenn die US-Tochter BB&S Lighting nichts weiter als ein Outlet für Hollywood ist (Unternehmenssitz ist das kalifornische Santa Monica).
Nun arbeitet aber eine gewisse Joanna Wu aus Guangdong federführend für diese Tochter. Wie das möglich sein soll, das fragt sich der X-Blogger und Hobby-Investigativreporter Jürgen Wörheide. Aber ist Wu vielleicht inzwischen von dort weggezogen? Oder beherrscht sie die Kunst des Zoom-Calls? Daneben stehen für Wörheide die Fragen im Raum: „2. Warum ist bei Google nichts zu sehen, obwohl die Firma dort seit 15 Jahren sein soll? 3. Wie wird der Umsatz generiert? 4. Wo sind die anderen Mitarbeiter?“ Alles berechtigte Fragen, aber vielleicht gibt es auch Antworten.
Daneben gebe es eine Adresse im steuerlich vorteilhaften US-Staat Delaware – angeblich nur eine Postadresse mit angeschlossenem Callcenter. Aber derartiges finanzielles Geschick können wohl nur gläubige Sozialdemokraten so recht abgrundtief verdammen. Eine weitere BB&S-Tochter gehört zur Hälfte einem gewissen Yongjian Yin aus Hengyang. Ein Jointventure mit China, das findet Wörheide erst recht verdächtig. Aber derselbe Verdacht trifft auch namhafte deutsche Unternehmen. Sollte hier ein zentristischer „Normie“ einfach nur neidisch sein, weil die „sozial-konservativen“ Wagenknecht-Sozialisten so indirekt von der internationalen, kapitalistischen Wertschöpfung profitieren?
Im thüringischen Wahlkampf hatte auch der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die Großspende thematisiert und die Motive der Spender hinterfragt, als ob das Ehepaar mit der Geldspritze notwendig eine bestimmte Reaktion oder Gegenleistung verbände. Der BSW-Schatzmeister Ralph Suikat sagte darauf laut T-Online, man sollte „ein Ehepaar, das sein Geld ehrlich verdient hat, sich um den Frieden sorgt und daher dem BSW 5,1 Millionen Euro gespendet hat, nicht in einem Atemzug mit Despoten nennen“ – das hatte Kühnert wohl in einem Post nahegelegt, als er von einer „Pappmaché-Partei“ sprach. Sahra Wagenknecht wies die Anschuldigung zurück und sprach von einem „großzügigen“ Paar und vielen Kleinspenden. Die SPD bekomme hingegen mit 160 Millionen Euro Jahresbudget kein Bein auf den Boden.
„Timm Vladimir“ und „Peter Igor“ lassen aufhorchen
Aber woher stammten die fünf BSW-Millionen nun wirklich? Nun sind nicht alle Investitionen und Beteiligungen Stangers transparent. Das gilt nur für die dänischen. Laut Wörheide machte Plesner selbst zuletzt höchstens 100.000 Euro Gewinn in einem Jahr gegenüber einem Höchstverlust von 1,5 Millionen Euro in einem Jahr. Er hätte auf dieser Zahlenbasis wohl in der Tat Probleme, seine Verluste auszugleichen. Außerdem habe Plesner zeitweise rund sechs Millionen Euro Schulden gehabt. All das kann nur einen gänzlich wirtschaftsfremden Geist in Wallung versetzen, reicht aber hier schon für den Anfangsverdacht, dass das ganze Unternehmen ein Briefkasten für die Schein-Annahme aus Moskau oder Peking sein soll – im Grunde ohne stärkere Beweise als die beiden Mittelnamen Plesners und seine chinesischen Geschäftspartner und Mitarbeiter. Und ja, in unmittelbarer Nähe von Plesners Firmensitz betreibt ein „Timm Vladimir“ eine Kantine! Das präsentiert Wörheide als „fun fact“. Aber Plesners slawisch klingenden Zweitnamen nimmt er anscheinend ernst.
Und am Ende könnten es doch auch die SED-Millionen sein, die so wieder auftauchen – meint Dörheide. Das scheint aber reines Phantasma zu sein, dessen Realwerdung man freilich nie ausschließen kann, wenn man die Hartnäckigkeit bedenkt, mit der manch einer an „Idealen“ und Ideologien hängenbleibt.
Aber, um auf die Deutschen Salingré und Stanger zurückzukommen: So ganz unsinnig wirkt es nicht, dass ein vielleicht pazifistisch-sozialistisch gesonnenes Investorenpaar sein Geld mit Hollywood-Leuchten verdient, aber insgeheim eben doch K-Gruppen und ähnlichem zuneigt und dieselben in Abwesenheit „Schwarzer Listen“ finanzkräftig unterstützt.
