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Alles auf eine Karte: Wie Trump gegen Harris gewinnen will

Worum es wirklich ging im TV-Duell zur US-Präsidentschaftswahl, findet sich in fast keinem Kommentar unserer sogenannten Leitmedien. Unter der Oberfläche von Gestik, Mimik und einstudierten Sätzen hat sich offenbart, wie beide Kontrahenten gewinnen wollen. Die Strategien widersprechen sich diametral.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alex Brandon

Ein Experte ist jemand, der vorher weiß, welche Mannschaft gewinnen wird – und hinterher erklärt, warum sie verloren hat.

Das ist ein beliebter Witz unter Journalisten. Witze beinhalten ja immer auch ein Körnchen Wahrheit – dieser sogar eine ganze Kornkammer. Das gilt nicht nur für vermeintliche Sportfachleute, sondern in diesen Zeiten auch und gerade für selbsternannte „politische Analysten“. Doch ob jemand wirklich etwas davon versteht, wovon er spricht, erkennt man weniger an kühnen Prognosen. Spannend wird es, wenn nicht Ergebnisse geraten, sondern Zusammenhänge jenseits des Offensichtlichen hergestellt werden.

Nach der ersten – und, wie es derzeit aussieht, wohl auch einzigen – Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Kamala Harris im Kampf um die US-Präsidentschaft versagen unsere selbsternannten Top-Journalisten da leider (wieder) auf ganzer Linie. Es hagelt zwar Analysen, Einschätzungen und Kommentare. Aber fast kein Beitrag tut mehr, als an der Oberfläche zu kratzen: Wer hat was wie gesagt? Dazu kommt dann noch die heutzutage unvermeidliche eigene „Haltung“ des jeweiligen Journalisten, und fertig ist das Urteil.

In den großen Medien in Deutschland (übrigens weitestgehend auch in den USA) lautet es: Kamala Harris hat gewonnen.

Man merkt daran, dass die allermeisten Journalisten in Deutschland (übrigens auch in den USA) professionelle Politik nie selbst von innen erlebt haben. Denn wer eigene Erfahrungen aus einer Partei und aus einem Wahlkampf hat, der stellt andere Fragen.

Nicht: „Wer hat was wie gesagt?“
Sondern: „Warum hat er das gesagt, und warum hat er es so gesagt?“

In ihrem interessanten Bericht über das TV-Duell zwischen dem Ex-Präsidenten Trump und der amtierenden US-Vizepräsidentin Harris hat die geschätzte Kollegin Susanne Heger zurecht angemerkt, dass Harris bisher als unbeliebteste Vizepräsidentin der US-Geschichte galt. Entsprechend verfolgt sie das Ziel, sich als neue, unbelastete Kandidatin darzustellen, die mit der aktuellen (in Umfragen durchweg negativ beurteilten) Politik der Regierung wenig zu tun hat.

Viele Kommentatoren kritisieren nun, dass Harris vor allem zu Beginn der Debatte weniger belehrend als sonst auftrat und dass ihre Statements einstudiert wirkten. Die Beobachtung stimmt zwar. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass das keine Schwäche war, sondern pure kommunikative Absicht:

Denn so wirkte die Frau nicht wie die amtierende Vizepräsidentin, die sie ist, sondern wie eine Herausforderin, die den amtierenden Präsidenten Trump angreift. Das ist genau die Botschaft, die Harris verbreiten will. Deshalb werden wir diese Taktik bis zum Wahltag im November immer und immer wieder erleben.

Insgesamt ist die Linie von Harris in der Debatte – genau wie ihr gesamter sonstiger Auftritt – ganz auf sie als Person ausgerichtet. Ihr Team versucht, ihre vermeintlichen persönlichen Vorteile ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken: relativ jung, Frau, schwarz, sympathisch mit gewinnendem Lachen.

Damit sollen ihre politischen Inhalte möglichst verdeckt werden – denn in vielen Bereichen hat sie gar keine (oder hatte schon alle und jeweils auch das Gegenteil). Und ihre Regierungsbilanz ist ziemlich unbestritten extrem dürftig.

Donald Trump hat bis vor wenigen Wochen einen ganz ähnlichen Wahlkampf geführt.

Solange der Gegner Joe Biden hieß, inszenierte sich Trump als die persönlich bessere, dynamischere Alternative. Angesichts Bidens für alle sichtbaren erschreckenden geistigen Verfalls war das auch absolut naheliegend.

Doch seit es nun gegen Kamala Harris geht, funktioniert das nicht mehr. Plötzlich ist Trump der (deutlich) ältere Kandidat. Niemand spricht seiner neuen Kontrahentin die körperliche oder geistige Frische ab. Und dynamisch ist Harris auch – jedenfalls gelingt es ihr, so zu wirken. Auf der persönlichen Wahrnehmungsebene hat Trump nun offenkundig Nachteile.

