Tichys Einblick
„Einigkeit und Recht und Vielfalt“

Vielfalt statt Freiheit?

„Vielfalt“ ist zu einem ideologischen Schlagwort geworden, mit dem Minderheiten ihre Meinung der Mehrheit aufzwingen und deren Freiheit beschränken wollen. Es geht gegen das Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht der Mehrheit.

picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 wurden, wie üblich, vor dem Spiel Deutschland gegen Schottland (14. Juni) die Nationalhymnen gespielt: Als „Einigkeit und Recht und Freiheit“ erklang, fügte ein ZDF-Moderator hinzu: „und vor allem Vielfalt“. Auch bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris am 26. Juli ging es nicht um „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ (Liberté, Égalité, Fraternité), sondern „die Diversität war das große Thema“ (Süddeutsche Zeitung 30. Juli). Ist im demokratischen Westen „Vielfalt“ heute wichtiger als Freiheit?

Das deutsche Wort „Vielfalt“ (bildungssprachlich: Diversität) weckt positive Assoziationen: Man denkt an ein reichhaltiges Angebot von Speisen und Waren, die vielen Arten von Pflanzen und Tieren (Biodiversität), die unterschiedlichen Landschaften, Kulturen und Sprachen. Der positive Wert des Wortes zeigt sich auch daran, dass es in einem negativen Kontext kaum verwendet wird: Von der „Vielfalt des Lebens“ wird oft gesprochen (bei Google hat „Lebensvielfalt“ 150.000 Einträge), aber Begriffe wie „Todesvielfalt“ oder „Verbrechensvielfalt“ bzw. „kriminelle Vielfalt“ sind ungebräuchlich, obwohl es auch hier eine Vielzahl möglicher Formen gibt.

An sich ist Vielfalt wertneutral, sie wurde und wird aber in vielen Bereichen – man denke an die bis ins 19. Jahrhundert herrschende regionale Vielfalt der Maße und Gewichte – durch einen Standard ersetzt, der effizienter funktioniert. Der moderne „Ordnungsstaat“ schuf die Einheitlichkeit von Technik, Wirtschaft, Verkehr und Verwaltung: Eine „diversitätsorientierte“ Einstellung in den Öffentlichen Dienst – wie sie derzeit die Bundesregierung in einem „Bundespartizipationsgesetz“ plant – widerspricht dieser Einheitlichkeit und wäre wegen der Vielfalt der Einstellungskriterien faktisch „korruptionsorientiert“.

(grüne) Vielfalt = „Miteinander verschiedener Menschen“

Als politischer Begriff kam „Diversität“ (englisch: diversity) Anfang der 2000er Jahre in den USA in Umlauf, um ethnische und sexuelle Minderheiten positiv hervorzuheben und zu „fördern“. Von den USA griff die Diversity-Bewegung nach Europa und Deutschland über, wo sie vor allem von den Grünen übernommen wurde. In ihrem Bundestags-Wahlprogramm 2021 ist „Vielfalt“ ein Schlüsselbegriff, der 65-mal vorkommt, mit Aussagen wie: „Muslimisches Leben in seiner ganzen Vielfalt [einschließlich Polygamie und Scharia?] gehört in Deutschland zu unserer gesellschaftlichen Realität.“

Auch bei der Europawahl 2024 blieb „Vielfalt“ im grünen Programm zentral: Die „Vielfalt Europas“ wird hier allerdings nicht – wie seit Jahrhunderten üblich – geschichtlich-kulturell begründet, durch die verschiedenen europäischen Völker und Nationalkulturen. Für die Grünen genügt als politische Grundlage der Europäischen Union (EU) schon „das Miteinander verschiedener Menschen“, konkret: „Queere und nicht queere Menschen [= Männer und Frauen], Menschen mit und ohne Behinderung, Atheist*innen und religiöse Menschen, Junge und Alte“. Nun gibt es „Junge und Alte“ oder „Queere und Nicht-Queere“ überall auf der Welt, dazu braucht es keine EU. Die „Menschen“ in der EU sind in erster Linie Dänen, Deutsche, Franzosen usw., aber diese nationale Vielfalt interessiert die Grünen nicht.

Vielfalt gegen Freiheit und Mehrheit

„Vielfalt“ wurde zum Fahnenwort im „Kampf gegen Rechts“, das auf Demonstrationen in Slogans erscheint wie: „Wir sind Vielfalt!“, „Vielfalt und Demokratie“, „Für Vielfalt und Toleranz – Gegen Hass und Hetze“. Allerdings hat diese Vielfalt ihre Grenzen: „AfD verbieten!“, „Demokratie braucht Inklusion – AfD braucht Exklusion“, „Ganz München hasst die AfD“, lauten andere Botschaften der Vielfalts-Aktivisten. Aber wer bestimmt, wo die Grenzen der Vielfalt, hier: der politischen Meinungsfreiheit, liegen?

Wie rasch die Forderung nach Vielheit und Toleranz umschlägt in Intoleranz, zeigt die sogenannte cancel culture in Medien, Kultur und Wissenschaft: Wer bestimmten „vielfältigen“ Aussagen widerspricht, wird ausgegrenzt – sozial, beruflich und finanziell. In der Wissenschaft hat dies zur Folge, dass bei bestimmten Themen (Klima, Gender u. Ä.) nur noch über 65-Jährige frei sich äußern (können); denn gegen sie gibt es keine beruflichen Sanktionen mehr.

Fazit: „Vielfalt“ ist zu einem ideologischen Schlagwort geworden, mit dem Minderheiten ihre Meinung der Mehrheit aufzwingen und deren Freiheit beschränken wollen. Es geht gegen das Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht der Mehrheit, wenn – wie im grünen EU-Programm – „queere und nicht queere Menschen“, also 1 Prozent gegenüber 99 Prozent der Bevölkerung, auf die gleiche politische Stufe gestellt werden: Die Toleranz der Mehrheit schützt Minderheiten, ordnet sich diesen aber nicht unter, und Minderheiten müssen Mehrheitsentscheidungen akzeptieren – zumindest in einer funktionierenden Demokratie.

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