Ein TV-Moment magischer Schönheit spielte sich am Sonntag im Staatsfernsehen ab. Einer, dessen Schönheit sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließt: Caren Miosga warf Sahra Wagenknecht vor, nicht volksnah zu sein. Nun ließe sich fragen, inwiefern eine Moderatorin Expertin für Volksnähe ist, die Sonntag für Sonntag Millionen Tatort-Zuschauer vom Fernseher vergrault. Doch das ist noch nicht die Pointe.
Ein Moment magischer Schönheit
Miosga bewies ihre These damit, dass von Wagenknecht im Internet keinerlei Bilder bei Firmenbesuchen zu finden seien. Wagenknecht habe wohl daher auch keine Ahnung von wirtschaftlichen Belangen, schloss die Frau vom Staatsfernsehen daraus. Das ist von so einer magischen Schönheit, die sich erst erschließt, wenn man selbst schon einmal solche Termine organisiert hat:
Ein untergeordneter Mitarbeiter bittet bei einer Firma um eine Besichtigung und macht einen Termin aus. Der Politiker lässt sich zur gegebenen Zeit vorfahren, wandert kopfnickend durch die Produktionshalle, lässt sich dabei fotografieren, trinkt in einem Konferenzraum Kaffee, hört dabei einem Vortrag zu, lässt sich dabei fotografieren, schüttelt Hände, lässt sich dabei fotografieren – und fährt weiter. Für Caren Miosga ist die Teilnahme an solch einem PR-Termin gleichbedeutend mit Volksnähe und Wirtschaftskompetenz. Wunderschön. Zumindest für alle, die an dieser Art inszenierter Termine jemals teilgenommen haben.
Das gilt für Mitarbeiter des Staatsfernsehens. Erst recht gilt das aber für Vertreter der Politik. Für den Abgeordneten, der Interesse heuchelnd und Kopf nickend durch die Produktionshalle läuft und sich dabei fotografieren lässt. Aber auch für den Mitarbeiter, der den Termin organisiert hat, nun die Tasche des Abgeordneten trägt und davon träumt, einmal selbst der Abgeordnete zu sein. Oder gar Minister. Als Krönung einer Karriere, die nach dem Kreißsaal und dem Hörsaal den Plenarsaal als fixes Ziel kennt. Und eine Karriere, die von Arbeit in der freien Wirtschaft verschont bleibt. Es sei denn, man zählt wie Miosga inszenierte Besuche in Werkshallen mit.
Man bleibt unter sich und seinesgleichen
Ein Kandidat der Grünen hat vor gut zehn Jahren in Mainz seinen Geburtstag gefeiert. Rund 30 Personen waren zu Besuch. In der Mitte saß ein Pärchen, das von Ankommenden mit den Worten begrüßt wurde: „Bist Du auch bei den Grünen?“ Die anderen 30 Personen arbeiteten alle für die Grünen, saßen mit ihnen in Gemeinderäten, besuchten mit ihnen Demos und verbrachten die Freizeit mit ihnen. Das Pärchen, Freunde der Gastgeberin, wurden von den grünen Gästen ignoriert. Sie wollten mit Grünen über grüne Themen sprechen und dazu grüne Meinungen hören. Ein Leben außerhalb der Partei ist für diese Generation von Berufspolitikern nicht mehr erstrebenswert – und vorstellbar. Sie sind die Leser, für die woke Zeitungen kurz vor Weihnachten Artikel veröffentlichen, die erklären, wie man auf Feiern die Familie am besten ignoriert, wenn aus dieser heraus anderslautende Positionen an sie herangetragen werden.
Diese Generation an Politikern hat Deutschland – wie andere Industrienationen auch – in Jahren herangezüchtet, in denen es sich das leisten konnte. Als die USA unsere Freiheit verteidigten und die Wirtschaft noch brummte, fuhr der Bus quasi von allein. Den Haushalt stellten Experten der Verwaltung auf, die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter ergänzten ihn um ein paar Orchideenprojekte: ein Radweg in Peru hier, ein Klimaprojekt in China dort und feministische Projekte in der ganzen Welt. Etwas, das sie erzählen konnten, wenn der Unternehmer sie zwischen den Fotos fragte, was sie denn so machen.
In den guten Jahren hat diese Generation an Politikern das Land Geld gekostet. Aber das war nicht weiter schlimm, da es genug davon gab. Mit ihren Orchideenprojekten hat sie keiner so recht ernstgenommen. Dieser Generation ist jeder aus dem Weg gegangen, der nicht gelangweilt oder milde amüsiert werden wollte. Und wenn er als Pärchen auf einer Party von Vertretern dieser Generation umzingelt war, dann wandte sich der Außenstehende an Ankommende, in der Hoffnung, dass die nicht auch dazu gehörten.
