Nach Solingen stehen politische Änderungen im Asyl- und Migrationsrecht im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Wie auch nach Mannheim und den anderen zahlreichen Einzelfällen wird die Schuld dieser verfehlten Einwanderungspolitik hin und her gereicht. Ist die Ampel-Regierung schuld? Oder doch die CDU? Kann überhaupt irgendeine Partei das Problem nur ansatzweise lösen?
Alles nicht so leicht, stellt Lanz fest. Welche Instrumente denn wirklich verwendet und welche Gesetze postwendend geändert werden könnten, fragt Lanz. Immerhin streitet in seiner Runde keiner ab, dass es Fehler gab und es Änderungen bedarf. Bei Caren Miosga meinte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken noch vor einem Tag, dass sich aus dem terroristischen Anschlag in Solingen „nicht viel lernen lässt“.
Spahn gegen den moralischen Zeigefinger der ZEIT
Dass Esken an der Realität vorbeischrammt, ist nicht zu bezweifeln und stellt sie immer wieder unter Beweis. Schön, dass nun der Rechtswissenschaftler Daniel Thym bei Markus Lanz die Realität aufzeigt: „Es lässt sich sehr wohl etwas daraus lernen“, und Anschläge könnten auch abgewendet werden. Neben seiner rechtlichen Einordnung der neuen Forderungen zum Asylrecht, welche Merz dem Kanzler vorlegt, sitzt auch Jens Spahn in der Runde und strotzt vor Tatendrang. Nicht das erste Mal, möchte man sagen, aber vielleicht setzt Spahn dieses Mal sogar etwas um. Vielleicht.
Um den CDU-Mann immer wieder an die Merkel-Ära zu erinnern, ist die ZEIT-Redakteurin und Journalistin Anne Hähnig anwesend. Immer wieder hebt sie den moralischen Zeigefinger gegen ihren Sitznachbarn Spahn und leistet Erinnerungsarbeit. Aber auch gegen den Extremismusforscher Ahmad Mansour, der vor der Gefahr der Radikalisierung des Islams warnt. Schließlich könnten ja auch viele Erfolge der Einwanderungspolitik zugeschrieben werden. Für ZEIT-Redakteure kommt Vor-Terror-Warnen moralisch gleich hinter AfD wählen.
Thym erläutert noch weitere Beispiele des Irrsinns des deutschen und europäischen Asylrechts. So darf die Abschiebung von Nordrhein-Westfalen nach Belgien nur mit dem Flugzeug stattfinden; oder dass ein einmal abgeschobener Bewerber immer wieder einen neuen Antrag auf Asyl beantragen kann, inklusive staatlicher Leistungen.
Einfach nicht zur Abschiebung erscheinen
Das dysfunktionale Asylrecht wird erschreckend deutlich an dem islamistischen Anschlag in Solingen, in dem drei Menschen ermordet wurden und acht schwer verletzt. Der Täter kam 2022 nach Deutschland, wo sein Asylantrag abgelehnt wurde. Die folgende Abschiebung nach Bulgarien konnte nicht durchgeführt werden, weil er nicht anzutreffen war. Als schließlich sechs Monate verstrichen waren, bekam er den regulären Schutzstatus. Nach Saskia Esken konnte diese Tat nicht verhindert werden, da er „nicht auffällig geworden ist“. Mit gutem Recht ärgert sich Markus Lanz über diesen Satz und betont, dass allein sein abgelehnter Asylantrag ausgereicht hätte, um als auffällig eingestuft zu werden. Hinzu kommt, dass der Terrorist sein Bekennervideo unbemerkt in den Nahen Osten versenden konnte.
