Es ist ein Gefangenen-Austausch der anderen Art. Die neue Regierung in London sieht sich zu einer Notfall-Operation gezwungen. Denn die Gefängnisse des Königreichs stehen schon seit längerer Zeit an der Überlastungsgrenze – und das allerdings nicht nur wegen der neu intensivierten Polizeiarbeit gegen Regierungskritiker in Sachen Kriminalität und Migration. Die wären eher der letzte Tropfen, der das System – erneut – zum Überlaufen bringt. Doch auch ihre Zahlen sind inzwischen durchaus bedenklich: Mehr als 1.000 Personen wurden im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Mädchenmorde von Southport festgenommen, in rund 480 Fällen gibt es bereits Anklagen, mindestens 99 Urteile wurden schon gesprochen. Und während immer mehr Protestler angeklagt und auch verurteilt werden, gibt es Sorgen, dass die englischen Gefängnisse diesen Zuwachs nicht mehr aufnehmen können.
Vorzeitige Entlassungen sind bisher bei Verurteilungen unter fünf Jahren möglich und wurden auch von Vorgängerregierungen praktiziert, so erst im Mai dieses Jahres. Keir Starmer hatte sich die problematische Lage in den UK-Gefängnissen im Wahlkampf auf seine Fahnen geschrieben und so quasi zu eigen gemacht. Sein Plan bestand aber nicht etwa im Bau neuer Gefängnisse – dazu soll angeblich auch die Zeit fehlen –, sondern in der vorzeitigen Entlassung von Strafgefangenen. Das muss auch als eine bewusste Politik Starmers und von Labour angesehen werden.
Labour auf den Spuren von Equity und Diversity
Neuerdings müssen Häftlinge in einem solchen Fall sogar nur noch 40 Prozent ihrer Strafe absitzen, nicht wie zuvor die Hälfte. Das hatte Justizministerin Shabana Mahmood schon kurz nach ihrer Amtsübernahme angekündigt. Gäbe es nicht die reale Enge in britischen Gefängnissen, könnte man an ein Diversity- und Equity-Projekt in der Nachbarschaft der Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) denken, die ja die „Straflast“ gerade von Afroamerikanern vermindern wollte. Es können natürlich auch alle Gründe zusammenkommen in Großbritannien. Übrigens sind Sexualstraftäter, Terroristen, häusliche und sonstige Gewalttäter von der Straferleichterung ausgeschlossen.
Der Richter gestand Sweeney sogar zu, dass sie ihren Kommentar „eher unbedacht als absichtlich gemacht“ habe. Trotzdem könne eine „angemessene Bestrafung … nur durch eine sofortige Inhaftierung erreicht werden“. Diese Botschaft müsse vermittelt werden, dass „wenn Sie solche furchtbaren Taten begehen, das Gericht Ihnen sagen wird: ‚Sie müssen ins Gefängnis‘“.
Harte Urteile wegen geringfügiger Taten
Doch es gibt sogar Verurteilungen wegen noch geringfügigerer Taten. Viele würden nicht einmal von einem Vergehen sprechen. So wurde ein 61-Jähriger aus Sutton, der Gesten in Richtung Polizei machte und sich kritisch bis beleidigend zur islamischen Gotteskonzeption äußerte, zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, anderthalb Jahre also, die er mit Glück auf gut sieben Monate (40 Prozent) verkürzen kann. Die längste Strafe im Rahmen der Proteste bekam bis jetzt der 48-jährige David Wilkinson aus Hull, der im Schutze eines Mobs drei „Rumänen“ von ihrem Auto vertrieb. In Hull hatte es auch Plünderungen gegeben.
Insgesamt gab es 397 Neuzugänge in der letzten Woche, natürlich nicht nur wegen dieser Sorte „Hass-Delikte“. Der Vorsitzende des nationalen Verbands der Justizvollzugsbeamten, Mark Fairhurst, sagte der BBC allerdings, dass das Justizsystem gerade den größten Zustrom seit langem sehe, vor allem im Norden des Landes. Am Freitag waren nur noch 340 freie Plätze für erwachsene Männer in allen Gefängnissen verfügbar. Das Justizsystem ist erkennbar auf Kante genäht, wird seit geraumer Zeit mit 99 Prozent Auslastung gefahren. 20 Haftanstalten sollen die Tories trotz Protesten eingespart haben.
Fairhurst beschreibt das jetzt geplante Vorgehen mit den Worten: „Einer rein, einer raus.“ Nach dieser Regel will man bei drohender Überbelegung vorgehen, um Neuzugänge unterzubringen. „Wir werden sicherstellen, dass die Personen, die in Haft sein müssen, im Gefängnis sein werden.“ Nicht notwendigerweise an ihrem früheren Wohnort, vielleicht auch einige hundert Meilen entfernt, aber doch im Gefängnis. Nur glauben das offenbar nicht alle Briten.