Tichys Einblick
Folgen der Fixierung auf E-Mobilität

Autozulieferer am Abgrund

Die wirtschaftliche Lage der deutschen Autozulieferer hat sich in den letzten Monaten erheblich verschlechtert. Ist die Schussfahrt noch zu stoppen? Ohne innovative und ertragstarke Zulieferindustrie hierzulande im Wettbewerb mit China nein.

Auch ZF Friedrichshafen ist von der Krise in der Zuliefererbranche betroffen

picture alliance/dpa | Daniel Karmann

„Die Lage der meisten Zulieferer ist dramatisch!“, mit diesen dürren Worten beschrieb vor wenigen Tagen ein langgedienter Branchenexperte aus dem Stuttgarter Raum die gegenwärtige Verfasstheit nahezu aller seiner kleinen und mittleren Beratungskunden aus der Automobil-Zulieferindustrie. Und er fügte hinzu: „Denen steht das Wasser bis zum Hals!“ (Name liegt TE vor)

Die dramatische Zuspitzung der Krise sowohl bei den Branchen-Leuchttürmen (Bosch, Continental, ZF usw.), vor allem bei kleinen und mittleren Zulieferunternehmen (KMU), wie Webasto, Dräxlmaier, Hella & CO, hat viele Ursachen, aus denen aber eine heraussticht: die einseitige staatliche Transformationspolitik in der Autoindustrie weg von der bewährten Verbrennertechnologie hin zu der einseitigen Batterie-Elektromobilität (BEV), kombiniert zusätzlich mit einem faktischen Verbrennerverbot ab 2035 auf Europaebene. Die Fehlentscheidungen an der Spitze der Zulieferpyramide, bei den Autoherstellern (OEMs= Original equipment manufacturer) wirken durch die gesamte Zulieferkette, vom Tier-1 Modul- und System-Lieferanten über den Tier-2 Komponenten- und Teile-Lieferer bis zu Tier-3 Herstellern von Spezialteilen – oder dem Brötchenlieferant Tier-x.

Diese gesamte Lieferkette ist stark verflochten, der Grundstruktur nach sind alle Zulieferer mit Ausnahme des OEM untereinander und voneinander abhängig, je spezialisierter das Produktportfolio oder das spezifische Know-how eines Zulieferers ist, desto größer die Absatz-Abhängigkeit vom vorgelagerten Kunden. Der OEM verteilte die Aufträge – die Zulieferer lieferten dankbar und demütig. In allen sieben Automobilkonjunkturzyklen der Nachkriegszeit war das so. Am stärksten abhängig ist in der Regel das letzte Glied der Kette, der Tier-3 Lieferant. – Aber natürlich keine Regel ohne Ausnahme!

Von den beim Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) offiziell registrierten 620 Mitgliedern entfallen mit mehr als 500 vier Fünftel auf den Bereich der Automobilzulieferindustrie. Rechnet man als Dunkelziffer noch die Betriebe dazu, die nur im Teilbetrieb an und in die Autoindustrie liefern, dürften in Deutschland sicherlich mehr als 3000 Unternehmen für das Wohlergehen der Branche sorgen respektive davon abhängen. Dafür sprechen Input-Output-Rechnung des Statistischen Bundesamtes, wonach direkt und indirekt, also unter Einbeziehung der vorgelagerten Branchen, etwa 1,75 Millionen, also rund 4 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland mit der Automobilbranche verbunden sind.

Die wirtschaftlichen Konsequenzen der technologiefeindlichen Fixierung nur auf Batterie- Elektroautos als klimaangemessen erweisen sich für alle Glieder der Wertschöpfungskette als verheerend, am stärksten sind die schwächsten Glieder am unteren Ende der Lieferkette betroffen, die KMUs.

