Der mit Haftbefehl gesuchte Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung JUNTS, Carles Puigdemont, kommt nach Barcelona, hält eine Fernsehansprache und taucht unter. Die Polizei konnte ihn angeblich nicht lokalisieren und deshalb auch nicht festnehmen.
Nach Ansicht von Journalisten und Oppositionspolitikern ist es offensichtlich, dass er, um die Mehrheit im spanischen Parlament zu garantieren, nicht verhaftet werden sollte. Nichts ist linken Parteien wichtiger als ihr Machterhalt. Ihm wird alles untergeordnet. Die dabei angewandten Methoden reichen von Dehnung des Rechts bis zum blanken Terror. Aktuelles Beispiel ist Venezuela.
In Spanien hat die regierende sozialistische Partei PSOE bei ihren Bemühungen, die Macht zu erhalten, verschiedene, schwer unter einen Hut zu bringende Probleme. National regiert sie in einer Koalition mit der kommunistischen SUMAR, unter Duldung unterschiedlichster Kleinparteien, die die Unabhängigkeit ihres jeweiligen Bundeslandes anstreben. Eine Partei die dabei am meisten Schwierigkeiten bereitet, ist die katalanische JUNTS.
In Katalonien wurde nun Salvador Illa von der PSC, dem katalanischen Ableger der PSOE, zum Präsidenten gewählt. Er erhielt 42 Stimmen seiner eigenen Partei, 20 der mit JUNTS konkurrierenden linksradikalen Unabhängigkeitsbewegung ESC, die bei der letzten Wahl mehr als ein Drittel ihrer Stimmen eingebüßt hatte, und sechs Stimmen der kommunistischen COMMUNS SUMAR. Seine Regierungskoalition hat damit genau eine Stimme mehr als die Opposition.
Carles Puigdemont, Präsident von JUNTS, forderte die PSOE vor der Wahl ultimativ auf, ihn zum katalanischen Präsidenten zu wählen. Die PSC sollte das, wenn schon nicht aktiv, zumindest passiv durch Stimmenthaltung ermöglichen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, stimmten die sieben Abgeordneten des spanischen Parlaments von JUNTS vor kurzem gegen zwei für die Regierung wichtige Gesetze.
Die PSOE entschied sich aber, nicht überraschend, für die für sie in Katalonien scheinbar vorteilhaftere Variante. Der Preis für das Präsidentenamt ist allerdings hoch. Die Sozialisten mussten die Maximalforderung der ESC, die sich kaum von denen der JUNTS unterscheiden, akzeptieren. Selbst mehrere Präsidenten der PSOE anderer Bundesländer und der ehemalige spanische Präsident, ebenfalls PSOE, Felipe González, kritisieren die Vereinbarung scharf. Ihrer Meinung nach bedeutet die Abmachung nicht weniger als die Zerstörung des Staates.
Der Erhalt der eigenen Macht, um den Preis der Zerstörung dessen, worüber man Macht hat, ist keine neue Erfindung. Gerade wegen der vielen Beispiele ist man verblüfft, mit welcher Begeisterung dieses Prinzip in den letzten Jahrzehnten, gerade in der westlichen Welt, wieder Anwendung findet. Frankreich, neuerdings Polen, natürlich Deutschland und die EU sind hierfür wunderbare Beispiele.
Um es sich aber mit Puigdemont und JUNTS nicht vollkommen zu verderben, hat man sich offensichtlich für die Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit entschlossen.
Nicht, dass man nichts getan hätte, um so zu tun, als wolle man ihn verhaften. Am Tag seiner vorher von ihm avisierten Einreise hat man spektakuläre Fahndungen inszeniert. Scharfe Kontrollen an allen wichtigen Einfallsstraßen, Flughäfen und Bahnhöfen. Gigantische Staus und massive Verkehrsbehinderungen waren die Folge. Zusätzlich, damit niemand der Polizei mangelnden Eifer vorwerfen kann, wurden zwei Polizisten verhaftet. Beide wurden allerdings nach kurzer Zeit wieder, gegen Kaution, auf freien Fuß gesetzt. Ihnen wird die Unterstützung der „Flucht“ von Carles Puigdemont vorgeworfen.
Journalisten und Politiker der Opposition, aber auch Mitglieder der PSOE, bezeichnen das Ganze als Schmierenkomödie, als eine Simulation von Rechtsstaatlichkeit, die das bereits lädierte Ansehen des Staates noch weiter beschädigen würde. Wenn Urteile nur noch nach Opportunität des gerade herrschenden Dogmas Gültigkeit besitzen, könne man auf die Justiz auch gänzlich verzichten.
Nach dieser Schmierenkomödie des Nichtauffindenkönnens des mit Haftbefehl gesuchten Puigdemont gehen nüchterne Beobachter davon aus, dass JUNTS in Zukunft wieder für die Regierung stimmen wird.
Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.