Tichys Einblick
Kleine Länder, große Wirkung

Warum es im Parteiensystem nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen rumpelt

Kleine Länder, große Wirkung: Diese Wahlen könnten bis in die Bundespolitik mehr bewegen als die in bevölkerungsstarken Ländern. Das taktische Versagen von CDU-Chef Merz wird offenkundig - und nach Solingen die Weigerung der Parteien, Migration und Innere Sicherheit anzusprechen.

IMAGO/Steinach

Sachsen und Thüringen sind kleine Länder; nur rund acht Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland können bis zum 1. September ihre Stimme abgeben. Wahlkämpfe spitzen sich gegen Ende zu, aber Fakt ist: Seit dem 5. August läuft die Briefwahl. Der letzte Kick, der Umschwung kurz vor dem letzten Wahltag, verliert so an Volumen. Rund ein Drittel der Stimmen sind bereits abgegeben. Daher dürften die bisherigen Sonntagsfragen der Demoskopen einigermaßen solide sein, wobei allzu große Gewissheit der Feind der Demoskopen ist.

Solingen allerdings dürfte der unausgesprochenen Koalition aus AfD und BSW neuen Schwung geben: Der Dreifach-Mord wird schon wieder klein- und weggeredet, verharmlost. Ein immer seltsamerer „Kampf gegen Rechts“ soll den Kampf gegen Gewalt und Mord ersetzen. Innenministerin Nancy Faeser fabuliert davon, dass die Gesellschaft sich nicht spalten lassen dürfe – billige Worte, denn nicht Spaltung ist das Problem, sondern der Verfall der inneren Sicherheit und der Öffentlichkeit insgesamt. Statt gegen massenhaft auftretende Kriminelle vorzugehen, gefällt sich Faeser als Heldin im Kampf gegen imaginierte Rechte und „Rollator-Putschisten“.

Die Zahlen messen den Druck auf CDUSPDGRÜNE

Glaubt man den Zahlen, dann steht in diesen beiden Ländern und kurz darauf in Brandenburg das Parteiensystem unter Druck – und vergleicht man die Zahlen Woche für Woche, so beschleunigt sich der Trend: AfD und BSW gewinnen noch weiter dazu. Solingen und das Gerede von angeblicher „Spaltung“ der Gesellschaft, wie es Innenministerin Nancy Faeser absondert, verärgert nur noch: Man erwartet Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, nicht eine Wiederholung der Litanei ewiger Beschimpfungen als angeblich ausländerfeindliches Volk.

 

In Sachsen hat die Anti-AfD-Koalition aus CDU, Grünen und SPD ihre Mehrheit verloren. Grüne und SPD kratzen an der 5-Prozent-Hürde; die FDP ist längst im schwarzen Loch der Sonstigen untergegangen. Gegen AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zusammen wird sich kaum eine Regierung basteln lassen. Will der glücklose Ministerpräsident Michael Kretschmer eine Regierung bilden, kann er zwischen zwei Kröten wählen, die er schlucken muss: entweder die verteufelte AfD oder die Partei der Roten Zarin Sahra Wagenknecht. Die ist ja beim rotgrünen Medienestablishment im Westen wohlgelitten. Im Osten punktet Wagenknecht mit ihrer entschiedenen Pro-Putin-Position im Ukraine-Konflikt; sie räumt Wähler der Linken mit ihren Anti-Migrationsaussagen ab. Ansonsten ist ihre Partei ein Sammelsurium von Alt-Linken und ewiggestrigen Sozialisten.

Nach der Wahl wird Kretschmer sich das schönreden und von politischer Verantwortung schwafeln, die dazu zwinge und so weiter. Die Abgeordneten der CDU dürfen ein bisschen mosern, die ärgsten Kritiker kauft man sich dann ein mit Minister-Staatssekretären oder Beauftragtenposten für Dies&Das inklusive Büro, Mitarbeiterstab und Dienstlimousine. Die Parteimitglieder haben wenig zu sagen, die entschiedenen Anti-Sozialisten der Wendezeit sind längst müde geworden oder wurden aus der Partei gedrängt, in der alerte Karrieremacher die Melodie pfeifen.

Mit der AfD wird er kaum koalieren können, obwohl in Sachsen deren bürgerlicher Habitus das eigentlich inhaltlich ermöglichen sollte. Aber die CDU hat sich unter Merz in eine Falle begeben. Statt sich der früher noch kleinen AfD als Mehrheitsbeschaffer zu bedienen und sie im drögen Alltag abzuschleifen, hat die CDU mitgeholfen, die Alternative zu verteufeln, bis sie jetzt selbst alternativlos dasteht. Von der CDU weiß man nur, dass sie gegen die AfD kämpft und ansonsten gut mit den Roten kann und die Grünen herbeisehnt. Sie hat sich derart in die Falle manövriert, dass sie so, wie derzeit die Karten liegen, nur mit Wagenknechts Kostüm-Roten reden kann. Wer keine Alternative hat, muss teuer kaufen.

