Tichys Einblick
Bundesrecht „Dynamit am Fundament Europas“

Knaus legt sich mit Papier an: Migrationslobbyist gegen Ex-Verfassungsrichter

Hans-Jürgen Papier hat es klar gesagt: Zurückweisungen sind nach deutschem Recht geboten. Gerald Knaus, Merkel- und Ampel-Berater in Migrationsdingen, warnt davor und vor einer Dexit-Diskussion. Dabei sehen die meisten EU-Partner die Dinge ähnlich wie der ehemalige Gerichtspräsident.

Gerald Knaus, Soziologe und Migrationsforscher, Münster, 19. November 2023

IMAGO / Rüdiger Wölk

Und noch einer ruft ganz laut „hier“ und möchte im aktuellen Gespräch über Migration etwas zu sagen haben. Der „Migrationsexperte“ Gerald Knaus eröffnet dabei zwar auch Wege, die aber vielleicht gar nicht gangbar, jedenfalls nicht schnell zu realisieren sind – etwa den zu einem deutschen Ruanda-Plan. Und einen Weg will er nun mit Bestimmtheit versperren: den von Zurückweisungen an der deutschen Grenze. Denn die wären „Dynamit am Fundament der Stabilität Europas“. Gewaltige Worte, die ihre Bugwelle schon in sich tragen wollen. Es ist, als zöge der bekannte Regierungsberater hier seinen roten Knopf hervor, mit dem er ganz persönlich das deutsche Parteiensystem hochgehen lassen, also in die Luft jagen kann.

Konkret bezieht sich Knaus auf den Einwurf des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, keines namenlosen Juristen hierzulande, der letzte Woche gegenüber Bild sagte, dass es keine EU-rechtlichen Regelungen gibt, die über dem Paragraphen 18 des Asylgesetzes stehen. Man könnte logisch ergänzen: geschweige denn über dem deutschen Grundgesetz. Die humanitäre Ausnahme sei an den Grenzen Deutschlands zur Regel geworden, so Papier weiter. Damit sei aber der „Kernbereich der staatlichen Souveränität Deutschlands unmittelbar betroffen“. Ein souveräner Staat kann „nicht gezwungen werden, jeder Person aus der Welt, die an der Grenze angibt, Asyl zu wollen, die Einreise zu gewähren“. So einfach, so logisch und ökonomisch argumentiert.

Auch den „subsidiären Flüchtlingsstatus“ – ein letztes Rettungstürchen vor der Ablehnung und Duldung – kritisierte Papier bei dieser Gelegenheit scharf. Er bedeutet, dass etwa ein Syrer, auch wenn ihm persönlich in seiner Heimat weder Verfolgung noch Gefahr durch Krieg oder Bürgerkrieg drohen, dennoch in Deutschland und anderen EU-Staaten als „Flüchtling“ anerkannt wird, weil eine allgemeine Einschätzung der Lage in Syrien das so ermöglicht. Der „subsidiäre Flüchtlingsstatus“ fußt allein auf EU-Recht und wurde auf diesem Weg in die deutsche Praxis eingeführt.

Knaus: Schlecht, dass „wir“ so hilflos agieren

Gegen diese doppelte Breitseite Papiers wehrt sich nun der „Migrationsexperte“ Knaus, der sich dabei einmal mehr als Migrationslobbyist entlarvt, auch als Lobbyist einer Knechtung der deutschen Rechtspraxis unter das aggregierte „EU-Recht“ aus Verträgen und Verordnungen, dem eigentlich gar kein Einspruch gegen Bundesrecht zukommt.

Erhellend ist allerdings, was Knaus über die etablierten Parteien sagt, die er zu unterschiedlichen Zeiten in Fragen der (illegalen) Migration beraten hat: „Die Parteien der Mitte haben eigentlich alle die gleichen Ziele, ehrlich gesagt. Das Grundsatzprogramm der CDU/CSU im Wahlkampf, das CDU-Parteiprogramm, die sagen: Wir wollen die illegale Migration reduzieren und Schutz der Menschenrechte. Und das sagt auch der Koalitionsvertrag.“ So weit, so wahr, bisher bestand jedenfalls kein prinzipieller Unterschied zwischen dem Migrationsprogramm der CDU und jenem der Grünen.

Und jetzt sei es nur so schlimm, dass „wir“ so hilflos agieren und dadurch in eine Richtung „stolpern, wo wir in Widerspruch geraten zum EU-Recht“. Wir – das ist die herrschende politische Klasse, die Knaus berät. Jenes deutsche „Schlafwandeln“, wie er zuvor in kühner Metapher sagte, würden am Ende die anderen EU-Länder ausnutzen und gleichfalls Notlagen einführen. Und dadurch werde dann nicht etwa „die irreguläre Migration in die EU“ reduziert, sondern nur der Migrant von einem Land in das andere verschoben.

Knaus ist erkennbar auf der Suche nach Argumenten, die ihm aber bis zum Schluss fehlen. Was wäre eigentlich so schlimm an einem negativen Wettbewerb „gegen“ illegale Zuwanderung? Warum sollte nicht ein Land das andere unterbieten auf dem Weg zur Beseitigung dieses Übelstandes, den ja auch Knaus – wegen der vielen Toten – als solchen anerkannt hat? Hier entlarvt sich Knaus auch als doppelzüngig, denn er ist nicht gewillt, den Weg der Vermeidung illegaler Migration bis zum Schluss zu gehen. Endpunkt seiner fahrigen Gedanken: Widerspruch zum EU-Recht geht nicht, weil dann alles zusammenbricht.

