Wenn es nach der Mehrzahl der deutschen Medien geht, müsste die Präsidentschaftswahl in den USA gar nicht mehr stattfinden – denn die Sieger stehen längst fest: Kamala Harris und Tim Walz. Die ARD-Tagesschau lobt „Spaß und Leichtigkeit“ der Demokraten-Kampagne, der Stern – die Illustrierte, die Donald Trump einmal mit Hitlergruß auf der Titelseite abbildete – zeigt in dieser Woche Harris als Freiheitsstatue, kombiniert mit der Zeile: „Die Erlöserin“. Das Fragezeichen fügten sie eher pro forma an.
Das Baerbock-Problem von Kamala Harris und Tim Walz
Der Wahlkampf des Demokraten-Duos erinnert etwas an die deutsche Grünen-Kampagne 2020: bizarre Aussagen – und ein geschönter Lebenslauf.
Das Demokraten-Duo soll erst am kommenden Montag auf dem Parteitag den offiziellen Kandidatenstatus erhalten. Aber nicht nur deutsche, sondern auch sehr viele der linksgeneigten US-Medien sehen beide praktisch schon im Weißen Haus. Hier wie da spielen in der Berichterstattung bestimmte Wahlkampffacetten eine übergroße Rolle – etwa die ständige Betonung von Geschlecht und Hautfarbe bei Harris. Bei kaum einem Text über Tim Walz fehlt die Betonung seiner Bodenständigkeit. Alles, was Harris und ihren Vizepräsidentenkandidaten nicht im strahlenden Licht zeigt, kommt allerdings entweder gar nicht vor – oder nur sehr stark verklausuliert oder in lange relativierende Passagen verpackt.
Etwa, dass Harris seit ihrer Blitzernennung als neue Hoffnung der Demokraten bisher weder ein Interview noch eine ausführliche Pressekonferenz zu ihrer politischen Agenda gab. In den dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin entwickelte sie kaum ein wahrnehmbares politisches Profil. In der einzigen Aufgabe, die Joe Biden ihr übertrug, nämlich, den Migrationsstrom aus dem Süden durch Rückkehrabkommen mit den Herkunftsstaaten zu drosseln, erreichte sie kaum greifbare Ergebnisse. Legendär wurde ihr Satz in einem Interview, als sie gefragt wurde, ob sie denn schon einmal das Grenzgebiet zu Mexiko besichtigt hätte, in dem täglich illegale Migranten ankommen. Harris meinte damals: „Ich verstehe die Frage nicht. Ich war doch auch noch nie in Europa.“
Dass sie jetzt als De-facto-Präsidentschaftskandidatin zu keinem politischen Feld etwas Tiefschürfendes von sich gibt, gibt ihr – noch jedenfalls – einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Linke wie rechte Anhänger der Demokraten können zurzeit alles mögliche auf sie projizieren, auch die hoch begehrten Unabhängigen, also die Wechselwähler. Allerdings funktioniert diese Blackbox-Strategie nur, solange viele Medien mitspielen und sie nicht dazu drängen, beispielsweise ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen detailliert vorzutragen.
Details und konkrete Aussagen: Hier liegt generell eine schwache Flanke von Harris, die die zugeneigten Medien bisher gut kaschieren. CNN, MSNBC und andere greifen nicht mit großen Schlagzeilen auf, wie Harris vor einiger Zeit als Vizepräsidentin nach ihrer Strategie gegen die Inflation gefragt wurde – für viele Amerikaner die Sorge Nummer eins. Inflation, dozierte Harris damals, als stünde sie vor einer Grundschulklasse, das bedeute: Die Preise gingen nach oben, beispielsweise würden Brot und Benzin teurer („Prices are going up. Bread costs more, gas costs more.“) Wer hätte das gedacht? Und ihre Strategie dagegen? „Wir nehmen das Problem sehr ernst.“ Aha.
Furore machte auch ein Video, in dem Harris erklärt, die Speicherung von Daten in der Cloud bedeute, dass sie sich „an keinem physischen Ort“ mehr befänden. Dabei zeigte sie nach oben, als würde sie tatsächlich an eine Wolke am Himmel denken.
Mit dieser Einlassung erinnerte sie ein wenig an die legendäre Einlassung von Annalena Baerbock: „Das Netz ist der Speicher.“ Keine Frage: Hätten Trump oder sein Vize-Kandidat J. D. Vance die Geldentwertung vor der Presse wie in der Klippschule erklärt oder Daten irgendwo in der Luft vermutet – die großen TV-Stationen, „New York Times“, „Washington Post“ und ganze Twitter-Divisionen hätten sich darauf gestürzt, die Videos Tausende Male durch alle Kanäle gejagt und die Zitate in ganzen Artikelserien verwertet. Im Fall Harris herrscht dagegen vornehmes Schweigen, bestenfalls gibt es hier und da dezente Andeutungen – wie vor Ende Juni über Bidens Senilität.