Das Virus der Macht
Doch Corona hat den Charakter dieser Generation verändert. Ihre Vertreter waren nicht mehr die Nerds, die belächelt wurden, weil sie Tamponspender auf öffentlichen Männertoiletten durchgesetzt haben. Plötzlich hatten sie Macht: Sie konnten entscheiden, wer wen an Weihnachten besuchen darf. Ob auf einer Parkbank ein Buch gelesen werden darf. Wer in Restaurants darf und wer nicht. Wann die Bürger abends nach drinnen zu gehen haben. Eben noch verlacht, jetzt im Machtrausch. Im Film entstehen auf diese Weise Superschurken. In der Politik wurde einer ganzen Generation bewusst, dass sie zwar nur an die Macht gekommen war, weil sich keiner dafür interessiert hatte – aber dass sie jetzt eben diese Macht besaß. Und was sich damit machen lässt.
Der Vorgang ist neu. Es fehlt an historischen Vergleichen. Zwar gibt es schon seit Jahrzehnten ein Beamtentum, das die Ministerien und Verwaltungen dominiert und mit der eigenen Macht Politikern die Handlungsspielräume verengt. Doch das Heranwachsen einer Kaste, die noch nie etwas anderes gemacht hat als Politik und auch gar nichts anderes könnte, das ist neu. Das Beamtentum unterliegt strengen Regeln und einem über Jahrhunderte gewachsenen Ehrenkodex, der das Beamtentum grundsätzlich stabil vernünftig arbeiten lässt. Die Politikerkaste bildet sich aus Aufsteigern. Sie haben keine Regeln, nach denen sie sich die Macht aufteilen.
Diese Macht beschränkt sich nicht auf den Politbetrieb im engeren Sinn. Sie weitet sich aus auf das Beamtentum. Die Generation Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal setzt ihre Leute an die Spitze der Beamtenschaft und des restlichen öffentlichen Dienstes, damit der weiß, wem er zu dienen hat. Auch auf die „Zivilgesellschaft“ greift die Generation über. Indem sie ihre Leute an die Spitze von Justiz, Polizei, Verbänden, Vereinen oder Krankenkassen setzt. Oder indem sie gleich NGOs mit Milliardenbeiträgen fördert, die von Mitgliedern aus ihrer Kaste stammen und so die Machteroberung abrunden und absichern.
Kein Grund mehr zum Lachen
Spätestens seit Corona lachen die Klügeren nicht mehr über diese Politkaste. Egal wie lächerlich sich ihre Vertreter auch mitunter geben. Mit dem Paragraphen 188 des Strafgesetzbuches hat der Bundestag ein Sonderrecht für die Kaste geschaffen. Was ihnen gegenüber geäußert wird, haben Gerichte härter zu bestrafen als Äußerungen gegenüber Menschen, die nicht zu der Kaste gehören. Würde einer aus der Politikerkaste einen Bürger wüst beschimpfen, könnte er damit vor Gericht durchkommen – und gleichzeitig den Bürger verknacken lassen, wenn der auf die Beleidigungen mit „selber“ geantwortet hat.
Eine Innenministerin, die Medien übers Vereinsrecht verbieten lässt. Ein Regierungsabgeordneter, der die Plattform X verbieten lassen will, weil ihm die dort geäußerte Kritik an seiner Partei missfällt. Oppositionelle, die der Staat unter fadenscheinigen Vorwürfen neun Monate in Untersuchungshaft hält, während Vergewaltiger und verurteilte Räuber frei herumlaufen. Eine Innenministerin, die den Verfassungsschutz auf politische Gegner ansetzt. Ein Staatsfunk, der Missetaten der Regierung nicht mehr aufklärt, aber kritisch über Oppositionelle berichtet. Mit Material, das der Inlands-Geheimdienst bei seiner Arbeit erworben haben könnte, an das die Mitarbeiter des Staatsfernsehens zeitgleich und zufällig aber auch rangekommen sind. Hört sich alles nach China an, nach Iran oder DDR. Passiert aber alles in der Bundesrepublik dieser Tage. Lachen sollte über diese Politikerkaste wirklich niemand mehr.
