Tichys Einblick
Debatte um Sicherheitspaket

Bundestag scheitert an dem Thema Solingen

Die Ampel hat das Sicherheitspaket in den Bundestag eingebracht, das sie nach dem Anschlag von Solingen eilig zusammengeschnürt hat. Die Opposition versteht es nicht, die Regierung zu stellen. Die gibt an anderer Stelle zu, wie schlimm die Lage ist.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Deutscher Bundestag Berlin, 12.09.2024

picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Knapp drei Wochen ist der islamistische Terroranschlag von Solingen her. Daran erinnern nahezu alle Abgeordneten des Bundestags in der Debatte um das Sicherheitspaket der Ampel. Es ist, als ob sie sich selbst vergewissern würden. Als ob sie sich selbst daran erinnern wollten, warum sie jetzt am Pult des Parlaments stehen: Im Schock von Solingen und mit zwei wichtigen Wahlen vor Augen haben die Abgeordneten von SPD, FDP, Union und auch Grünen alle Positionen aufgegeben, die sie neun Jahre lang vertreten haben. Die sie so energisch vertreten haben, dass sie alle abweichenden Positionen als rechtsextrem gebrandmarkt und mit einer „Brandmauer“ umzogen haben.

Nun stehen sie hier und müssen sich mit Solingen beschäftigen. Immer noch. Nach fast drei ganzen Wochen. Damals hat man pflichtschuldig „ein paar Sätze des Mitgefühls“ runtergebetet, da hat man mit aktionistischen Handlungen Politik vorgespielt und hat sich mehr schlecht als recht über die Wahlen gerettet. Und jetzt muss man sich als Abgeordneter immer noch mit Solingen beschäftigen. Politik kann so ätzend sein und mit 11.000 Euro Gehalt und 5000 Euro „Unkostenpauschale“ netto monatlich ist ein Abgeordneter angesichts solcher Zumutungen immer noch unterbezahlt.

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Das Paket ist bekannt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) stellt es nochmal vor. Die Ampel will das Waffenrecht verschärfen: Messer sollen auf Volksfesten gänzlich verboten sein und Städte und Gemeinden dürfen sie künftig an „kriminalitätsbelasteten Orten“ ebenfalls verbieten. Mit „kriminalitätsbelasteten Orten“ meint Faeser übrigens die Bahnhöfe, von denen aus Pendler jeden Tag zur Arbeit fahren und Frauen sicher sein sollten, wenn sie am Wochenende nach Hause kommen.

Zu dem Solingen-Paket gehört auch das Beseitigen von Versäumnissen, die längst hätten beseitigt werden müssen. Etwa den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Internet. Die Linksterroristin Daniela Klette zeigte sich unverblümt auf Facebook. Deutsche Ermittlungsbehörden fanden sie trotzdem über Jahrzehnte nicht – einem ausländischen Journalisten gelang dies mit einer Routinesuche. Mit dem Solingen-Paket dürfen jetzt deutsche Ermittlungsbehörden so viel wie ausländische Journalisten. Nämlich mit Künstlicher Intelligenz Fotos wie die von Klette auswerten.

Zudem verspricht Faeser, dass ein „Flüchtling“ seinen „Schutzstatus“ verliert, wenn er in einem Land Urlaub macht, in dem sein Leben vermeintlich gefährdet ist. Auch erhalten Ausreisepflichtige keine Sozialleistungen mehr, wenn sie nach dem Dublin-Abkommen in andere EU-Staaten zurückkehren müssen. Finanzströme von Extremisten will Faeser überprüfen lassen. Außerdem müssen laut Faeser „Straftäter und Gefährder“ künftig „unser Land verlassen“.

Dann wird Faeser lustig. Unfreiwillig: „Wie ernst wir das meinen, haben wir vor zwei Wochen bewiesen“, posaunt Faeser. Da hat die Ampel 28 Straftäter nach Afghanistan ausgewiesen. In Worten achtundzwanzig. Straftäter. Gruppen-Vergewaltiger von Kindern. Ganze 28 Menschen dieser Qualität ist Deutschland losgeworden. Nachdem die Ampel diesen Straftätern zuvor noch 1000 Euro zum Abschiedsgeschenk gemacht hat. „Wie ernst wir das meinen, haben wir vor zwei Wochen bewiesen“, beschreibt Faeser diese Alibi-Aktion. Die Innenministerin hat recht. So „ernst“ meint die Ampel ihre Politik – nur Faeser merkt nicht, warum genau das ein Problem ist.

Auch andere Punkte des Pakets sind problematisch: Geldströme lässt Faeser ohnehin schon überprüfen. Aber eben nicht die islamistischer Gefährder, sondern die der Opposition. Waffenverbotszonen haben schon die Tat von Solingen nicht verhindert. Ausreisepflichtigen keine Sozialleistungen mehr zu zahlen, mag politisch vernünftig sein – ist aber mit dem Grundgesetz aller Voraussicht nach nicht zu vereinbaren. „Flüchtlinge“ dürfen keinen Urlaub mehr in dem Land machen, in dem ihr Leben vermeintlich bedroht ist. Sagt Faeser. Aber sie lässt aus, dass die „Flüchtlinge“ es eben doch dürfen, wenn sie einen Grund angeben. Etwa die Beerdigung eines Verwandten. Wie bitte wollen deutsche Behörden überprüfen, ob die Tante in Kabul oder Aleppo tatsächlich verstorben ist? Diese Regelung ist ein Haus, in dem die Türen und Fenster größer sind als die tragenden Wände.

