Eines muss man ganz klar feststellen: Carsten Linnemann kann einem leid tun an diesem Abend. Und das will etwas heißen, denn für gewöhnlich labert der Mann seine Zuhörer derart gekonnt ins Delirium, dass sie zu keinerlei Gefühlsregung mehr fähig sind. Der Kevin Kühnert der CDU ist rhetorisch so gestählt wie gläsern. Aber heute hat der potemkinsche Polemiker offenbar seine Endgegner gefunden. Im Illner-Raumschiff in dieser Galaxie unterwegs mit einer fünf Frauen und ein Mann starken Besatzung – das ist selbst für einen erfahrenen Redner eine ganz harte Nummer. Linnemann kommt kaum zu Wort.
Wichtigster Gast des Abends ist Innenministerin Nancy Faeser, die Frau, die so ungern vom „Wir“ und so übertrieben gern vom „Ich“ spricht. Was sie alles wieder gemacht hat, beschlossen, veranlasst, verboten hat – ja mei, wie schön. Auch an diesem Abend suhlt sie sich in Selbstgefälligkeit, wenngleich bisweilen hart unterbrochen von der Moderatorin. Wenn Maybrit Illner der Ministerin rüde über den Mund fährt, blitzt die alte Kaderschmiede durch. Schließlich hat Illner einst nicht nur in der SED gedient, sondern auch ihre journalistische Ausbildung in der DDR abgeleistet („Sektion Journalistik“ der Karl-Marx-Uni in Leipzig), bevor sie zum ZDF „rübermachte“.
Dagmar Rosenfeld wirkt anfangs wie eine Regierungssprecherin. Man könnte meinen, sie strebe nach ihrem Wechsel von der „Welt“ zu „The Pioneer“ vielleicht bald einen Posten in irgendeinem SPD-Ministerium an. Doch sie kriegt später noch die Kurve und bringt kritische Töne in die Diskussion.
Das Problem des Abends ist, dass sich die Runde komplett in Details verzettelt. Sie verliert sich in endlosen Diskussionen über Regularien, Gesetze, Abkommen und außenpolitische Aspekte. Der eigentliche Kern, der eigentliche Grund für die Asyldebatte, fällt hinten herunter: Deutschland hat zu viele Menschen aufgenommen, die hier nicht hinpassen. Und es nimmt leider auch kein Ende. Stattdessen lobt sich Faeser für den fast schon legendär-absurden Afghanistan-Jet, in dem 28 Schwerverbrecher mit jeweils 1000 Euro Taschengeld abgeschoben wurden. Faeser auf Betäubung: „Wir haben als Koalition wirklich sehr viel auf den Weg gebracht.“ 28. Sehr viel. Aha.
Nebenbei gibt Faeser etwas zu, was sie bisher stets abgestritten hat, nämlich: „Die Situation der Kommunen ist ja schon länger prekär.“ Interessant auch das folgende Geständnis: „Diese Fälle gibt’s ja häufiger, wo Abschiebungen nicht funktionieren.“ Doch keiner hakt nach. Die Runde hat sich längst in argumentativen Abgründen verloren. Man redet über Dublin-Asylanten, Eurodac, grüne Grenzen, Ankerzentren und Abschiebe-Wumms, Schengen-Zwänge und sogar über den alten Seehofer. Aber über Messer-Attentate und Gruppenvergewaltigungen, über kriminelle Clans und Bürgergeld als Pull-Faktor redet niemand.
Der aufmerksame Zuschauer stutzt derweil über die blanke Unbelecktheit deutscher Politiker: Nancy Faeser etwa weiß nicht einmal, welches Nachbarland eigentlich in der Stadt Görlitz an Deutschland grenzt. Und das, obwohl sie gerade erst vor Ort war. Sie erzählt, natürlich wieder in der Ich-Form: „Ich war vor Kurzem in Görlitz mit meiner (sic!) Bundespolizei. Jetzt haben wir die Situation, dass ein Flüchtling kommt, der Asyl bei uns beantragt. Wir haben einen Eurodac-Treffer und sagen: Nee, hier ist Ende, Wiedersehen. Und Österreich steht gegenüber, äh, nicht Österreich in diesem Fall, aber …das Nachbarland.“ Das Nachbarland … Man spürt ein kurzes Grübeln. Ja Mensch, was war das noch? Polen? Bayern? Oder die Tschechoslowakei? Gibt’s die überhaupt noch? Mist. Naja, „Nachbarland“ eben. Reicht schon, ist ja nur die Illner.
Ach ja, Ricarda Lang ist auch zu Gast. Die Grünen-Co-Vorsitzende gerät mit ihrem auswendig gelernten Partei-Geplapper sogar an diesem dünnen Abend ins Hintertreffen. Illner befragt sie irgendwann geradezu poetisch, Thema ist die angedachte Kürzung der Sozialleistungen auf ein Minimum. Illner flötet: „Bett, Seife, Brot – Wie groß ist der Schmerz in Ihrem Herzen, Frau Lang?“ Doch Lang winkt ab. Es ginge nicht um ihren Schmerz, sondern um menschliche Schicksale. Leider winkt sie nicht nur, sie redet auch. Und verwendet wie immer viel zu viele Worte mit S. Mit scharfem S. Immer scharf, selbst bei Salbeiseife oder Selleriesuppe. Sssehr anstrengend.
Am Ende der Sssendung (ups!) dankt Genossin Illner „für eine bemüht instruktive Diskussion“, was immer das sein soll.
Captain Kirk würde wohl eher sagen: „Machen wir uns aus dem Orbit!“