Tichys Einblick
Taktische Spiele statt Wählerwille

CDU: Fest entschlossen, den Weg ihres eigenen Niedergangs zu beschreiten

Unvereinbarkeit, Zusammenarbeit, Koalition? Im Nachgang der Landtagswahlen tut sich die CDU schwer mit ihren selbstauferlegten Kriterien gegenüber Linkspartei und AfD. Die Partei schwurbelt und mäandert. Dabei verliert die CDU vor allem eins aus den Augen: die Wähler.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen hat in der CDU das große Biegen, Drehen und Wenden begonnen. Im Zentrum der Debatte steht die Frage: Was genau bedeutet eigentlich der Unvereinbarkeitsbeschluss, den der CDU-Parteitag im Dezember 2018 gefasst hat? Der hieß im Wortlaut: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“

Das Problem: In Thüringen haben die Wähler AfD und Linke mit der Hälfte der Parlamentssitze ausgestattet. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich die Christdemokraten für eine Regierungsmehrheit entweder auf Björn Höckes AfD oder aber auf Bodo Ramelows Linke stützen und damit den Unvereinbarkeitsbeschluss entsorgen müssen.

Eifriges Feilschen um die Worte

Das ist zwar schnödeste Mathematik, aber trotzdem spricht es in der Union kaum jemand offen aus. Stattdessen zeichnet sich bereits jetzt ein Feilschen um einzelne Worte ab. Der entscheidende Passus aus dem Beschluss ist dabei der der „ähnlichen Formen der Zusammenarbeit“. Was genau ist eine koalitionsähnliche Zusammenarbeit, die sowohl mit Linken als auch mit AfD verboten sein soll?

Und wichtiger: Welche Form der Kooperation bleibt unter dieser Schwelle? Ist es der CDU zum Beispiel verboten, sich durch die Linke in Thüringen tolerieren zu lassen? Ist es verboten, Bodo Ramelow auf den Landtagsfluren, in der Landtags-Kantine oder auch auf dem Landtags-WC dazu zu bewegen, sich bei der Ministerpräsidentenwahl zu enthalten und damit CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt eine einfache Mehrheit zu sichern?

Aus der CDU ließen sich am Montag unterschiedliche Nuancen vernehmen. Vergleichsweise deutlich klang vor den Gremiensitzungen zum Beispiel Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion: Es gebe „keine Zusammenarbeit“, meinte er. Keine Zusammenarbeit meint keine Zusammenarbeit.

Der Unvereinbarkeitsbeschluss fließt dahin

Andere gerieten ins Schwurbeln: Christian Herrgott etwa, Generalsekretär der Thüringer CDU, differenzierte zwischen AfD und Linker: „Wir werden nicht mit der AfD zusammenarbeiten. (…) Gleiches gilt für eine Koalition mit der Linken.“ Mit der AfD also gar keine Zusammenarbeit, mit der Linken nur keine Koalition?

Auffälliges gab es auch bei der Pressekonferenz in Berlin mit Parteichef Friedrich Merz und den Spitzenkandidaten aus Thüringen und Sachsen, Voigt und Michael Kretschmer, zu beobachten. Sowohl Voigt als auch Kretschmer erwähnten in ihren eigenen Statements nur ausdrücklich, dass sie eine Kooperation mit der AfD ablehnten.

Merz selbst – voller Angst, durch einen Fehltritt noch die Kanzlerkandidatur zu verlieren – mäanderte sich durch seinen Auftritt: „Der Unvereinbarkeitsbeschluss gilt. Was jetzt allerdings in Thüringen passiert, muss man abwarten. Ich will dem nicht vorgreifen. Die Dinge sind im Fluss.“ Das ist in seiner Uneindeutigkeit dann doch schon wieder ziemlich eindeutig: Der Unvereinbarkeitsbeschluss ist im Fluss und fließt im Fluss nun also dahin.

Am Ende wird die CDU versuchen, die Kooperation mit den SED-Nachfolgern so hinzubiegen, dass sie angeblich vom Beschluss gedeckt ist. Was auf ein ziemlich verlogenes Kunststück hinausläuft. Denn der Beschluss ist in seiner Symmetrie eben doch eindeutig: Was man mit der AfD nicht darf, darf man auch nicht mit der Linken. Und im Umkehrschluss: Wenn man mit der Linken kooperieren darf, dann muss man es auch mit der AfD tun können.

Verfassungsrechtliches Vabanquespiel

Zwei Wege gäbe es, die Kooperation mit der Linken zumindest auf nahe Null zu reduzieren: Der erste ist, einen Linken-Abgeordneten zum Übertritt zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) anzustiften. Spekulationen in diese Richtung sind bereits reichlich in Umlauf; Handfestes gibt es aber nicht zu vermelden.

Der zweite Weg liegt da schon näher, würde aber auf ein verfassungsrechtliches Vabanquespiel hinauslaufen. Einfallstor hierfür ist Artikel 70 Absatz 3 der Thüringer Landesverfassung. Dieser regelt die Wahl des Ministerpräsidenten, auch den dritten Wahlgang. In diesem soll demnach gewählt sein, wer „die meisten Stimmen erhält“.