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All diese Kritik an den Regelungen des Pakets hat der Autor dieses Artikels aufgeführt. Sie waren lange nicht Teil der Debatte im Parlament über genau dieses Paket. Ist auch schon eine Zumutung für die Opposition, sich immer noch mit Solingen und seinen Folgen inhaltlich beschäftigen zu müssen, da das doch schon fast drei ganze Wochen zurückliegt. Erst Martin Hess als dritter Redner der AfD führt einige dieser Punkte auf. Und danach noch Jessica Tatti (BSW) und Marc Henrichmann (CDU).

Wie schon in der Generaldebatte geht nicht der Oppositionsführer als Erster ans Rednerpult. Das überlässt Friedrich Merz seinem Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei. In seiner stärksten Attacke wirft Frei der Ampel vor, dass sie nun Positionen vertrete, von denen sie noch vor kurzem behauptet habe, dass diese nicht umsetzbar seien. Das ist richtig. Aber die Attacke läuft ins Leere, da es die CDU vor 2021 genauso wie die Ampel gesehen hat.

Bernd Baumann von der AfD hat es da leichter. Er kann angesichts der Solingen-Debatte sagen: „Wir haben recht gehabt.“ Die AfD sei nie radikal oder inhuman gewesen, sondern habe in der Asyldebatte nur bürgerliche und vernünftige Positionen vertreten. Die CDU habe sich damals hingegen dem grünen Zeitgeist ergeben. Nach Solingen habe sich der Zeitgeist verändert und die CDU laufe wieder hinterher. Das ist noch der stärkste Moment der Debatte.

Ansonsten ist die Debatte so, wie der Bundestag in seiner 20. Legislaturperiode halt so ist. Da ist zum Beispiel ganz viel Konstanin von Notz. Dessen Rede lässt sich in fünf Punkte zusammenfassen: Erstens, die Grünen sind besser. Zweitens, alle anderen sind gefährlich, unterkomplex oder gleich rechtsextrem. Drittens, die Grünen sind besser als alle anderen. Viertens, Putin ist schuld. Und fünftens, die Grünen sind so viel besser als alle anderen.

Konstantin von Notz ist der, der aufzeigt, wie der Bundestag allmählich den Scheinwerfer von Solingen wegdrehen will. Die Grünen wollen die Schuldenbremse abschaffen und nicht gerne über illegale Einwanderung reden. Also fordert von Notz nun, die Schuldenbremse wegen Solingen abzuschaffen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Fall erledigt. Zurück zur Tagesordnung. Die Grünen sind besser als alle anderen.

Bliebe noch die FDP zu erwähnen. Wenn auch nur der Vollständigkeit halber. Immerhin stellt sie den Justizminister. Marco Buschmann stichelt gegen die Koalitionspartner. Konstantin von Notz hatte von Push-Faktoren wie Putin gesprochen, die für Einwanderung nach Deutschland sorgten. Es gebe aber auch Pull-Faktoren wie Sozialleistungen, legt Buschmann hinterher. Und dann sagt der Justizminister, zur wehrhaften Demokratie gehöre es nicht nur, Reichsbürger zu verfolgen, sondern auch gegen den islamistischen Terror vorzugehen.

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Warum das eine Stichelei ist, muss man erklären. Denn dieser Angriff Buschmanns auf Nancy Faeser erklärt sich nicht von alleine. Der Justizminister deutet damit an, dass die Innenministerin sich stark auf den „Kampf gegen Rechts“ konzentriert und die Bekämpfung des islamistischen Terrors vernachlässigt hat. Dass die FDP immer noch auf die gescheiterte Strategie setzt, die Opposition in der Regierung sein zu wollen, ist an sich schon peinlich genug. Es wird aber maximal peinlich, wenn Buschmann das auf dem Niveau einer Whatsapp-Gruppe von Grundschülern aufführt.

Bemerkenswert ist, dass die Redner im Bundestag einen Artikel des Handelsblatts nicht aufgreifen. Der ist vor Beginn der Debatte erschienen. Er beschreibt einen Brief, den Faeser an die Spitzen der EU geschickt hat. Darin schildert die deutsche Innenministerin eine „unverändert besorgniserregende Entwicklung des irregulären Migrationsgeschehens“. Die Situation in den Aufnahmelagern sei „äußerst angespannt“. Die illegale Einwanderung bringe die Migrationsbehörden nun an „die Grenzen des Leistbaren bei Aufnahme, Unterbringung und Versorgung“.

Die Opposition im Bundestag ist nicht in der Lage, Faeser so hart zu stellen, wie sie es in internen Schreiben selber tut. Die AfD, weil sie sich in Populismus verliert. Die CDU, weil sie in der Tat nur einfach einen neuen Zeitgeist reitet, bei dem sie sich sichtbar unwohler fühlt, als es zu der Zeit war, in der sie den grünen Zeitgeist geritten hat. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen haben sich gänzlich zu Abnickern der Ampel gemacht, welches Chaos diese auch immer anrichtet.

Angesichts dieser Lage vergewissern sich die Abgeordneten zu Beginn ihrer Reden, dass sie wegen Solingen hier stehen. Dass sie eigentlich gebraucht würden in einer dramatischen Situation – dass sie aber eben der nicht gewachsen sind. Das Sicherheitspaket geht nun durch die verschiedenen Ebenen des Bundestags. Am Ende müssen die Abgeordneten der Ampel aufstehen, um ihm zuzustimmen. Politiker zu sein, ist manchmal schon eine Zumutung.

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