Tichys Einblick
Medien und Landtagswahlen

Sachsen und Thüringen: Was wir jetzt denken sollen

Kaum einen Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen können wir schon besichtigen, welche Deutung der Ergebnisse die regierungsnahen Journalisten in Deutschland und Europa jetzt durchsetzen wollen. Die Medien-Schlinge um den Hals des selbst denkenden Bürgers zieht sich zu.

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„Playbook“ ist einer dieser Begriffe aus dem Angelsächsischen, die nicht ganz leicht ins Deutsche zu übertragen sind. Wörtlich übersetzt bedeutet er „Spielbuch“, aber das ergibt natürlich keinen Sinn. Im American Football, dem US-Nationalsport, ist das Playbook die Sammlung der vorbereiteten Spielzüge einer Mannschaft. Politisch am besten passt „Strategiepapier“. „Brussels Playbook“ nennt das US-Politikportal „Politico“ seinen täglichen EU-Newsletter. Da erfahren die Leser – angeblich – interessante Hintergründe und gut gehütete Geheimnisse aus der Brüsseler Eurokratie.

Politico gehört zur Hälfte dem Axel-Springer-Verlag. Bei dem wiederum ist die schillernde US-Beteiligungsgesellschaft KKR mit mehr als 35 Prozent der größte Anteilseigner. Seit Springer-Boss Mathias Döpfner die Amerikaner ins Boot geholt hat, drängen diese neuen Miteigentümer mit Erfolg darauf, dass der ehemals konservative deutsche Vorzeige-Konzern sich dem grün-linken, vor allem dem woken, Zeitgeist anpasst. Mehrere enorm profilierte konservative Journalisten haben deshalb zum Beispiel Springers BILD-Zeitung verlassen.

Politico ist eine gute Quelle, wenn man erfahren will, wie EU-Europas edle Kaste der stromlinienförmigen Journalisten die Welt sieht – und wie das gemeine Publikum nach Ansicht dieser Kaste die Welt auch sehen sollte.

Montagmorgen um kurz nach sieben nun widmet sich Politicos „Brussels Playbook“ ausführlich den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Vier Lehren aus diesen beiden Urnengängen werden den Lesern präsentiert (denen man eigenes Denken und eigene Schlüsse offenbar nicht so recht zutraut). Unverhohlen wird also die Deutung der Wahlergebnisse präsentiert, die die regierungsnahen Journalisten in Deutschland und Europa jetzt durchsetzen wollen.

Erstens: AfD gleich Neonazis.

Politico lässt keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass die Blauen vom bekanntlich maximal unabhängigen und neutralen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft werden. Die in Deutschland wachsende Kritik am BfV und an dessen fürchterlichem Chef Thomas Haldenwang kommt dagegen nirgendwo vor.

Dafür wird noch einmal ausführlich erklärt, dass man Thüringens AfD-Vorsitzenden Björn Höcke laut Gerichtsurteil einen „Faschisten“ nennen darf. Natürlich darf im Zusammenhang damit auch ein Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg nicht fehlen.

Dieses leicht geschichtsvergessene Gleis hatte – je nach Sichtweise kühn oder infam – am Abend des Wahlsonntags auch schon ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten in ihrem Kommentar zu Sachsen und Thüringen befahren:

Zweitens: Sahra Wagenknecht ist Deutschlands neue Lichtgestalt.

Die überzeugt kommunistische Herkunft der Frau, die sich bis heute weigert, den Bau der Mauer als Fehler zu bezeichnen, wird in keiner Weise inhaltlich behandelt, sondern ist für Politico eher eine süße Anekdote. Dass das ganze „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) der AfD Stimmen abnimmt, die Blauen dadurch kleiner macht und von einer Regierungsbeteiligung abhält, unterschlagen die ach so hintergründigen Journalisten allerdings – vermutlich aus Raumgründen, im Internet ist ja nur sehr wenig Platz.

Auch dass das BSW aus genau diesen Gründen für alle Brandmauer-Parteien quasi ein Gottesgeschenk ist, fehlt in der Analyse. Stattdessen erfahren wir aber, dass Wagenknecht „eine der beliebtesten Politikerinnen“ und nun „Königsmacher“ ist. Die Heiligsprechung ist nur noch eine Frage der Zeit.

Drittens: Olaf Scholz hat fertig.

Bei Politico wird medial fortgesetzt, was SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Wahlabend politisch begonnen hatte: die Demontage des Bundeskanzlers.

Die Funktion jedes Generalsekretärs ist es ja, seinem Chef den Rücken freizuhalten und Angriffe abzuwehren. Kühnert (SPD) dagegen greift Scholz (auch SPD) einfach selbst an: Der müsse seine Politik dem Volk künftig besser erklären und überhaupt eine „andere Körperhaltung“ zeigen, vor allem gegenüber den Koalitionspartnern FDP und Grünen.

Robin Alexander von der „Welt“ nannte diese Einlassung zurecht eine Unverschämtheit. Der Vorgang zeigt klar, dass bestimmte Kreise in der SPD (zu denen Kühnert gehört) den Bundeskanzler loswerden wollen und öffentlich zum Abschuss freigeben. Und die Journaille macht in Erwartung eines linkeren Nachfolgers freudig mit.

Für Scholz sei das Wahlergebnis ein „Nagel zu seinem politischen Sarg“, dichtet Politico. Eine Scholz-SPD werde absehbar von der CDU entthront, heißt es weiter. Subtext: Nur eine SPD ohne Scholz hat noch eine Chance.

Viertens: Die Ostdeutschen sind zu doof für die Demokratie.

Die Menschen in der ehemaligen DDR sind „besonders anfällig für radikale, anti-EU und anti-westliche Botschaften“, weiß Politico. Das deckt sich mit ähnlichen Beleidigungen durch viele Westdeutsche. So erklärt etwa der Bonner Politologe Frank Decker, SPD-Mitglied und ein wichtiger Vorturner des woken Milieus: „Teile der Ostdeutschen sind noch nicht wirklich angekommen in der liberalen Demokratie.“

Dabei klappt in Deutschland doch alles so prima, wie kann man da nur kritisch sein und anders wählen, als es dem grün-linken Zeitgeist gefällt? Die müssen in Sachen Demokratie wirklich noch viel lernen, diese Ossis.

Letztlich sollten wir Politico dankbar sein.

Selten schreiben Medien so kondensiert auf, wie wir die Dinge nach ihrem Wunsch sehen sollen. Dass das passiert, ist eine gute Nachricht: Der selbst denkende Bürger, der sich tatsächlich seine eigene Meinung auch selbst bildet und sich seine Sicht auf die Dinge nicht von den Schaustens dieser Welt vorgeben lässt, ist offenbar keineswegs ausgestorben.

Im Gegenteil: Er vermehrt sich. Sonst müsste nicht so ein Aufwand betrieben werden, um ideologisch abtrünniges Publikum wieder auf Linie zu bringen.

Und das ist die gute Nachricht, kaum einen Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen.

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