Tichys Einblick
Gangs vernetzen sich im hohen Norden

Schweden: Mit der Rückkehrprämie gegen Bandenkriege?

Schwedische Zustände – wer hätte vor zehn Jahren Schießereien und Bombenanschläge damit verbunden? Kinder-Killer aus dem Norden werden auch in Kopenhagen engagiert. Nun will Schweden sein offizielles Rückwanderungsprogramm ausweiten. Dänemark hat derweil die Grenzkontrollen intensiviert.

Schwedische Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard, Stockholm, Schweden, 08.08.2024

picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Christine Olsson/TT

Als die neue Regierung in Schweden antrat, war es zehn vor zwölf. In vielen migrantisch geprägten Stadtteilen hatte die Bandenkriminalität überhand genommen. Schießereien und Bombenanschläge waren an der Tagesordnung – und sind es noch heute. Bei den Wahlen zum Reichstag von 2022 wurden die Schwedendemokraten (SD) zur stärksten Fraktion. Seither stützen sie die konservativ-liberale Regierung unter dem Moderaten Ulf Kristersson, die aufgrund des mit den SD geschlossenen Koalitionsvertrags eine Wende in der Migrationspolitik herbeiführte, die inzwischen Früchte zu tragen scheint.

In diesem Jahr hat das Land insgesamt eine negative Nettozuwanderung: Es wandern also mehr Leute ab als zu, und das wird als positive Botschaft gesehen. Schon im letzten Jahr war die Zuwanderung aus vielen Asylherkunftsländern negativ geworden, wie Zahlen des Stockholmer Migrationsministeriums zeigen. Das gilt beispielsweise für Syrer, Iraker und Somalier. Im letzten Jahr wanderten zwar immer noch 3.000 Syrer zu, zugleich wanderten aber 3.500 wieder ab. Aus dem Irak waren 1.800 zugewandert, gegenüber 2.700 Abgewanderten; bei Somalis: 600 zu, 1.700 ab. „Schweden hat aufgehört, ein Asyleinwanderungsland zu sein“, sagte Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard. Sie erwartet eine Fortsetzung des Trends zum negativen Migrationssaldo, weil immer mehr Personen aus den großen Asylherkunftsländern auswandern.

Aber damit ist die Regierung noch nicht fertig. Es geht daneben auch um eine Neubewertung der schon vor langem geschehenen Zuwanderung, mitsamt den genannten Zuständen in gewissen Vierteln. Diese kriminellen Zustände greifen inzwischen auch auf die anderen nordischen Staaten aus. Allein in diesem Jahr wurden zehn „Schweden“ – die Hälfte davon minderjährig – in Dänemark wegen versuchten Mords und Waffenbesitzes angeklagt. In Wahrheit werden die kriminellen Gangs fast ausschließlich von Migranten besetzt, auch wenn in Schweden erste Narrative gesetzt werden, wonach das Phänomen auch „Mittelklasse-Kinder mit ordentlichem Hintergrund“ betreffe, die „ethnisch Schweden“ seien, so ein schwedischer Verbrechensjournalist namens Diamant Salihu laut Politico. Das kann natürlich auch für die „Anwerbung“ von Schweden mit eher mittelmäßig gutem „OK background“ durch die zugewanderten Gangs sprechen.

Dänischer Justizminister: Bandenkriege aus Nahost gelenkt

Warum jugendliche Täter? Weil sie geringere Strafen bekommen. Die jungen „Schweden“ wurden von „dänischen“ Gangs angeheuert, von denen man natürlich auch nur raten kann, welche ethnische Zusammensetzung sie haben. Vom schwedischen Malmö aus ist man in 40 Minuten in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Dänemark hat deshalb seine Grenzkontrollen verschärft und schließt auch den Einsatz von Gesichtserkennung nicht mehr aus; dazu müsste man aber das Gesetz ändern. In Stockholm wurde dieser Tage ein Zentrum zur polizeilichen Zusammenarbeit für die vier nordischen Länder (daneben noch Norwegen und Finnland) gegründet, um die internationalen Aktivitäten der Gangs zu bremsen.

Der dänische Justizminister Peter Hummelgaard sagte: „Wir verstärken die Überwachung, einerseits um die Sicherheit zu erhöhen, aber auch, um zu verhindern, dass angeheuerte schwedische Kindersoldaten nach Kopenhagen kommen, um Aufgaben im Zusammenhang mit Bandenkonflikten zu übernehmen.“ Zuvor war es innerhalb einer Woche zu einer Explosion und drei Schießereien gekommen, bei denen jeweils Jugendliche mit schwedischer Staatsbürgerschaft (einer davon 13 Jahre alt) eine Rolle spielten.