„Linksfaschisten“, die von SED-Milliarden profitieren?
In vielem schießt Wörheide also über sein Ziel hinaus. So hat Plesner 1991 und 1992 zwei Firmen in die Schließung geführt – aber nicht in Ostdeutschland im Zusammenhang des Mauerfalls, wie Wörheide insinuiert, sondern in seinem heimatlichen Dänemark. (Plesners Akzent im Englischen klingt übrigens sehr dänisch durch die Weichung der Explosiva, gar nicht russisch.) Aber für Wörheide riecht so etwa alles an diesem Unternehmer komisch: So wohnt „Igor“ (oder Peter) Plesner in einer „nicht gerade gehobenen“ Wohngegend. Ebenso lebt der bei ihm angestellte Direktor Michael Blom, wenig mondän, nur zwei Kilometer von einem Flughafen entfernt. Aber manch einer bleibt bescheiden trotz leichtvergänglicher Millionenumsätze.
Die drei Unternehmen der BB&S-Gruppe sollen hoch verschuldet sein, mit Darlehen von insgesamt 4,97 Millionen Euro. Ihr Eigenkapital soll demgegenüber ins Negative geschrumpft sein. Aus den Bilanzen der Firmen gehe auch kein Gesamtgewinn von fünf Millionen Euro hervor. Das alles wirkt schon etwas seltsam, und natürlich kann auch ein einst operatives Unternehmen zur Geldwäsche und für andere Finanztransfers missbraucht werden, wie Wörheide nahelegt.
Darüber hinaus konstruiert Wörheide einen Zusammenhang mit den SED-Milliarden, die teils abgezweigt und veruntreut worden sein sollen. Hier sollte man sich zunächst auf eine Geschichte einigen. Stammt das Geld nun aus Russland oder China, aus halbseidenen Geschäften oder aus dem DDR-Vermächtnis? Das alles ist vollständig Spekulation. Der Blogger versieht seine Tweets dabei mit Hashtags wie #Linksfaschisten, die offenlegen, wie wenig wohlgesonnen (und aus welchen Gründen) er Wagenknecht ist. Das BSW steht für ihn unter „Rechts“-Verdacht. Dabei bereitet es sich doch auf Koalitionen mit hergebrachten und angepassten „linken“ Parteien vor.
Die Riesengroßspende behält ein Geschmäckle
Und trotzdem bleibt ein gewisses Geschmäckle an dieser Riesengroßspende für das BSW in zwei Teilen. Dass ein eher mittelständisches Investoren-Ehepaar – mit unklarem Kapitalstock – so tief für eine Partei in die Tasche greift, in der die beiden auch als Mitglieder mittun wollen, lässt auf ein schon fanatisches Sendungsbewusstsein schließen – oder (mit dem Blogger) auf weniger Positives: „Der (sic!) #BSW nutzt offensichtlich Seilschaften mit bis dato unbekannten Hintergrund, um sich zu finanzieren.“ So formuliert Wörheide sein Fazit.
Daneben fallen natürlich auch die hohen Redehonorare für Sahra Wagenknecht auf. Aber warum sollte sie darauf verzichten? Schon im Faust lernt man ja: „am Golde hängt doch alles“. Und vielleicht sollte man jede Hinwendung zur marktwirtschaftlichen Wirtschaftsweise schätzen an einer Frau, die einen weiten Weg zurückgelegt hat, seit sie in der „Kommunistischen Plattform“ der PDS als antikapitalistische Scharfmacherin und Mauerfan wirkte: „Die Mauer war kein Endzustand, sondern eine Übergangsmaßnahme. Und als solche war sie gerechtfertigt“ (so in einem Interview von 1996). Gerechtfertigt natürlich zum Schutz des Sozialismus.
Damals sprach Wagenknecht auch von „Prozessen gegen unsere Genossen“ – gemeint waren Politiker und Führungskader der SED. In diesen Prozessen sah Wagenknecht eine gewollte „Kriminalisierung des sozialistischen Versuchs DDR“, durch die letztlich der „westdeutsche Kapitalismus“ in all seiner „Menschenverachtung und Brutalität“ legitimiert werden solle. Inzwischen scheint sich die Politikerin stark gewandelt zu haben. Ihr Programm bleibt aber im Kern sozialistisch. Das Merkwürdige ist nur, dass es Sozialisten fast nie am Kapital mangelt, um ihre Politik voranzutreiben.