Tichys Einblick
Angriff auf § 218 StGB

Sucht die Ampel auch noch den letzten Kulturkampf?

Wenn die Grünen ihren Willen erst einmal durchgesetzt haben und das Verfassungsgericht als Korrektiv ausfallen sollte, ist es unwahrscheinlich, dass die Liberalisierung von Abtreibungen politisch rückabgewickelt wird – selbst wenn die Grünen aus der Regierung fliegen und die Union das Ruder übernehmen sollte.

Kundgebung für die Abschaffung des Paragraphen Âß218 StGB und für die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen in Berlin am 15. April 2024

IMAGO / Emmanuele Contini

Die Ampel ist eine Regierung des Kulturkampfs, des zerstörerischen noch dazu. Sie ist ein Bündnis, das die jahrtausendealte Zweigeschlechtigkeit infrage stellt, das im Namen des Klimas die deutsche Wirtschaft transformiert, das missliebige Meinungen erst ausgrenzt, dann unter Beobachtung stellt, das die Sprache schleift. Nun könnte diese Koalition auch noch den letzten Kulturkampf suchen, um die Gesellschaft endgültig zu zerlegen. Nach dem Motto: Wenn in einem Jahr schon das Ende droht, dann doch bitte ein Ende mit großem Knall.

Es geht um das existenzielle Thema Abtreibungen, in Wahrheit um nicht weniger als um einen Anschlag auf das Leben: Zu Beginn der Woche hat die grüne Bundestagsfraktion in einem Positionspapier die Forderung bekräftigt, „noch in dieser Wahlperiode“ Schwangerschaftsabbrüche frei zu geben und so gegen Ende der Legislatur noch ein ganz großes Fass aufzumachen.

Schon jetzt gehört das Thema zum Lieblingsspielfeld der Koalition: Bereits im Juli 2022 hob der Bundestag mit den Ampel-Stimmen den Paragraph 219a des Strafgesetzbuches auf, der bis dahin Werbungen für Abtreibungen unter Strafe gestellt hatte. Zwei Jahre später verabschiedete das Parlament zudem eine Gesetzesänderung, um künftig angebliche „Gehsteigbelästigungen“ durch Abtreibungsgegner vor Abtreibungseinrichtungen zu unterbinden.

Der Angriff auf den Paragraph 218 ist nur der nächste logische Schritt. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP festgelegt, dass eine „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung“ die Regelung von Abtreibungen außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen solle. Die Kommission wurde dann tatsächlich eingesetzt und legte im April einen umfassenden Abschlussbericht vor. Man könnte auch sagen: Sie lieferte wie bestellt. Angesichts der einseitigen Stoßrichtung des Prüfauftrags und der ebenso einseitigen Besetzung des Gremiums war das nicht anders zu erwarten gewesen.

Wenn man das Gutachten las, konnte es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Denn darin stellte das Gremium völlig offen, ungeschönt und scheinbar ohne jedes Störgefühl infrage, ob ungeborene Menschen bis zum Moment der Geburt überhaupt eine Menschenwürde haben. Der berühmte Artikel 1 des Grundgesetzes, hochgehalten noch und nöcher – nun im Auftrag der Regierung offen infrage gestellt. Im Gutachten heißt es: „Dem Lebensrecht des Embryos/Fetus kommt geringeres Gewicht zu als dem Lebensrecht des Menschen nach Geburt.“ Entsprechend einseitig nahmen die Verfasser die Abwägung zwischen Ungeborenem und Mutter zugunsten von Letzterer vor.

Daraus folgte die Empfehlung, Abtreibungen in einem Drei-Phasen-Modell zu liberalisieren. Für die erste Schwangerschaftsphase, etwa bis zur 12. Woche, sollen Abbrüche rechtmäßig gestellt werden. Für eine zweite Phase, etwa bis zur 22. Woche, gebe es Gestaltungsspielraum. Und nur in der „Spätphase“ sollten Abtreibungen aus Prinzip verboten bleiben. Allerdings führte eine der beteiligten Juraprofessorinnen aus, dass auch dann der Abort „nicht zwingend strafbar sein“ müsse.

