Tichys Einblick
“Die Menschen vertrauen uns nicht”

Das große Fingerzeigen in der SPD

Während die Parteispitze mit dem Überspringen der 5-Prozent-Hürde in Sachsen und Thüringen durchaus leben kann, rumort es in der zweiten Reihe der ehemaligen Volkspartei. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander, zumindest bei jenen, die mehr als Steigbügelhalter der Macht sein wollen.

Generalsekretär Kevin Kühnert, Bundesvorsitzende Saskia Esken und Lars Klingbeil, Bundeskanzler Olaf Scholz beim SPD-Bundesparteitag, Berlin , 09.12.2023

picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Die Erwartungshaltung innerhalb der SPD dürfte vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen nicht allzu hoch gelegen haben. Insofern sollte es auch nicht überraschen, dass Bundesschlumpf Olaf Scholz mit gewisser Genugtuung auf den Einzug in die Landtage im Osten blickt. Denn gesichert war dieser Einzug ja keineswegs, aber mit seiner kurzzeitigen Inszenierung als Abschiebekanzler schaffte er es zumindest, die Verluste bei seiner treuesten Zielgruppe, den Rentnern, im Rahmen zu halten und die SPD über die 5-Prozentmarke zu hieven.

Daran zeigt sich auch: SPD wählt heutzutage nur mehr, wer aus irgendeiner althergebrachten Nostalgie damit Vorstellungen des 20. Jahrhunderts verbindet. Konservative unter den Linken, sozusagen. Wenn diese erst einmal wegsterben, wird auch die SPD den Gang alles Irdischen gehen, denn bei allen anderen Zielgruppen liegt die Konkurrenz – ob nun AfD oder Grüne – weit vorne.

Während die Profis und Profiteure an der Parteispitze diesbezüglich recht desillusioniert das Wahlergebnis – nicht zu Unrecht – als relativen Erfolg werten, empören sich immer mehr Stimmen aus der 2. Reihe innerhalb der ehemaligen Volkspartei, dass dies nicht der Anspruch der SPD sein könne.

Die Brandenburger Finanzministerin Katrin Lange begann die parteiinterne Schlammschlacht mit ihrer Forderung, Kevin Kühnert und Saskia Esken sollten nicht mehr in Talkshows auftreten, da der von ihnen vermittelte Eindruck „verheerend“ sei, nicht nur im Osten.

Esken reagierte wenig überraschend ungehalten und meinte, man hätte wohl „zu lange nicht miteinander geredet“. Das klingt wie die Ankündigung einer Standpauke von oben. Dabei wird Esken Lange dann erklären können, wie doch alles in Butter sei, da die SPD durch ihren Einzug in die Landtage zur Regierungsbildung benötigt würde. Wer in der SPD glaubt, man könne wachsen, der verbaut sich Chancen. Posten abgreifen, solange es sie gibt, lautet die Devise.

SPD versus FDP – oder: Not gegen Elend

Für die allermeisten Karrierepolitiker in der SPD sollten noch ein bis zwei Legislaturperioden möglich sein, um sich in den Ruhestand zu retten. Esken und Scholz müssen sich wohl um die Zeit nach der Politik – und nach der SPD – wohl wenig Sorgen machen. Für jemanden wie Kevin Kühnert sieht das schon anders aus, denn selbst wenn sich die SPD nach der nächsten Bundestagswahl für ein paar Jahre in der Opposition erholt – früher oder später stirbt die Wählerschaft der SPD weg.

Und Nachschub bekommt nur, wer auch etwas umsetzt. Darum setzt gerade Kühnert jetzt auch auf Angriff und sucht sich den einzig verbliebenen Schwächeren in der deutschen Parteienlandschaft als Ziel aus: die FDP. Denn während Christian Lindner selbst in einem internen Schreiben an FDP-Gremien die Alarmglocken läuten ließ und damit sogar ein mögliches Ampel-Aus in den Raum stellte, darf man sich auf den König der Umfaller verlassen, denn knapp einen Tag später betonte Lindner, dass man an der Ampel festhalten würde, denn es gäbe noch Projekte durchzusetzen.