Spahn fasst die Situation der Einwanderungspolitik in einem Zitat von Peter Scholl-Latour zusammen: „Wer halb Kalkutta aufnimmt, der hilft nicht Kalkutta, der wird irgendwann wie Kalkutta.“ Er und seine Partei wollen nun Verantwortung übernehmen und sehen ein „klares Signal an den Grenzen“ nötig. Anne Hähnig wendet besorgt ein, dass man sich jetzt aber in Acht nehmen müsse vor einem „unangenehmen wording“ und erinnert nochmal daran, dass doch nicht alle diese Regeln ausnutzen und diese Menschen auf „Hoffnung nach Schutz“ nach Deutschland kommen. Der Einwand wird von Lanz, Spahn und Mansour gleichermaßen abgewehrt. Wieder wendet sich Hähnig mit dem moralischen Zeigefinger an Spahn: „Sie würden also die Grenzen schließen?“ Spahn bejaht: „Ja, das ist, was ich meiner Partei empfehlen würde.“ – Ob er sich daran wohl nach den Wahlen erinnern wird?
Immerhin ist es ein Zeichen dafür, dass die Realität langsam in der CDU ankommt, wenn ihr Spitzenpersonal plötzlich andere Töne anstimmt. Jetzt muss sie es nur noch durchhalten und nicht wieder einknicken. Dafür hat sie noch bis zu den Wahlen am Sonntag Zeit.
CDU fordert viel – aber …
Ob die Forderungen der CDU juristisch überhaupt durchzusetzen sind, möchte Markus Lanz nun wissen. Eine Forderung wäre die Abschiebung in Länder wie Syrien und Afghanistan. Daniel Thym sieht darin kein Problem, da sich die Lage in bestimmten Gebieten positiv verändert hat. Bei der Verweigerung von weiteren Flüchtlingen aus genau diesen Ländern sieht er aber eine große Hürde, welche zu beseitigen, Zeit in Anspruch nehmen würde. Spahn sieht das allerdings als machbar, indem Abkommen mit sicheren Drittstaatenländern verhandelt werden – so wie Meloni mit Tunesien.
Im dritten Punkt der CDU, dem Abschiebegewahrsam, sieht Thym Schwierigkeiten, die nicht so schnell beiseite geschoben werden können. Auf die Frage, wie viel Zeit es in etwa in Anspruch nehmen würde, die Gesetze zu ändern, sagt Thym: „Das letzte Mal hat es 8 Jahre gedauert, aber theoretisch unter einer neuen Kommission kann es auch schneller gehen.“ Ebenso glaubt Spahn optimistisch an eine schnelle Durchsetzung – wenn der „politische Wille und die politische Dringlichkeit“ bestehe.
Die Fesseln, die sich Deutschland selbst angelegt hat, werden damit aber nicht beseitigt. So darf das Saarland zurzeit nicht nach Griechenland abschieben, entschied das Oberverwaltungsgericht des Bundeslands schon 2022. In NRW wurde schon 2021 ein ähnliches Urteil gefällt. Denn: Die Gerichte bemängeln die Versorgung von Flüchtlingen in Griechenland.
Theoretisch kann in kaum ein Land abgeschoben werden, selbst wenn die betreffende Person nicht einfach untertaucht. Eine Verschärfung der Asylrecht-Praxis muss also bei den Gerichten anfangen – und die Politik muss anfangen, die bestehenden Regelungen durchzusetzen. Doch die Regierung ruht sich auf der Blockade durch Richter aus, die politisch heikle Urteile scheuen. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
Erstaunlicherweise sitzen die Gäste bei Markus Lanz mit unbekanntem Tatendrang in den Sesseln. Trotz der üblichen Schuldzuweisungen waren sich die Gäste im Allgemeinen einig. Fast idyllisch wäre die erste Talkshow von Markus Lanz von der Sommerpause zurückgekehrt. Wenn Jens Spahn nicht zum Abschluss zu einem kleinen Seitenhieb ausgeholt hätte: „Übrigens gerade habe ich nachgedacht, Herr Lanz. Wir haben von Arbeitsverteilung geredet. Dann kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk ja auch noch seinen Teil tun, denn der kriegt relativ viel Geld dafür. Wir sind ja hier beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade zur besten Sendezeit. Der hat ja vielleicht auch einen Auftrag, dabei zu kommunizieren.“