Das Ganze läuft auf einen offenen Bruch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Das hat nämlich in mehreren Urteilen, zuletzt maßgeblich 1993, klar betont, dass auch das ungeborene Leben Menschenwürde hat und – auch wenn es nicht ins Ich-bezogene Frauenbild der Grünen passt – ein Anrecht auf staatlichen Schutz gegenüber der Mutter. Konsequenz daraus: Abtreibungen sind grundsätzlich zu verbieten und die Frau ist verpflichtet, das Kind auszutragen. In den ersten zwölf Wochen bleibt eine Abtreibung allerdings trotz Rechtswidrigkeit unter Bedingungen straffrei – das ist der Kompromiss.

Die Grünen wollen daran nun die Axt legen und den Vorschlag der Kommission im Zweifel wohl möglichst weit ausreizen. Konkret: Schwangerschaften sollen bis zur 12. Woche legal und von den Beitragszahlern der Krankenkassen finanziert werden. Gleichzeitig soll die bisherige Beratungspflicht für die Schwangere entfallen. Diesen Schritt hatte selbst die radikal argumentierende Kommission nur als möglich, nicht aber als zwingend bezeichnet.

Ähnlich wie die Grünen hatte sich bereits Ende Juni die SPD-Bundestagsfraktion in einem Beschluss positioniert. Allerdings stellten die Sozialdemokraten eine Abtreibungsfrist in Aussicht, „die an der Überlebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Uterus mit ausreichend zeitlichem Abstand anknüpft“. Resultat könnten legalisierte Abtreibungen weit über die 12. Woche hinaus sein. Das Ganze deutet die SPD in eine „menschenrechtliche Verpflichtung“ um. Immerhin: In ihrem Papier erwähnt sie zumindest noch, dass auch das ungeborene Leben schützenswert ist.

Ganz anders die Grünen, denen das Lebensrecht des Ungeborenen nicht einmal eine Erwähnung wert ist, so als gäbe es hier von vornherein nichts abzuwägen. Die Fraktion läuft sich bereits mit voller Kraft für den Kulturkampf warm. In ihrem Beschluss heißt es, das Abtreibungsverbot sei „ein patriarchaler Anspruch, über die Körper anderer Menschen bestimmen zu können“. Den Abschlussbericht der Kommission erklären die Grünen kurzerhand zum „Ende eines Diskussionsprozesses“. Motto: Eine Auseinandersetzung mit den hinterwäldlerischen Abtreibungsgegnern ist gar nicht mehr nötig, weil das „die Wissenschaft“ so sagt.

Wenn die Grünen ihren Willen erst einmal durchgesetzt haben und das Verfassungsgericht als Korrektiv ausfallen sollte, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Liberalisierung der Abtreibungen noch einmal politisch rückabgewickelt wird – selbst wenn die Grünen aus der Regierung fliegen und die Union das Ruder übernehmen sollte. Schließlich legen die Christdemokraten viel Wert darauf, nicht als reaktionär, sondern immer nur als „konservativ“ wahrgenommen zu werden. Was einmal Gesetz ist, gilt dann schnell als von da an zu bewahrende Realität.

Das verdeutlicht, um was es jetzt geht. Und macht wahrscheinlicher, dass die Grünen ordentlich Druck aufbauen werden, um Fakten zu schaffen. Der Bundeskanzler hatte noch im April durchblicken lassen, dass eine „Polarisierung“ in der Angelegenheit vermieden werden müsse. Im Zweifel könnte er sich dennoch von seiner eigenen Fraktion treiben lassen. Letzte Hoffnung wäre damit ausgerechnet die FDP, die bislang nicht den Anschein macht, das Thema noch beackern zu wollen. Das kann sich aber ändern. Anderen gesellschaftspolitischen Wahnsinn haben die Liberalen schließlich auch mitgetragen.

Wenn die Freidemokraten es nicht für die Ungeborenen tun, so sollten sie in dieser Angelegenheit wenigstens für den Verfassungsstaat des Grundgesetzes Widerstand leisten. Denn die Kaltschnäuzigkeit, mit der die Abtreibungskommission und nun auch SPD und Grüne die stehende Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts niederbügeln, sollte schon für sich genommen die Alarmglocken läuten lassen.

Die Abtreibungsbefürworter argumentieren, die Realitäten, wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Wertvorstellungen hätten sich in den vergangenen dreißig Jahren geändert; das Gericht würde zu den Abtreibungen mithin heute anders entscheiden als noch in den 1990er Jahren. Dazu lässt sich eigentlich nur eines sagen: Wenn wir nach biologischen Fakten jetzt auch noch die Menschenwürde zur abhängigen Variablen gesellschaftlicher Trends machen, dann wird es in diesem Land langsam wirklich existenziell gefährlich.

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