An der Spitze der Kette strategischer Fehlentscheidungen pro Elektroautos und contra Verbrennerauto standen die großen Autohersteller, allen voran der Volkswagen-Konzern, der eilfertig schon mal ganze Werke für Elektro-Autos umrüstete, ohne einen Elektro-„Volks“-wagen im Programm zu haben. Oder auch Mercedes, das nur noch „electric only“ Luxus-Elektroautos für den täglichen Bedarf bauen wollte; beide Branchen-(Leucht-?)Türme publizierten sogar fixe Termine für das endgültige Produktions-Ende ihrer Verbrennerautos. Mit der peinlichen Folge, heute die Kapazitäten in ihren E-Auto-Fabriken kappen zu müssen und nur noch in „Kosten, Kosten, Kosten“-Kategorien zu denken.

Ford (Dearborn) beschloss mitten in der Elektro-Euphorie sogar, sein Werk in Saarlouis ganz zu schließen und im Stammwerk Köln nur noch Elektroautos zu bauen. Ganz aktuell meldet die Automobilwoche dazu: „Ford wirft seine Elektropläne über den Haufen“ (Ford wirft seine Elektropläne über den Haufen | Automobilwoche.de, 22.08.2024).

Weißer Rabe blieb BMW, dessen Spitzen-Management sich bis zuletzt – sehr erfolgreich – zu Technologieoffenheit bekannte, allerdings neuerdings mutig forderte, auf Bundesautobahnen eine Spur für E-Autos zu reservieren, vermutlich um den Kunden auch mal wieder die Frende am zuckeligen Fahren zu vermitteln.

Im Dienste der OEM Endabnehmer musste sich die gesamte Wertschöpfungskette nolens volens auf E-Mobilität umstellen. Mit fatalen Folgen, die lediglich als Folge der Globalisierung hätten etwas gemildert werden können. Denn gesättigte Märkte und schwindende Wachtumschancen auf den traditionellen großen Automärkten in Kombination mit einem zunehmend schärferem Kostenwettbewerb mit der aufkommenden Autoindustrie in Asien, vor allem China, haben die jahrzehntelange Struktur der Lieferkette aufgeweicht.

Durch regionale wie funktionale Diversifizierung und Risikostreuung haben vor allem die großen Zulieferer wie Bosch, Conti, ZF, Schaeffler usw. die Abhängigkeit von den heimischen Autoherstellern deutlich gelockert – dafür aber in China potenziert. Und einen Ausgleich für die schwache Nachfrage nach Elektro-Autos im Ausland fanden die Big Player auch nicht, da auf allen Weltmärkten die E-Märkte schrumpften und in China nationale Zulieferer inzwischen den Markt beherrschen, ähnlich wie chinesische Autobauer den Markt für Elektroautos. Das gilt jedoch weniger, kaum oder gar nicht für die KMU-Zulieferer, die im Absatz auf Europa fixiert blieben.

Die Berichterstattung in den Medien ist gegenwärtig eindeutig krisendominiert. Anders lassen sich die negativen Meldungen und Signale aus der Branche – und vor allem deren aktuelle Ballung – nicht deuten. Bei (fast) allen Großen der Branche, gleich ob Autohersteller (Ausnahme BMW) selber oder Zulieferer, die gleiche Situation: Personalabbau und Entlassungsaktionen, Kürzung von Produktionskapazitäten durch Streichung von Schichten und Kurzarbeit, Stilllegungen von Werken und Zusammenlegung von Produktionsstandorten, Streichung oder kritische Überprüfung von Plänen für Fabrikneu- und -ausbauten, u.a. für neue Batteriewerke für Elektroautos. Stichworte: Dekonstruktion und Re-Strukturierung im Wortsinn.