Söder: Andere wären froh, wenn wir es täten

Darauf erwiderte der bayerische Ministerpräsident Söder im ARD-Bericht aus Berlin: „Ich bin fest überzeugt, auch Österreich und viele andere Länder wären froh, wenn Deutschland endlich als zentrales Land in Europa eine Migrationspolitik macht, wie sie in Dänemark üblich ist.“ Das ist dieser typische Söder-Übermut, der nichts mit der Parteilinie von CDU/CSU (oder seiner eigenen) zu tun haben muss. Und es mag in der Sache durchaus so sein, wie Söder sagt: Vielleicht wären die direkten Nachbarn froh, wenn Deutschland von seinem Irr-Sonderweg in Sachen illegale Migration abkommt. Aber dass seine Union eine solche Politik konsequent durchsetzen wird, ist noch immer wenig wahrscheinlich – vor allem nicht in einer neu aufgelegten schwarz-roten Koalition.

Der Widerwille Österreichs gegen Rücknahmen von Asylbewerbern werde sich gewiss „von selbst lösen“, sagt Söder und meint offenbar, dass der Rückstau rasch zu besserem Grenzschutz in der gesamten EU (und um sie herum) führen wird. Hier ließe auch die Union das EU-Recht hinter sich, indem sie es letztlich – anscheinend – auf Zurückweisungen an der Außengrenze abgesehen hat. In diesem Fall wären das dann gute „Pushbacks“, die öffentlich aber noch kein Unionspolitiker verteidigt hat, auch nicht im Fall Finnland.

Auch diese Idee ist nicht ganz neu, und ihre Erprobung steht nun seit geschlagenen neun Jahren aus, weil das Handeln Deutschlands bisher fehlte. Vielleicht würde die EU in diesem Falle aber nicht explodieren, sondern sich neu konsolidieren – wenn auch in anderer Gestalt, als der Migrations-Tausendsassa Knaus sie sich wünscht.

„… dann haben wir hier auf einmal Dexit-Debatten“

Im Tagesspiegel legte Knaus nach, dass Deutschland nichts gegen die EU-Partner unternehmen dürfe, weil „ohne deren Kooperation jegliche Kontrolle dieser Grenzen praktisch gar nicht möglich wäre“. Knaus konstruiert einen Gegensatz zwischen Deutschland und anderen EU-Ländern, der in Wahrheit gerade andersherum vorliegt: Deutschland ist ständig für mehr Zuwanderung, die anderen Länder lehnen das in ihrer Mehrheit ab und tun auch auf nationaler Ebene einiges dafür. Die Beispiele sind Legion, aktuell kann man hier über Schweden, die Niederlande, Italien und viele andere sprechen. Namentlich der Osten des Kontinents ist fest in der Hand der Grenzschutz-Unterstützer.

Und dann lässt Knaus noch eine ernste Warnung an Friedrich Merz folgen: „Wenn man etwas macht, von dem man erwarten muss, dass es vom Europäischen Gerichtshof wieder gestoppt wird, kommt man in eine Situation, die sich die AfD wünscht. Denn dann haben wir hier auf einmal Dexit-Debatten.“ Hier also wieder Innenpolitik: Bitte nicht noch einen Debatten-Hit für die AfD!, so Knaus’ verzweifelter Ausruf.

Die Antwort: Es geht nicht ohne Stärke

Immerhin kann Knaus – anders als Olaf Scholz – eine Trendwende bei den Asylzahlen nicht erkennen. Die Werte lägen zwar etwas niedriger als 2023, aber 20.000 Anträge im Monat August seien eine „historisch hohe Zahl“. Nur mit Georgien hat es die Bundesregierung offenbar gut getroffen. Seit dessen Erklärung zum sicheren Herkunftsland sind die Anträge von Georgiern stark zurückgegangen. Wieder bringt Knaus hier auch seine „Gemeinsame Erklärung“ von 2016 mit der Türkei ins Spiel, die aber seit März 2020 nicht mehr befolgt werde.

Hier scheinen sich die EU und Deutschland verhoben zu haben an einem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der immer autokratischer und islamfreundlicher regiert, dabei unverhüllte Expansionsabsichten zeigt und keinen Konflikt mit seinen Nachbarn scheut. Die EU probiert gerade Abmachungen mit den kleineren Ländern in Nordafrika aus und scheint da – zumindest kurzfristig – Erfolg zu haben. Aber die Gefahr der Erpressbarkeit bleibt und ist auch in Nordafrika gegeben, wie das Beispiel Marokko bewiesen hat.

Dagegen haben die Maßnahmen Griechenlands gezeigt, dass nur flankierende Maßnahmen beim EU-Außengrenzschutz die Entschiedenheit der Europäer untermauern und nach außen ein Signal der Stärke senden können. Das kann freilich auch in einer gut geführten Küstenwache bestehen. Inzwischen verwelkt aber auch die Verteidigungsfähigkeit der Griechen allmählich, etwa was Überfahrten nach Rhodos angeht – nicht zuletzt unter den Hieben von Frontex und der anderen EU-Institutionen, denen Zurückweisungen an der Außengrenze seit je ein Dorn im Auge sind. Finnland macht sie aber ganz offen, aber da geht es ja gegen Russland und nicht gerade um große Massen von Asylanten. Dazu ist die russisch-finnische Grenze wohl auch zu kühl für die meiste Zeit des Jahres.

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