Genau solche möchte auch Kühnert verwirklicht sehen, nur meinen FDP und SPD dabei wahrscheinlich nicht die gleichen Projekte. Also stellt Kühnert der FDP die Rute ins Fenster: „Hopp oder Top“, die FDP müsse sich entscheiden, ob sie ihr Umfallertum noch einmal zur Schau stellen möchte, oder ob die SPD die Ampel sprengt und der Todesstoß der FDP um ein Jahr vorgezogen wird. Ein Jahr Ministerialgehälter und Abgeordnetenbezüge mehr oder weniger, das sind schon Argumente. Zumal ja ohnehin kein Szenario realistisch scheint, in dem die FDP bei Bundestagswahlen 5 Prozent der Wähler mobilisieren könnte.

Daher lautet Kühnerts Strategie eben: Entweder die SPD nutzt die Ampel noch, um ein wenig SPD-Wahlkampf fürs nächste Jahr zu betreiben, oder sie zieht die Reißleine bereits jetzt, um weitere Verluste zu minimieren. Das zeugt zwar nicht von allzu viel Vision, ist aber auch eine Form von Realpolitik.

„Die Menschen vertrauen uns nicht“

Tatsächlich dürften sich aber in die Kleinpartei SPD auch Kräfte eingeschlichen haben, die mit dieser Form von Opportunismus nicht zufrieden gestellt werden können. Der Parlamentarische Staatssekretär des Innenministeriums, Mahmut Özdemir, zum Beispiel, kritisierte seine Partei scharf. In einem Posting auf Facebook verschaffte er seinem Ärger Luft:

„Seit 2005 rechtfertigen wir als SPD mit ganz wenigen Ausnahmen von Wahl zu Wahl historisch schlechteste Ergebnisse und kündigen dann Analysen und Veränderung an, machen aber kurz danach weiter wie bisher!

Wir versuchen zu relativieren, dass das Bürgergeld eigentlich gar nicht höher ist als ehrliche Arbeit. Die Menschen fühlen das aber anders, wenn sie sehen, dass man arbeitslos fast genauso gut lebt wie als arbeitender Mensch.

Wir können nachvollziehen und erläutern, warum ausländische Straffällige immer noch im Land sind und nicht in ihr Heimatland zurückgeführt wurden. Die Menschen fühlen sich aber unsicher, wenn sie Volksfeste besuchen und Ansammlungen von respektlosen, vorwiegend ausländischen Männern, ihnen im Stadtteil den Gehweg versperren, während unsere Bevölkerung im eigenen Land außen rumläuft.“

Des Weiteren bemängelte Özdemir die Mentalität, sich 12 Monate vor der Bundestagswahl über das Überspringen der 5-Prozent-Hürde zu freuen. Zwar konnte auch er nicht umhin, die SPD als „Bollwerk gegen Faschismus zu feiern, stellte allerdings konsequent fest, dass die Führungsriege der SPD mit ihrem Mangel einer positiven Vision versagt habe:

„Wir brauchen den Mut, unsere Lage ehrlich zu beschreiben: Die Menschen vertrauen uns nicht! Die Kommunikation zwischen denen die uns mal gewählt haben oder wählen würden ist gestört, weil wir nicht eine Sprache sprechen!

Wenn die Menschen keine Veränderungen in ihrer Lebensrealität verspüren mit mehr Wohlstand in der Lohntüte, mit mehr Sicherheit auf der Straße und mit mehr Perspektive für ein Deutschland, das auch Kindern und Enkeln eine gestaltbare Zukunft liefert, dann werden wir dieses Vertrauen nicht zurückgewinnen!“

Es rumort in der SPD, denn nicht jeder kann sich seinen Ruhestand mit ein bis zwei Legislaturperioden vergolden. Doch die Einsicht, dass es immer nur leere Worte, aber keine Veränderung gibt, stellt alleine noch keine Veränderung dar. Die Arbeiter wird die SPD nicht zurückgewinnen können, wer also bleibt als Zielgruppe, die nicht anderswo besser aufgehoben wäre?

So wird es bei aller Aufregung wohl doch dabei bleiben, dass die SPD die ihr zugewiesene Rolle weiterhin erfüllt. Als Mehrheitsbeschaffer und Auffangbecken für politisch wenig Gebildete, die im Zuge der nächsten schwarz-grünen Legislaturperiode glauben, die SPD würde nach einer kurzen Pause von der Macht womöglich wieder Politik für den sprichwörtlichen „kleinen Mann“ machen. Drei bis vier Wahlen wird man auf diesem Wege noch durchstehen können und bis dahin hat ja – wenn er ein wenig vorsorgt – auch ein Kevin Kühnert genug auf der hohen Kante für einen gemütlichen Ruhestand. Win-win für fast alle. Nur nicht für Deutschland. Aber man kann es ja nicht allen recht machen.

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