Tichys Einblick
Labour-Regierung verschlimmert es

Großbritannien tribalisiert sich – Ethnische Konflikte drohen, Normalzustand zu werden

Der Labour-Regierung wird nicht gelingen, die ethnischen Spannungen einzudämmen. Sie ist zu sehr auf das einseitige Konzept einer moralischen Umerziehung der einheimischen Bevölkerung im Namen eines radikalen Antirassismus festgelegt. Maßnahmen gegen die Meinungsfreiheit, wie sie Starmer jetzt vermutlich umsetzen wird, werden die Lage nur noch schlimmer machen.

Nach den Southport-Messermorden: Der britische Premierminister Keir Starmer hält am Donnerstag, den 1. August 2024, ein Treffen in der Downing Street 10 in London, England, ab

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Henry Nicholls

Am 29. Juni kam es in Southport in England zu einem Angriff auf ein Tanzstudio. Das Ziel des Angriffs waren junge Mädchen, eigentlich noch Kinder, die an einem Yoga- und Tanzworkshop teilnahmen, der ganz im Zeichen der Begeisterung für die Sängerin Taylor Swift stand. Bei dem Angriff mit einem Messer tötete der Amokläufer drei Mädchen, weitere Opfer wurden verletzt, zum Teil schwer. Diese ungeheuerliche Tat löste in England eine Welle von Bestürzung und Trauer, aber auch von Wut aus. Dabei wissen wir über die Motive des 17-jährigen Täters kaum etwas, nur dass er Axel Rudakubana heißt und ruandischer Herkunft ist, aber in Cardiff geboren wurde und auch in Großbritannien aufwuchs.

Brutale Krawalle
Anhaltende Proteste gegen Immigration in Großbritannien und muslimische Attacken auf Weiße
Nichts deutet bis jetzt auf ein politisches Motiv hin und erst recht gibt es keine Hinweise darauf, dass der Täter ein radikaler Moslem ist – in Ruanda gibt es im Verhältnis zur Größe des Landes deutlich weniger Muslime als in Großbritannien oder Deutschland. Vermutlich gibt es sogar mehr Lutheraner in Ruanda, das einmal eine deutsche Kolonie war, als Muslime. Rudakubana war als Kind freilich, wie man hört, sehr introvertiert, nahm aber dennoch gern an Theateraufführungen und ähnlichen Anlässen teil, suchte also öffentliche Aufmerksamkeit. Vielleicht liegt hier in Verbindung mit einer geistigen Erkrankung, etwa Schizophrenie, ein Schlüssel für das Verbrechen; wir wissen es nicht.

In jedem Fall löste der Amoklauf in England aber eine Welle von Protesten aus, die sich gegen den tatsächlich zunehmenden Verfall der Sicherheit im öffentlichen Raum, aber auch gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung und den damit zusammenhängenden radikalen ethnisch-kulturellen Wandel richten. Zum Teil werden diese Proteste durch Falschinformationen genährt, die dem Täter zum Beispiel unterstellen, radikaler Moslem zu sein (wofür es beim jetzigen Stand der Dinge nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt), und entsprechend sind in einigen Orten Moscheen angegriffen worden.

Die Proteste wütender Weißer haben eine lange Vorgeschichte – Southport war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte

All das kann und muss man scharf verurteilen; es ist völlig unangemessen. Aber solche Proteste kommen natürlich nicht aus dem Nichts. In ihnen manifestiert sich eine tiefe Unzufriedenheit und Angst vor allem der weißen unteren Mittelschicht und der weißen Arbeiterklasse, deren Angehörige offenbar den Eindruck haben, sowohl konservative wie linke Politiker hätten sie abgeschrieben und richteten ihre wohlwollende Aufmerksamkeit nur noch auf ethnische Minderheiten, oder aber auf die akademisch gebildete urbane Bourgeoisie.

Sowohl die Konservativen wie auch Labour haben einiges dazu beigetragen, diese Missstimmung entstehen zu lassen. Wenn Aktivisten demonstrieren, die ethnischen Minderheiten angehören, wird bei Regelbrüchen (Hassparolen, offene Sympathie für Terroristen, auch Vandalismus) oft weggesehen und die Polizei tritt sehr behutsam auf, um eine weitere Eskalation zu vermeiden, wie seit Oktober bei den Pro-Gaza-Protesten oder jüngst in Leeds, als wütende Roma einen Bus in Flammen aufgehen ließen und die Polizei angriffen. Gehen hingegen weiße Männer auf die Straße, die irgendwie „rechts“ und immigrationskritisch sind, dann schlägt der Staat oft mit voller Brutalität zu, wozu dann in der jetzigen kritischen Situation der englische Premier Starmer auch noch einmal explizit aufgerufen hat.