Auch nicht in ihrem Versagen. Wie zum Beispiel im Fall Friedrich Merz. Wie der CDU-Chef in der Generaldebatte die Chance vergeben hat, den wankenden Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu stellen, ist schon erbärmlich. Das ließe sich leicht durch den schwachen Charakter des Blackrock-Manns erklären. Und es sind auch bereits durchaus amüsante Artikel in diesem Sinne erschienen. Doch eigentlich sollte niemand über die Vertreter der neuen Politikerkaste lachen. Denn was heute noch als Tölpelhaftigkeit verlacht wird, erweist sich allzu schnell als Systematik mit nur vielleicht bösem Ziel, aber ganz sicher gefährlichem Ergebnis.
Umberto Eco beschreibt in seinem Meisterwerk „Das Foucaultsche Pendel“ das Treffen eines Regierungsvertreters mit einem Rebellionsführer. Zwar trennt den Mann die politische Haltung von dem Rebellionsführer, sie sind sogar Todfeinde. Und doch herrscht unter den beiden ein Verständnis, das der Regierungsvertreter mit seinen Soldaten nicht teilt. Es verbindet sie die Zugehörigkeit zu einer Klasse, die das Herrschen gewohnt ist. Die Klassenzugehörigkeit ist im Einverständnis stärker als die politische Todfeindschaft der beiden Figuren.
Die Leiden des Friedrich M.
Friedrich Merz ist Oppositionsführer. Er tritt gegen eine Regierung an, die so sensationell schwach ist, dass sie sich eigentlich von alleine besiegt. Und doch gelingt dem CDU-Chef kein echter Zugriff auf diese Regierung. Trotzdem kommt seine Partei nicht über 30 Prozent im Bund hinaus. Nicht, weil es Merz an Erkenntnissen fehlt. In seinen besseren Momenten zeigt der Blackrock-Mann durchaus, dass er die Probleme des Landes versteht.
Es ist die Attitüde, die Merz handlungsunfähig macht. Mit der AfD verbindet ihn die Erkenntnis, dass es mit der unkontrollierten Einwanderung so nicht weitergehen kann. Dass das Schrumpfen der deutschen Wirtschaft den Wohlstandsverlust für dieses Land bedeutet. Dass Deutschland sich endgültig über den Abgrund schießt, wenn es die uferlosen Schulden von EU-Partnern wie Italien, Frankreich oder Spanien übernimmt. Mitunter redet Merz in diese Richtung.
Aber der CDU-Chef handelt nicht. Ja, er traut sich nicht einmal als Erster in den Ring, wenn es in der Generaldebatte zur Abrechnung mit der Regierung geht. Es ist die Attitüde, die Merz im Weg steht. Mit der AfD ist eine Partei aufgetreten, die der Politikerkaste den Kampf angesagt hat. Kaum etwas verstört diese an der AfD, als dass die Partei mit Tino Chrupalla ein Handwerks-Unternehmer führt. Je weniger sie seine Herkunft angreifen kann, desto mehr stört die Kaste Chrupallas fehlende Zugehörigkeit zu ihrer Kaste.
Die Politik, den öffentlichen Dienst und die Verwaltung hat die Politikerkaste erobert. Ihre Macht ist gesichert. Vorerst. Die Geschichte zeigt, dass jede Macht zu Ende geht, wenn ihre Schaffenskraft erschöpft ist. Wann das sein wird, müsste reine Mutmaßung sein. Vorerst ist es nicht soweit. Das zeigt sich schon darin, wie das Staatsfernsehen die Regierung hofiert und ihre Kritiker angreift.
In der besagten Sendung wirft Miosga Sahra Wagenknecht Personenkult vor. Ihre Partei verkaufe Merchandising mit dem Kopf ihrer Gallionsfigur. Das täten andere Parteien nicht. Eine einfache Internet-Recherche hätte gezeigt, dass die SPD das mit Olaf Scholz sehr wohl tut. Aber Wagenknecht gehört (noch) nicht zur Kaste und ist somit deren Gegnerin und damit auch die des Staatsfernsehens. Und Scholz ist Kanzler. Lieber würde eine ARD-Mitarbeiterin das letzte Jota an journalistischer Ehre verlieren, als den Regierungschef zu kritisieren.
… und dann noch Personenkult
Ein Bonmot bleibt noch. Caren Miosga wirft Sahra Wagenknecht Personenkult vor. In einer Sendung, die Caren Miosga heißt. Das ist Macht. Wenn du ungeniert peinlich sein darfst, weil niemand mehr da ist, um zu sagen, dass du peinlich bist. Wie im Märchen. Keiner wagt mehr zu rufen, dass der Kaiser nackt ist – oder in dem Fall: die Kaste. Aber bloß nicht lachen, weil sie nackt sind. Gefährlich sind sie trotzdem.