Der Ex-Präsident musste also – mitten im Rennen und ziemlich unerwartet – seine Strategie völlig ändern. Das TV-Duell hat gezeigt, dass er das auch getan hat, und zwar auf typische Trump-Art: radikal. Statt die persönliche Karte, spielt er nun die politische Karte aus:

Donald Trump setzt auf Inhalte.

Den meisten Journalisten in Deutschland (übrigens auch in den USA) fällt das gar nicht auf. In ihrem albernen Anti-Trump-Furor hielten und halten sie das für unmöglich. Deshalb können sie jetzt auch nicht erkennen, dass es passiert.

Der einflussreiche und von Haus aus linksliberale TV-Kommentator Bill Maher hat schon vor einiger Zeit prognostiziert, dass die kommende Präsidentschaftswahl vom Thema Masseneinwanderung entschieden wird.

Eine übergroße Mehrheit der US-Amerikaner will (ähnlich wie eine übergroße Mehrheit der Europäer) eine radikale Umkehr in der Einwanderungspolitik. Doch selbst im Wahlkampf gelingt es Joe Biden und Kamala Harris nicht, dafür eine Mehrheit ihrer Partei hinter sich zu bringen. Die Democrats stehen für eine weitgehend ungezügelte Masseneinwanderung.

Davor haben immer mehr Bürger schlicht Angst, zumal sich (ähnlich wie in Europa) die Berichte über Gewalttaten von Einwanderern häufen. Den Kampf gegen die illegale Migration rückt Trump nun noch weiter ins Zentrum seines Wahlkampfs.

Das erklärt seine – von den meisten Beobachtern als befremdlich gewerteten – Aussagen im TV-Duell, illegale Einwanderer würden „Hunde und Katzen essen“. Abgesehen davon, dass das nicht stimmt: Diese Sätze werden überall zitiert, vor allem und genüsslich in den vielen Trump-feindlichen US-Medien. Doch unter der Oberfläche wird so nur Trumps Botschaft transportiert: Illegale Einwanderung ist beängstigend, und nur ich werde sie beenden.

Neben der illegalen Massenweinwanderung ist bei den Bürgern inzwischen noch ein zweites Thema dazugekommen: die Wirtschaft.

In der Amtszeit der Biden-Harris-Administration sind für sehr viele Produkte des täglichen Lebens die Preise zweistellig gestiegen. Die Inflation hat massiv Wohlstand vernichtet und die US-Amerikaner empfindlich getroffen. Trump wird nun nicht müde, daran zu erinnern:

„Wir haben eine Inflation, wie sie nur wenige Menschen je zuvor gesehen haben, wahrscheinlich die schlimmste in der Geschichte unserer Nation. Wir waren bei 21 Prozent, aber das ist noch großzügig, weil viele Dinge um 50, 60, 70 und 80 Prozent teurer sind als vor nur wenigen Jahren.“

Alle Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der US-Amerikaner das ganz genauso sieht und Angst vor dem ökonomischen und sozialen Abstieg hat. Diese Mehrheit wächst stetig, und an diese Mehrheit wendet sich Trump, wenn er sagt:

„Wir sind eine Nation im Abstieg.“

Trump hat seine Wahlkampfstrategie also nach dem Ausscheiden von Joe Biden um nahezu 180 Grad gedreht. Statt auf sich als Person setzt er in seinem Kampf gegen Kamala Harris jetzt ganz auf die zwei zentralen Themen, die er als wahlentscheidend identifiziert hat: auf die illegale Masseneinwanderung und auf die Wirtschaft.

Er tut das gewohnt schrill, das zeigen die Zitate. Das heißt auch, dass er – wiederum Trump-typisch – alles auf eine Karte setzt. Beim Pokern würde man sagen: Er geht „all in“. Er verzichtet komplett auf ein Wettrennen mit Kamala Harris um die Sympathie der Wähler und setzt einzig und allein auf die eben beschriebenen Inhalte.

Die ersten Umfragen nach der TV-Debatte sehen Kamala Harris als Gewinnerin (63 zu 37 Prozent, CNN). Das ist allerdings eine allgemeine Einschätzung – das heißt, sie bezieht sich auf die Kandidaten insgesamt. Übertragen auf das oben beschriebene strategische Spielfeld, geht es dabei also um die Persönlichkeit. Hier will Harris punkten, und hier punktet sie offenbar auch.

Anders sieht es bei den politischen Inhalten aus. Hier führt Trump schon seit einiger Zeit sowohl beim Thema Wirtschaft (55 zu 42 Prozent) als auch bei der illegalen Masseneinwanderung (53 zu 43 Prozent, New York Times). In den zwei zentralen politischen Themenfeldern liegt Trump recht deutlich vorne.

Interessanterweise haben also beide Kontrahenten ihr jeweiliges kommunikatives Ziel bei der Debatte anscheinend erreicht. Das verspricht einen spannenden und knappen Wahlkampf bis ganz zum Schluss.


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