Messermorde versus Protest dagegen
Nach Southport will Starmer hart durchgreifen – gegen den Protest
Überdies ist die offizielle oder offiziöse Kulturpolitik, wie sie sich in den Museen und an den Universitäten zum Teil auch bereits an den Schulen manifestiert, mittlerweile zunehmend durch starkes Misstrauen gegen die englische Geschichte und die eigene kulturelle Tradition geprägt, die als potentiell rassistisch gilt. Diese unterschiedliche Behandlung verschiedener Traditionen – das Fremde wird im Namen des Multikulturalismus romantisiert, das Heimische eher diskreditiert und verworfen – kommt natürlich auf Umwegen bei der weißen britischen Bevölkerung an und produziert dort in dem Milieu, das seinerzeit auch den Austritt aus der EU befürwortet hatte, also außerhalb der urbanen „chattering classes“, eine entsprechende Verbitterung, ja Wut. Mit dem Zerfall des traditionellen Nationalstaates, der Menschen unterschiedlichster Herkunft eine gemeinsame Identität zu bieten vermochte, die durch historische Mythen und politische Symbole gefestigt wurde, treten überdies rein ethnische, gewissermaßen tribale Identitäten auch bei der heimischen Bevölkerung in den Vordergrund, das ist kaum zu verhindern.

Kommt es dann wie jetzt zu Demonstrationen, in denen man sicher auch eine Antwort auf die monatelangen Kundgebungen zugunsten der Palästinenser sehen muss, die einem in London und anderswo das Gefühl vermittelten, im Nahen Osten zu leben, dann sucht die Politik nicht wie bei Unruhen, die von Immigranten ausgehen, den Kontakt zu einschlägigen „community leaders“, um die Lage zu beruhigen, sondern setzt meist ganz auf die Härte des Gesetzes. Allerdings haben die weißen Engländer als ethnische Gruppe eben auch gar keine sichtbaren Fürsprecher; allenfalls könnte man manche Rechtsaußenpolitiker als solche betrachten, aber die gelten natürlich als toxisch, während die Behörden sich oft nicht scheuen, zum Beispiel mit bekennenden Islamisten zusammenzuarbeiten, wenn es gilt, die Unruhe unter Muslimen einzudämmen. Auch hier wird also mit zweierlei Maß gemessen, und das verschärft den Konflikt. Mittlerweile, den Anschein hat es, ist eine Eskalationsspirale entstanden, denn jetzt gehen auch die Muslime auf die Straße, die sich angegriffen fühlen und entsprechend wütend reagieren. Es ist an einigen Orten wie in Stoke-on-Trent bereits zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen.

Großbritannien entwickelt sich wie viele europäische Ländern zu einer Gesellschaft von Fremden, die einander grundsätzlich misstrauen, zu einer „low-trust society“

Was man vor Augen hat, ist eine Gesellschaft, die in rivalisierende ethnische Gruppen zerfällt, die sich grundsätzlich mit Misstrauen begegnen, mittlerweile zum Teil auch mit Feindschaft. In einer multikulturellen Gesellschaft, in der die einzelnen Gruppen, soweit sie nicht Einheimische sind, geradezu dazu ermutigt werden, ihre Verschiedenheit auszuleben und zu pflegen, kann einen das im Grunde nicht wirklich überraschen. Dabei kann es auch zu recht seltsamen Allianzen kommen. In Belfast demonstrierten katholische Nationalisten und irische protestantische Loyalisten, die einander sonst in tiefem Hass verbunden sind, gemeinsam gegen die Fortsetzung der bisherigen Immigrationspolitik – ein solches Bündnis gegen einen gemeinsamen Feind hat es in Nordirland noch nie gegeben.