Von der sehr einseitigen Sympathieverteilung profitiert Tim Walz bisher sogar noch stärker. Denn er kämpft – eigentlich – mit einem Problem, das auch Baerbocks Wahlkampf 2020 erschütterte: Der Gouverneur von Minnesota neigt dazu, seinen Lebenslauf etwas aufzuhübschen. Und das auf einem in den USA besonders heiklen Gebiet, seiner Armeekarriere. Denn Angehörigen der Streitkräfte und Veteranen bringen lagerübergreifend sowohl Konservative als auch gemäßigte Demokraten einen großen Respekt entgegen. Umso schwerer wiegt, wenn jemand seine Laufbahn beim Militär etwas zurechtbiegt. Das beginnt mit der Frage, welchen Rang Walz bei der Nationalgarde von Minnesota erreichte. Lange lautete seine Angabe: Sergant Major, also Oberstabsfeldwebel.
Das entsprechende Rangabzeichen nahm er in ein hübsch gestaltetes Wappenzeichen auf, dass er sich als Kongressabgeordneter entwerfen ließ. Die Fakten sehen allerdings ein bisschen anders aus.
Wie zwei frühere Kameraden von ihm, die pensionierten Offiziere Thomas Behrends und Paul Herr, schon 2018 in einem Brief an die „West Central Tribune“ schrieben, erhielt Walz gegen Ende seiner 24-jährigen Militärkarriere diesen Rang zwar auf Probe, allerdings unter der Bedingung, den entsprechenden Offizierslehrgang dafür vollständig zu absolvieren. Normalerweise, so Behrends und Herr, sei das nur eine Formsache. Walz beendete den Lehrgang an der Offiziersakademie aber nicht, wurde deshalb dem Reglement entsprechend zurückgestuft, und schied als Sergant Master aus, als er 2005 entschied, in die Politik zu wechseln. Diesen Rang hätte er in seiner Biografie eigentlich angeben müssen, wählte aber den höheren – mit der Begründung, er habe ihn ja vorübergehend einmal innegehabt.
Die Sache mit der Rangstufe dürfte allerdings noch sein geringstes Lebenslauf-Problem sein. Bei zwei Gelegenheiten suggerierte Harris’ Running Mate, er habe an Kampfeinsätzen teilgenommen oder sich zumindest im Kampfgebiet befunden. Zum einen meinte er in einer Debatte um das Waffenrecht in den USA: „Ich war beim Militär, und ich jage.“ Trotzdem trete er für Restriktionen beim Waffenbesitz ein. Mit dem Gebrauch von Waffen, sollte das heißen, sei er vertraut. In einer Rede als Gouverneur am 11. September 2021 zum 20. Jahrestag der Anschläge sagte er: „In den Jahren nach dem Klassenzimmer (er arbeitete zunächst als Lehrer) hatte ich das Privileg, in der Nationalgarde dieses Staates (Minnesota) zu dienen. Ich stand in einer Nacht auf dem Flugfeld in Bagram und beobachtete die militärische Zeremonie an der Rampe – die Leiche eines Soldaten wurde in das Flugzeug geladen, um sie heimzubringen. Wenn man das gesehen hat, ist man nicht mehr derselbe.“
Am stärksten steht der Vizepräsidentenkandidat wegen der Umstände seines Abschieds aus der Nationalgarde unter Druck: Er verließ die Truppe im Mai 2005 – kurz bevor seine Einheit in den Irak verlegt wurde. Hier lautet seine Verteidigung, er habe den Antrag auf Entlassung schon vor dem offiziellen Marschbefehl eingereicht. Allerdings sagen mehrere seiner Ex-Kameraden, dass die Einheit schon deutlich vorher über ihre Verlegung Bescheid wusste. Vor allem dieses Ausscheiden kurz vor einem gefährlichen Einsatz hängt Walz nun nach. Selbst die den Demokraten zugeneigte „Washington Post“ will die Sache nicht in Faktenchecker-Manier wegwischen, sondern meint nur, ob man Walz’ Verhalten als bewusstes Drücken beurteile, sei „eine Frage der Perspektive“.
Dagegen ist es kaum eine Glaubensfrage, wie dieser Teil der Medien mit Trump oder Vance verfahren würde, sollten die sich vergleichbare Irreführungen leisten. In deutschen Medien kam die geschönte Walz-Biografie bisher überhaupt nicht zur Sprache.
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