Tichys Einblick
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Ephraim Kishon: Lieblingsautor der Nachkommen seiner Henker

Noch ein paar Jahre zuvor hatten sie die Juden in die Gaskammern geschickt. Kurz darauf, mit den Millionenbestsellern von Ephraim Kishon, lernten die Deutschen, die Juden zu bewundern, entdeckten sich selbst und das alle verbindende Allzumenschliche. Jetzt ist seine Biografie erschienen

Er ist einer der meistgelesenen Autoren in Deutschland nach 1945: Ephraim Kishon. Wie kommt es, dass ausgerechnet ein ungarisch-jüdischer Schriftsteller, dem die Flucht aus einem Nazi-Arbeitslager gelang, dessen gesamte Familie bis auf seine Eltern und Schwester aber in Auschwitz ermordet wurde, im Land der Täter so beliebt und erfolgreich wurde?

„Der Blaumilchkanal“ hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der heute älteren Generation eingegraben: Die Geschichte von Kasimir Blaumilch, einem aus der Irrenanstalt entflohenen „Geisteskranken“, der die wichtigste Hauptverkehrsstraße in der israelischen Hauptstadt Tel Aviv, die Allenby Road, mit einem Presslufthammer aufzureißen beginnt. Die Polizei sperrt die Straßen ab, und Blaumilch gräbt unverdrossen weiter, um das staubtrockene Tel Aviv in ein Venedig des Nahen Ostens zu verwandeln.

34 Millionen Exemplare seiner Bücher hat Kishon auf Deutsch verkauft – die meisten davon in Deutschland. Es gibt kaum einen Bücherschrank der heutigen Eltern- und Großelterngeneration, in dem er nicht zu finden wäre, etwa mit seinem ersten Satireband „Drehen Sie sich um, Frau Lot!“.

Über seinen Erfolg ist viel gerätselt worden, und über seine politische Leistung. Er hat die Deutschen zu Anhängern Israels bekehrt. Es ist ja nicht so, dass der tief verwurzelte Judenhass mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 verschwunden wäre; zu tief sitzt er, und zu breit ist er in Witzen, Mythen, Legenden bis hin zu blankem Hass verankert und konnte sich ganz ohne persönliche Begegnungen selbst vermehren.

"Ewige Schuld?"
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Kishon hatte mit Friedrich Torberg einen genialen Übersetzer gefunden, der zugleich auch (s)ein politisches Programm verfolgte: Unterstützung für Israel und das zionistische Projekt zu gewinnen, ohne dabei die Leser durch Verweise auf den Holocaust zu sehr zu belasten. Und Torberg, selbst ein Überlebender und ebenso wie Kishon ein begnadeter Schriftsteller, hat einen Teil seines persönlichen Ruhms für die Bearbeitung Kishons geopfert.

Jetzt ist eine Biografie Kishons erschienen, die dem „Blaumilch-Kanal“ nachgräbt und seinem sensationellen Erfolg: 34 Millionen Exemplare von seinen insgesamt 40 Millionen verlegter Bücher konnte Kishon in deutscher Übersetzung verkaufen.

Kishon stammte aus Budapest. Wie er Hitler-Deutschland überlebte, darüber hat er wenig gesprochen, aber es gab wohl keine Nacht, in der er nicht die Schrecken neu durchleben musste.

Er überlebte, weil es eben doch einige wenige Gerechte gab, die ihr Leben und das ihrer Angehörigen riskierten, um die Verfolgten zu verstecken und sich der Bereitschaft zu widersetzen, blind gehorsam einer Wahnidee zu folgen – so wie die Mehrheit, die die Stigmatisierten aus Vereinen, Universitäten, den Kirchen, den Schulen, der Nachbarschaft anlasslos verrieten. Kishon selbst sagte einmal: „Ich wurde zum Lieblingsautor der Nachkommen meiner Henker, und das ist die wahre Ironie der Geschichte.“

Es ist keine gewagte These, zu behaupten, dass ohne Kishon die Unterstützung Deutschlands für Israel nicht möglich gewesen wäre. Schließlich war sie keineswegs selbstverständlich. Bundeskanzler Ludwig Erhard nahm die diplomatischen Beziehungen zu Israel auf – gegen den Widerstand der deutschen Industrie, die um die Absatzmärkte in den bevölkerungsreichen muslimischen Märkten fürchtete: Einer der Brüche zwischen dem Vater des Wirtschaftswunders und der Wirtschaft, der ihm nicht vergeben wurden.

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Mit Kishon lernten die Deutschen die Juden zu bewundern, die sie noch ein paar Jahre vorher in die Gaskammern geschickt hatten. Entdeckten sie im literarisch-ironisch-spießigen Kishon, der mit seiner Frau zankte, ständig mit der Bürokratie sowie den Widrigkeiten des Lebens und der Last des Alltags zu kämpfen hatte, doch auch sich selbst und eben das alle verbindende Allzumenschliche.

„Diese israelischen Juden mit ihren komischen Namen wie Nebenzahl, Feinholz oder Manfred Toscanini waren wie du und ich und zugleich Panzerfahrer und Piloten, die anders als die Deutschen ihre Kriege andauernd gewannen“, schrieb der „Zeit“-Herausgeber Josef Joffe in seinem Nachruf auf Kishon. Der Autor habe es fertiggebracht, sich so über die Verhältnisse im jungen Staat Israel zu mokieren, „dass man dortselbst am liebsten einwandern möchte“, urteilte ein Kritiker.

Es gehört zu den skurrilen Aspekten der deutschen Kishon-Rezeption, dass sie bei weiten Teilen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration zu einer Entkrampfung des Verhältnisses zu Israel beitrug, während die berüchtigte 68er-Generation zum Wiedererstarken eines Antisemitismus beitrug, der sich pseudointellektuell aus der infantilen Verherrlichung palästinensischer Terroristen nährte. Flugzeugentführer, Bombenleger und Mörder wurden die neuen Stichwortgeber der alten Ressentiments.

Die Saat von damals geht bis heute auf. Wieder werden Juden aus Unis geprügelt, wird erneut die Auslöschung des jüdischen Gemeinwesens gefordert – wieder total: „From the River to the Sea“, also vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer … Was das genau bedeutet, kann man ohne Mühe in den programmatischen Erklärungen der Hamas oder den Verlautbarungen der iranischen Mullahs nachlesen. Argumente dagegen zeigen seit Jahrzehnten keine Wirkung.

Es ist also höchste Zeit, Kishon wieder ganz neu zu entdecken. Kishons zeitlosen Humor, der bissig, aber nie boshaft ist, Tiefe und Leichtigkeit verbindet, Israel und die Israelis in aller Eigenart lebendig schildert und uns näher rückt. Ein glänzender Einstieg dazu ist seine spannende Lebensgeschichte: „Ein Leben für den Humor“.

Silja Behre, Ephraim Kishon. Ein Leben für den Humor. Biographie. Langen Müller Verlag, Hardcover, 416 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, 25,00 €.


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