Inzwischen haben die Bezugspunkte für Negativ-Schlagzeilen in den Medien von den OEMs zu den Big Playern im Zulieferbereich gewechselt. Eine Welle von Hiobsbotschaften aus der Zulieferindustrie hat in den vergangenen Wochen die Öffentlichkeit erreicht. Viele gerade der kleinen Zulieferer von Stufe Tier-2 abwärts mit einseitiger Technikkonzentration stehen buchstäblich „mit dem Rücken zur Wand“. Denn wer als Zulieferer zukunftsfähig sein möchte, musste massiv in neue Elektro-Technologien und Software-Systeme investieren. Da aber gleichzeitig der unterstellte Hochlauf der Elektromobilität nicht wie geplant kommt, und die erwarteten und benötigten Stückzahlen zur Kostendeckung absehbar nicht erreicht werden, weder heute noch morgen, droht Ungemach.
Im Zweifel droht der Gang zum Konkursrichter, da angesichts der hohen Risiken die Hausbanken notwendige Kredite zunehmend verweigern. Folge: absehbar eine Konsolidierungswelle unter den Zulieferern.

Inzwischen sorgen negative Schlagzeilen selbst bei den auch im Welt-Ranking größten deutschen Zulieferern, wie Bosch, Continental, ZF etc. über massive Ertrags- und Absatzprobleme für Unruhe und Sorgen in Branche und Öffentlichkeit. Meist in Verbindung mit dem Geschäftsfeld Elektromobilität wird von massiven Umstrukturierungen und Personalkostensenkungen, vulgo: Stellenabbau, berichtet. Betroffen ist aber auch der mittlere Zulieferbereich von Unternehmen mit Milliardenumsätzen wie Hella, Webasto, ElringKlinger, Brose, Marquardt etc.

Alle stecken sie in Schwierigkeiten, schlechte Nachrichten zuhauf, fast täglich neue Nachrichten über Massenentlassungen. Vor allem die „Branchen-Leuchttürme“ planen in den kommenden Jahren einen massiven Rückbau ihrer Belegschaften. So sollen etwa bei Bosch im Mobility-Bereich bis zu 3200 Jobs weltweit gestrichen werden. Bei Continental sind es sogar weltweit 7150, das Sparprogramm wurde vor wenigen Wochen nochmals verschärft. Bei ZF ist von 14.000 Beschäftigten die Rede, die bis Ende des Jahrzehnts nicht mehr gebraucht werden, ein Viertel der Belegschaft.

Auch bei den übrigen Zuliefer-Granden sowie querbeet über alle Zulieferstufen von mittel bis klein rollt eine große Entlassungswalze durch die Branche: Brose (10 Prozent der Belegschaft, 20 Prozent der Inventionen), Hella (420), Webasto (will jede zehnte Stelle streichen; 1650), Draexlmaier (360) usw. Sogar Mechatronik-Spezialist Marquardt aus dem Schwarzwald hat bereits 2023 700 Stellen abgebaut, in 2024 sollen 300 weitere dazu kommen.

Fakt ist: Ohne innovative und ertragsstarke Zulieferindustrie at home haben die deutschen Autohersteller im Wettbewerb mit China ein Problem. Milliardensubsidien in Chipfabriken ausländischer Investoren und die Schaffung von mehreren tausend Arbeitsplätzen sind sicher löblich und für den Automobilstandort Deutschland sinnvoll, können den Niedergang der deutschen Zulieferindustrie in der ganzen Breite aber nicht kompensieren.

Laut VDA waren im Vor-Corona-Jahr 2019 noch 833.000 Beschäftigte in der deutschen Autoindustrie registriert, aktuell nur noch 780.000. Städte wie Rastatt und Böblingen sind seither damit quasi von der Bildfläche verschwunden – lautlos, ohne Aufschrei in der Öffentlichkeit oder der Gewerkschaften. Möglicherweise mit ein Grund für das Erstarken extremer Wählergruppen.

Sollen die Medien in Zukunft nicht auch noch das Verschwinden einer ganzen Großstadt melden müssen, ist eine schnellstmögliche Korrektur der gegenwärtigen politischen E-Mobilitätsstrategie unabdingbar.

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