Ein bisschen hatte man es bereits ahnen können, dass die Bundeswehr einknicken würde. Denn als der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums vor zwei Wochen in der Bundespressekonferenz auf neue interne Hinweise des Ministeriums zum Traditionserlass der Bundeswehr angesprochen wurde, schien er sich fast schon dafür zu schämen: Nein, die Leistungen des erfolgreichsten Wehrmachtsjagdfliegers Erich Hartmann seien „keine traditionsbegründende Tatsache im Sinne des Traditionserlasses“, erklärte er seinerzeit.
In der Weisung, auf die sich der Sprecher an dieser Stelle bezog und die Mitte Juli von Kai Rohrschneider, Generalleutnant und Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium, unterzeichnet worden war, klang das zumindest etwas anders: Darin war Hartmann als „erfolgreichster Jagdflieger der Militärluftfahrt“ gelobt und seine „352 Luftsiege“ genau dokumentiert worden. Auch andere Wehrmachtsoffiziere wurden lobend erwähnt und als potentiell traditionsbegründend für die Bundeswehr angeführt. Gemein war ihnen, dass sie seit den 1950er Jahren die Armee in der jungen Bundesrepublik mit aufbauten – geprägt durch die Einsatzerfahrungen, die sie im Weltkrieg gesammelt hatten.
Neue Schwerpunktsetzung
Dass die Weisung diese Erfahrungen erwähnte, ohne sie direkt moralisierend zu verurteilen, war in der Deutlichkeit überraschend und setzte sich erfreulich von den Säuberungsaktionen vergangener Jahre ab. Zu verstehen war es nur vor dem Hintergrund der Zeitenwende. Mit dieser sei „die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich maßgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen“, hieß in der Weisung.
Der von Ursula von der Leyen 2018 durchgedrückte Traditionserlass blieb ausdrücklich in Kraft. Er wurde nur insofern leicht neu ausgerichtet und mit ergänzenden Hinweisen versehen, als in seinem Rahmen künftig ein stärkeres Augenmerk auf militärisches Können gelegt werden sollte – etwa eben das Können der notierten Wehrmachtssoldaten und späteren Erbauer der Bundeswehr. Alle Hintergründe hier >>>
Trotz der Wehrmachtsbezüge löste das Papier aus dem Verteidigungsministerium keine größere öffentliche Debatte aus, nicht vergleichbar jedenfalls mit den aufgeregten Diskussionen um die Bundeswehr in vergangenen Jahren. Nur ein paar linke Stimmen empörten sich, vor allem die Tageszeitung (taz). Außerdem schlug die russische Botschaft bei X Alarm, „in Deutschland“ sollten nun wieder „frühere Nazis“ als Helden gefeiert werden. Eine bewusste, um nicht zu sagen: propagandistische Fehlinterpretation.
Ministerium fällt eigenem Abteilungsleiter in den Rücken
Angesichts des ausgebliebenen Drucks ist es umso verstörender, dass die Weisung zum Traditionserlass in der vergangenen Woche wieder abgeräumt wurde – plötzlich und völlig ohne Not. Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, teilte am Mittwoch in einem Rundschreiben mit, die ergänzenden Hinweise hätten „Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen“. Sie seien daher „mit sofortiger Wirkung außer Kraft“ gesetzt.
Breuer führte weiter aus: „Für Traditionswürdigkeit in der Bundeswehr waren, sind und bleiben Wertebindung und das klare Bekenntnis zur freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zwingend.“ Nur auf der Grundlage der Wertebindung, „die sich nicht auf professionelles Können im Gefecht reduziert“, könne ein soldatisches Selbstverständnis traditionsstiftend sein. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums sekundierte am selben Tag, „ein Abteilungsleiter“ habe Bezüge hergestellt, „die sich in der Rückschau nicht als förderlich herausgestellt haben“.
Man würde gern wissen, was Breuer und das Ministerium bei diesen Stellungnahmen geritten hat. Ganz offenbar gaben sie hier jenen nach, die das neue Papier vorsätzlich falsch lesen wollten – und fielen damit auch dem eigenen Abteilungsleiter und Generalleutnant in den Rücken. Und das, obwohl der Generalinspekteur nach Ministeriumsangaben die Weisung Rohrschneiders vor Veröffentlichung selbst zu Gesicht bekommen hatte, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.
Armutszeugnis für Pistorius
Natürlich ging es Rohrschneider mit seinem Papier – anders als ausgerechnet vom höchsten deutschen Soldaten insinuiert – keineswegs darum, die Wehrmacht reinzuwaschen oder auch nur Wehrmachtssoldaten unabhängig von ihrem moralischen Verhalten als traditionsbegründend einzustufen. Ganz im Gegenteil hatte er sogar ausdrücklich festgehalten, dass für die Traditionswürdigkeit eine Abwägung zwischen persönlicher Schuld und individueller Leistung „entscheidend“ bleibe.
Einziges Anliegen war, eine Schwerpunktverschiebung vorzunehmen und die Überbetonung ziviler Tugenden in der Tradition der Bundeswehr zugunsten des militärischen Könnens ein Stück zurückzunehmen. Das lag unbestritten noch auf Linie von von der Leyens Traditionserlass, der selbst die Möglichkeit vorsieht, bestimmte Wehrmachtssoldaten, etwa aus der Gründergeneration der Bundeswehr, in die Tradition der Truppe zu integrieren.
Soll es wirklich die Empörung der taz gewesen sein, die die jetzige Kehrtwende verursachte? Oder gar die der russischen Botschaft? Ein Armutszeugnis für Boris Pistorius ist es in jedem Fall. Er hätte zeigen können, dass es ihm wirklich ernst damit ist, mit den falschen Schwerpunktsetzungen in der Bundeswehr aufzuräumen. Nun ist die geschichtspolitische Zeitwende in der Truppe hingegen abgesagt.