Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. Diese im Mittelalter beliebte Redewendung schreiben manche dem römischen Gelehrten Boethius zu. Von wem auch immer sie letztlich stammt, Marco Buschmann (FDP) könnte viel von ihr lernen. Der Justizminister hat nämlich zwei große Vorlieben, wenn es um seinen Stil als Politiker geht: sich lautstark in die Brust werfen, wenn es nichts kostet. Und sich verstecken, wenn es ernst wird. Doch das geht nicht zusammen. Die Wahlniederlagen der FDP sollten Buschmann das klarmachen. Die Bürger verlangen von einem Politiker das Gegenteil: dass er da ist, wenn es darauf ankommt.
Am 1. Oktober 2022 hat sich Buschmann in der Bild inszenieren lassen. Der Justizminister schaute entschlossen in die Kamera. Über seinem Foto prankte die Schlagzeile: „So jagen wir die Pipeline-Saboteure.“ Wenige Tage zuvor war in der Ostsee Nord Stream gesprengt worden. Jene Pipeline, aus der bis zum Ukraine-Krieg russisches Gas geliefert wurde. Für Buschmann und seine PR-Berater mag das nur einer von diesen geliebten und belanglosen Presse-Auftritten gewesen sein. Doch damit hat der Justizminister das Thema Ermittlung der Nord-Stream-Saboteure zu seinem gemacht. Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. Doch Buschmann ist Politiker, von dem die Bürger Führung verlangen. Zu recht.
Diese Führung ist dringend notwendig. Dringender denn je. Denn die Ermittlungen angelsächsischer Journalisten und – ihnen nachhinkend – der Bundesanwaltschaft führen immer stärker in Richtung Ukraine. Das wäre ungeheuerlich: Ein Verbündeter, den wir mit schwerem Kriegsgerät und mit Milliarden Euro unterstützen, zerstört unsere Infrastruktur. Zudem zeichnet sich immer stärker ab, dass unser wichtigster Verbündeter und unsere Schutzmacht, die USA, von diesem Anschlag vorab zumindest wusste.
Das ist eine alles andere als einfache Situation. Eigentlich kann eine führende Industrienation sich die Zerstörung ihrer Infrastruktur nicht bieten lassen. Eine Macht, die zusammen mit der EU den Anspruch stellt, ein die Welt regelnder Player zu sein, darf das nicht akzeptieren. Doch sind wir das überhaupt? Die Ampel und ihre Schönredner in den Medien schlittern unerbittlich auf den Punkt zu, an dem sie sich bekennen müssen, ob Deutschland und die EU eine eigenständige Instanz sind – oder halt nur ein Schützling der USA.
Eine denkbar schwierige Aufgabe. Außenminister wie Frank-Walter Steinmeier (SPD), Heiko Maas (SPD) oder Annalena Baerbock (Grüne) beschwören zwar seit Jahrzehnten den deutschen Führungsanspruch. Doch der Ukraine-Krieg und die Zerstörung der Pipeline machen nun für alle sichtbar: Dieser Führungsanspruch ist eine Lebenslüge. Deutschland ist wirtschaftlich, militärisch und in der Arbeit der Geheimdienste von den USA und von Großbritannien abhängig. Wenn die Verbündeten beschließen, seine Infrastruktur zu sprengen, muss Deutschland sich das gefallen lassen. Im Rudel ist Deutschland kein Alphatier.
Diese Erkenntnis ist alles andere als schön. Doch sich etwas anderes einzureden, geht bereits seit der Wiedervereinigung schief. Also muss sich Deutschland seiner Rolle im Nato-Rudel stellen und mit ihr klarkommen. Den Bürgern diese Beschränktheit der Möglichkeiten zu erklären, ist nicht einfach. Genauso wenig wie der Versuch, selbstbewusste Politik mit der Rolle als Underdog zu vereinbaren. Dafür braucht es kluge, ehrliche und starke Politiker. Führungskraft.
Unglücklicherweise hat sich Marco Buschmann mit seinem Bild-Auftritt in diese Rolle gebracht. Unglücklicherweise für sich. Aber auch für das Volk, in dessen Regierung er nun einmal ist. Er hat die Jagd auf die Nord-Stream-Saboteure zu seinem Thema gemacht. Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. Nun muss Buschmann halt führen. Zumal die Bürger dem Kanzler diese Fähigkeit ebenfalls nicht zutrauen, wie eine ZDF-Umfrage jüngst ergeben hat.
Spoiler-Alarm: Buschmann führt nicht. Er versteckt sich. Der Liberale sagt nichts zu dem Verfassungsbruch, den seine Kollegin Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit dem Compact-Verbot begangen hat. TE hat ihm erst jetzt wieder die Chance dazu eingeräumt. Buschmann gönnt sich währenddessen eine Runde Gratismut auf X und stellt sich gegen Faesers Pläne, das BKA zum heimlichen Schnüffeln in die Wohnungen von Privatleuten zu schicken. Die TE-Frage, wie er das machen will, übergeht seine Sprecherin schweigend. Die Eskimos kennen hunderte Worte für Schnee. Buschmanns Team kennt noch mehr Wege, sich vor Verantwortung zu drücken.
Deutschlands wichtigste Verbündete stehen im Verdacht, seine Infrastruktur sabotiert zu haben. Jetzt braucht es einen Staatsmann von Format, der klug führen und souverän kommunizieren kann. Marco Buschmann weiß, dass Marco Buschmann das nicht ist. Also versteckt er sich lieber. Der Justizminister ist der Richtige für billige PR-Aktionen der Bild. Führen, wenn es ernst wird, überlässt er anderen. Blöd für das Land, dass es Politiker dieses Schlags in der Ampel nicht gibt.