Die Lage ist noch trostloser für die CDU in Thüringen. Da liegt sie fast 10 Prozentpunkte hinter der AfD, und um Mario Voigt zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen, braucht sie außer den kostümierten Roten noch die roten Roten von der Linken. Nun ist die Thüringer CDU ohnehin schon entkernt und ausgelutscht. Sie hat den Linken Bodo Ramelow auf Geheiß von Angela Merkel ins Amt gewählt; für die war Thüringen der schäbige Rest oder die Wursthaut der gegessenen Schlachtplatte, wie CDU-Generalsekretär Mario Czaja in seinem Buch „Wie der Osten Deutschland rettet“ erklärt. Sie musste Ramelow ins Amt verhelfen, um die AfD auszugrenzen. So rettet also der Osten den Westen im Sinne der CDU: Er hilft einem Linken auf den Posten des Ministerpräsidenten, Hauptsache nicht AfD. Ihr Versprechen, bald Landtagswahlen abzuhalten, hat die CDU gebrochen. Ihren Abgeordneten ist ihr Mandat unter dem Hintern lieber, als ein Versprechen dem Wähler gegenüber zu halten.

Im Ergebnis müssen die CDU-Möchte-was-werden-Politiker um die Hand von Sahra Wagenknecht betteln. Und dahinter steht wiederum Oskar Lafontaine, sicherlich einer der ausgebufftesten lebenden Machttaktiker der Parteipolitik. Das wird ein Spaß, die CDU springen zu sehen, wenn ihr der Saarländer und seine Frau die Stöckchen hinhalten – und ebenso schön wird der CDU-Limbo anzusehen sein, wenn sie sich unten durchschlängeln müssen. Es fallen einem gar nicht genug Sprachbilder ein, um zu beschreiben, wie die CDU durch die Arena gezogen wird und gleichzeitig in Berlin Parteichef Friedrich Merz der frischgetrauten Grünen-Chefin Ricarda Lang politisch unanständige Avancen macht. Da weiß auch der gutmütigste Kreuzlmacher der CDU: Wer Schwarz wählt, kriegt Supergrün.

Wie weit kann Ausgrenzung gehen?

Und so haben die Wahlen eine Reihe von Konsequenzen, die weit über Sachsen und Thüringen hinaus weisen. Was geschieht mit 30 Prozent der Wähler und ihren Abgeordneten? Will man sie weiter aussperren, den AfD-Mandatsträgern Ausschussvorsitz und Mitarbeit in den Präsidien der Landtage weiter verweigern wie bisher? Immer neue Anti-AfD-Gesetze erfinden, um die Konkurrenz vermeintlich klein zu halten? Die selbsternannten Retter der Demokratie beschädigen immer brutaler das, was sie angeblich verteidigen wollen. Die AfD verbieten? Na, dann werden die Gefängnisse bald überfüllt sein mit eingesperrten AfD-Funktionären und Mandatsträgern. Vermutlich müsste man dann den britischen Weg gehen: Verbrecher vorzeitig freilassen, um Platz zu schaffen für politische Gefangene.

Kein schönes Bild. Auf jede Repression haben die Wähler bisher mit immer noch mehr Stimmen für die AfD reagiert. Die Parteienfinanzierung anpassen, so, wie man auch die Parteistiftung der AfD von der Kasse fern hält? Da mag ja der Beifall bei ARD und ZDF und in den Regierungskonform-Blättern prasseln – gleichwohl: Man ist zunehmend angewidert. Denn das Problem ist ja nicht diese Partei, sondern sind die Probleme, die nicht angepackt werden: Haushaltschaos, gescheiterte Energiewende, ungelöstes Zuwanderungsthema in ungebremst hoher Zahl, wachsende Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsabschwung, tägliche Brutalität auf Straßen und Bahnhöfen.

Da wundert sich Friedrich Merz …

… über den Hass, der mittlerweile den Grünen entgegenschlägt. Was er noch nicht begriffen hat: Er beginnt auch der CDU entgegenzuschlagen, nachdem erkennbar wird, dass sie mit den Grünen eine Koalition bilden will und nach Solingen genauso daher salbadert wie SPD und Grüne: Keinerlei Bereitschaft, Merkels maßlose Migrationspolitik wieder zu beenden.

Kann da Friedrich Merz wirklich noch Kanzlerkandidat sein oder hat er sich schon innerlich verabschiedet? Markus Söder jedenfalls steht bereit, und zuletzt hat er in Bayern auch die Freien Wähler klein gekriegt. Hubert Aiwanger hat den Mund gespitzt, aber nicht gepfiffen, und eine grüne Energiepolitik befördert, wozu man so einen vermeintlichen Flugblatthelden wie ihn wirklich nicht braucht.

Und dann ist da noch die FDP. Ihr sicheres Ende vor Augen, ermannt sie sich vielleicht doch noch und knipst die Ampel aus. Das wäre verdienstvoll. Und man würde ihr gerne einen Grabstein mit Aufschrift in Gold spendieren: „Hier ruht eine Partei, die viel verspricht und wenig hält, was dem Wähler nicht gefällt.“

Anzeige
Die mobile Version verlassen