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Nordirland gewissermaßen das Experimentierfeld für die tribalisierte Gesellschaft der Zukunft sein könnte, die sich jetzt auch im restlichen Vereinigten Königreich ankündigt. In Ulster standen sich immer schon verfeindete ethnisch-religiöse Gruppen gegenüber, und ein prekärer Friede konnte in den letzten 25 Jahren nur durch komplexe Kompromisse zwischen Protestanten und Katholiken gewährleistet werden, die jeder Seite einen Anteil an der Regierungsmacht, eigene Schulen und einen Schutz ihrer Sonderinteressen gewährten. Das könnte sehr wohl das Modell sein, das jetzt auch in Großbritannien insgesamt Anwendung finden wird, weil es sonst keinen Ausweg mehr gibt.

Jongleure der Macht
UK: Labour nutzt den Protest, um von Messermorden in Southport abzulenken
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass es, auch wenn die Unruhen in den nächsten Wochen wieder abflauen, der Labour-Regierung nicht gelingen wird, die ethnischen Spannungen dauerhaft einzudämmen. Dazu ist sie viel zu sehr auf das einseitige Konzept einer moralischen Umerziehung der einheimischen Bevölkerung im Namen eines radikalen Antirassismus festgelegt. Maßnahmen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, etwa um Islamkritiker zum Schweigen zu bringen, wie sie Premier Starmer jetzt vermutlich umsetzen wird, werden die Lage nur noch schlimmer machen.

Das größte Problem werden dabei vielleicht nicht einmal die gelegentlichen Ausbrüche von Gewalt sein, sondern der allgemeine soziale Vertrauensverlust. Die ethnischen Minderheiten und die schrumpfende weiße Mehrheitsbevölkerung werden aus unterschiedlichen Gründen dem Staat und der Polizei, aber auch einander immer mehr misstrauen, weil sie sich auch immer fremder werden, aber die Vertreter des Staates werden auch der heimischen Bevölkerung misstrauen, namentlich jenen „Normalos“, auf die man sich früher glaubte, verlassen zu können, weil sie friedlich blieben, auch wenn ihnen etwas missfiel.

Daher wird die Versuchung groß sein, zu härteren Zwangsmaßnahmen zu greifen. Ein Berater der Regierung, Lord Woodcock Baron Walney, hat schon dazu aufgefordert, im Falle länger andauernder Unruhen umfassende Ausgangssperren und Lockdowns zu verhängen, wie während der Corona-Epidemie, die sich dann im Rückblick doch noch als der Probelauf für einen neuen Überwachungsstaat entpuppen könnte, wie es manche Alarmisten immer schon befürchtet hatten. Das freilich wird den Widerstand nur noch stärken und die Legitimität staatlicher Ordnung weiter untergraben. Ob die Probleme, die sich in diesen Tagen in Großbritannien so sichtbar manifestieren, überhaupt noch meistern lassen, ist unklar.

Eine Grundvoraussetzung wäre sicherlich eine Eindämmung der Massenimmigration und die Bereitschaft des Staates, auf Einwanderer einen stärkeren Anpassungsdruck auszuüben, sowie die Bereitschaft, die Unzufriedenheit der ärmeren, weniger gebildeten weißen Bevölkerung ernst zu nehmen. Davon ist man aber weit entfernt. Damit wird am Ende vielleicht Kipling, ein natürlich politisch extrem problematischer Autor aus den Tagen des verruchten Empire, den man eigentlich nicht mehr zitieren sollte, mit seinem Gedicht „The Stranger“ – Der Fremde recht behalten. Es ist aktueller denn je, weil es das tiefe Misstrauen gut beschreibt, das in einer Gesellschaft von Menschen herrscht, die einander nicht mehr einschätzen können, weil sie einander zu fremd sind.

The men of my own stock
They may do ill or well,
But they tell the lies I am wonted to,
They are used to the lies I tell.
And we do not need interpreters
When we go to buy and sell.

The Stranger within my gates,
He may be evil or good,
But I cannot tell what powers control—
What reasons sway his mood;
Nor when the Gods of his far-off land
Shall repossess his blood.

Die Männer meiner Herkunft, mögen gut oder schlecht handeln, aber sie erzählen die Lügen, mit denen ich vertraut bin. Sie sind gewöhnt an die Lügen, die ich erzähle. Und wir brauchen keine Dolmetscher, wenn wir uns anschicken, zu kaufen und zu verkaufen.

Der Fremde in meinen Mauern kann böse oder gut sein, aber ich kann nicht einschätzen, welche Mächte seine Stimmung kontrollieren, welche Überlegungen ihn leiten. Auch weiß ich nicht, wann die Götter seines fernen Landes sein Blut wieder in Besitz nehmen werden.


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