Verfassungsrechtler streiten, was das genau bedeutet. Möglicherweise könnte Voigt auch dann gewählt sein, wenn er nur mehr Stimmen bekommt als ein anderer Kandidat. Dann würden 44 Stimmen von CDU, BSW und SPD ausreichen, selbst wenn alle anderen 44 Abgeordneten mit Nein oder geteilt für Nein und für einen anderen Kandidaten votieren würden. Eine Mehrheit, um Gesetze beschließen zu können, hätte die Koalition dann allerdings nicht. Und Voigt müsste befürchten, dass seine Wahl am Ende die Gerichte beschäftigt.

Je rechter das Wahlergebnis, desto linker die Regierung

Welches Szenario sich durchsetzt, ist also weiter offen. Grundsätzlicheres ist hingegen jetzt schon klar: Die Christdemokraten laufen in Thüringen (aber auch in Sachsen) in jedem Fall Gefahr, mit der nächsten Koalition ihr eigenes Todesurteil zu unterschreiben und sich auf den Verfallsweg der SPD zu begeben. Selbst wenn es zu keiner Zusammenarbeit mit der Linken käme.

Der Grund ist ganz einfach: Die Christdemokraten ignorieren den Wählerwillen. Früher hätte jeder Politiklaie aus den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen einen ganz einfachen Schluss gezogen: Die Bürger wollen eine rechtskonservative Regierung aus Union und AfD. Doch was früher galt, gilt nicht mehr heute. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Stattdessen erleben wir seit Jahren eine Dynamik, die von vielen Bürgern so wahrgenommen wird: Je rechter sie wählen, desto linker die Regierung, die sie bekommen. In Sachsen etwa haben sich die aufaddierten Werte von Union und AfD seit 2014 wie folgt entwickelt: 2014: 49,1 Prozent – 2019: 59,6 – 2024: 68,4 Prozent. In Thüringen sieht es so aus: 2014: 44,1 Prozent – 2019: 45,2 – 2024: 56,4 Prozent.

AfD längst Volkspartei

Wenn das nun erneut mit in Teilen linken Koalitionen quittiert wird, ist der weitere Schaden für die Demokratie absehbar. Höcke läuft schon durch die Gegend und prophezeit seiner Partei für die Zukunft einen absolute Mehrheit. Das mag übertrieben klingen; allerdings hätte bei der Gründung der AfD wohl auch kaum jemand darauf gewettet, dass die Blauen innerhalb eines guten Jahrzehnts stärkste Partei in einem Bundesland werden würden. Die Grünen brauchten dafür 36 Jahre.

Die Nachwahlauswertungen zeigen, dass die AfD im Osten längst das ist, was CDU und SPD einmal waren: eine gefestigte Volkspartei. Viele Wähler nutzen sie nicht mehr nur als Protestvehikel, sondern verbinden mit ihr handfeste Kompetenzen. Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen spricht eine relative Mehrheit der Wähler der AfD die höchste Kompetenz in Bereichen wie Flüchtlingspolitik, ostdeutsche Interessen und sozialer Gerechtigkeit zu.

Es ist am Ende völlig egal, welches Szenario die CDU ohne die AfD in Thüringen und Sachsen verwirklicht: Sie wird die Wähler der AfD damit nicht zufriedenstellen können und vermutlich sogar weitere ihrer eigenen Wähler vergraulen. Das gilt insbesondere in Thüringen, wenn dort auch künftig eine Minderheitsregierung aller gegen die AfD vor sich hinwurschtelt.

Das Trauma von 1933 verstellt den klaren Blick

Es gibt in Deutschland und gerade unter deutschen Konservativen ein Trauma. Das Trauma lautet 1933. Ja, es stimmt: Es waren 1933 Rechte und Konservative, die Hitler, der nie in einer Wahl eine absolute Mehrheit errang, zur Macht verhalfen. Dummköpfe wie Franz von Papen und Alfred Hugenberg, die Hitlers revolutionäres Wesen völlig verkannten, die nicht bemerkten, dass dieser Irre in nur wenigen Monaten auch ihre Parteien hinwegfegen und ihre Anhänger hinrichten lassen würde.

Weil sie diesen Fehler nicht wiederholen wollen, starren die sogenannten Konservativen nun lieber wie das Kaninchen auf die Schlange – immer unter der Annahme, dass die AfD so etwas wie ein Wiedergänger der NSDAP sei. Das ist natürlich an sich schon aberwitzig. Doch selbst wenn es stimmen sollte, merken die Christdemokraten – gefangen in ihrer historischen Nabelschau – offenbar gar nicht, dass sie mit ihrer Strategie das Problem nur weiter befeuern.

Weil sie und mit ihnen viele Medien den entscheidenden Faktor aus ihren Überlegungen auszublenden versuchen: die Wähler. Die aber lassen sich gerade im Osten schon lange nicht mehr für Dumm verkaufen. Wenn man das nach dieser Wahl immer noch nicht begriffen hat, dann wird das wohl auch in Zukunft nichts mehr.

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