Laut Hummelgaard werden die Bandenkonflikte häufig von „Drahtziehern in der nicht-westlichen Welt“ gelenkt, die im Libanon, Dubai oder im Irak sitzen können. Sie ziehen die Fäden auch in Kopenhagen und schüren so Konflikte zwischen verschiedenen (ethnischen) Gruppen. „Das wollen wir uns nicht gefallen lassen.“

Rückkehrprämie auch für Zuwanderer mit schwedischem Pass

Doch auch jenseits dieser polizeilichen Maßnahmen unternimmt Schweden weitere Schritte, immer mit Bedacht und eingesetzten Kommissionen, aber die legen zumindest zeitnah Berichte vor. In den vergangenen Monaten hat die Regierung über eine ganze Reihe von Kriterien (vor allem Sprache, Berufstätigkeit) diskutiert, an denen sich die Integration von Zuwanderern ablesen lässt. Nun werden erste Schlussfolgerungen für das offizielle Rückkehrprogramm (schwedisch återvandring „Rückwanderung, Remigration“) gezogen. Vor einem Jahr schrieb das Migrationsministerium, dass man eine Rückwanderung vor allem für jene „in Schweden ansässigen Personen“ anstrebe, die „sich nicht in die schwedische Gesellschaft integriert haben, sei es in Bezug auf Selbstständigkeit, Sprache oder andere kulturelle Faktoren“. Als Vorbild galt hier ausdrücklich Dänemark, das schon seit Jahren die Rückkehr nicht integrierter Asylbewerber vorantreibt.

Es gäbe durchaus „Personen, die isoliert leben“, sich aber „in die schwedische Gesellschaft integrieren wollen; sie sollten die Hilfe erhalten, die sie brauchen“, erklärte Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard vor einem Jahr den Untersuchungsauftrag für eine Kommission. „Gleichzeitig leben in Schweden Personen, die sich nicht in die schwedische Gesellschaft integriert haben“, fuhr die Ministerin fort und meinte offenbar: die sich nicht integrieren wollen. „Für sie kann die Rückwanderung eine gute Alternative und eine Chance sein, sich ein besseres Leben aufzubauen. Es ist wichtig, dass auch ihnen eine gute Unterstützung geboten wird.“

Pünktlich zum 1. August 2024 legte die beauftragte Kommission nun ihren Bericht vor. Die Regierung soll demnach ihr Rückkehrprogramm auf Personen ausweiten, die „die schwedische Staatsbürgerschaft angenommen haben“ oder „als Verwandte eingewandert sind“. Auch diese beiden Gruppen könnten künftig den Zuschuss von derzeit 10.000 Kronen pro Person (etwa 870 Euro) und den getrennten Reisekostenzuschuss erhalten. Pro Familie werden laut den aktuellen Regeln maximal 40.000 Kronen (etwa 3.500 Euro) Rückkehrprämie gezahlt.

Diesen Rückwanderungszuschuss gibt es tatsächlich schon seit 1984, er sei „kein neues Phänomen“, so das Ministerium, aber er wurde nicht immer konsequent angeboten, so dass nur wenige das Angebot überhaupt kannten. Die Regierung will nun auch stärker über diese Möglichkeit informieren. Als Neuerung wird zudem vorgeschlagen, dass der Zuschuss für die Rückwanderung von Einwanderern nicht mehr von der Bedürftigkeit abhängig sein soll. So steht es in dem Kommissionsbericht, der nun von der Regierung weiter ausgearbeitet wird.

Getrennte Badezeiten, gemeinsame Trends in Westeuropa

Im Interview mit der Welt hatte Malmer Stenergard letztes Jahr gesagt: „Es gab einen Grund, warum 163.000 Menschen im Jahr 2015 quer durch Europa in das kleine Schweden am Rande Europas reisten, um hier Asyl zu beantragen. Das lag daran, dass wir uns mit großzügigen Regeln für die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen und Staatsbürgerschaft, aber auch mit unserem Sozialleistungssystem hervorgetan haben.“ In all diesen Punkten scheint auch in Schweden noch viel Arbeit zu sein. Aber die dortige Regierung macht zumindest Schritte in die richtige Richtung.

Doch auch die Probleme nehmen nicht ab und werden es vielleicht erfordern, noch einen Schritt zuzulegen. Auch in Schweden breitet sich die Parallelgesellschaft noch immer aus. Im Ortsteil Järva, gelegen in der Gemeinde Solna nördlich von Stockholm, haben die regierenden Sozialdemokraten nun separate Badezeiten für die beiden Geschlechter im städtischen Bad eingeführt.

Die Regierungsmaßnahmen stehen trotzdem in deutlichem Kontrast zu Deutschland und seiner Untätigkeit in Bezug auf die immer noch weitergehende Zuwanderung aus Ländern des Nahen Ostens, aus Afghanistan und Afrika. Man wird wohl die „schwedischen Zustände“ abwarten müssen, damit die Regierenden hier ähnliche Schritte erwägen. Derweil liegt die Bekämpfung der akuten Sicherheitsprobleme natürlich in den Händen der Polizei und wird notwendig auf dem Rücken der Bürger geführt – solange sich dieselben das gefallen lassen.

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