In einem berühmten Wiener Fiakerlied heißt es tiefgründig: „… das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt alle gleich.“ Ähnliches kommt einem auch bei den jüngsten Wirtschaftsnachrichten aus der internationalen Automobilindustrie in den Sinn. Allerdings mit kleinen Unterschieden: Das Schicksal ist nicht exogen bestimmt, sondern ist ein selbstgewähltes Schicksal in Form von eiligem Wechsel raus aus dem Verbrenner und voll Watt hinein in die Batterie-Elektromobilität als alleinige Antriebsart der Zukunft. Und der Hobel sind die Verluste aus der Sparte Elektroauto, die bei allen Herstellern gegenwärtig anfallen. Der Verlust-Hobel macht alle Hersteller gleich, wenn er auch unterschiedlich schicksalsträchtig wirkt.
Und das Schicksal hobelt kräftig! Das gab es noch nie: Die gesamte Branche schreibt in der Sparte Batterie-Elektroautos hohe Verluste. Verbrenner-Fans jubeln, Autohersteller, insbesondere im Premium-Segment, mit einer traditionell breiten Palette an hochpreisigen Verbrennerautos noch mehr. Sie können die Elektroverluste locker kompensieren und machen immer noch ansehnliche Gewinne.
Zu den Verlierern gehören sie alle, ob GM, Jaguar, Maserati, Porsche, Volkswagen, Stellantis, sogar Tesla selber, alle schreiben im BEV-Geschäft rote Zahlen. Von den prominenten Zulieferern wie Bosch und ZF ganz zu schweigen. Allerdings sind die Verluste je nach Marktstellung, Strategie und Qualität des Managements nach Herstellern unterschiedlich hoch und unterschiedlich schmerzhaft.
Den US-Autoriesen Ford traf es am härtesten, hier schlagen sich die Verluste aus dem Elektrogeschäft besonders deutlich in der Bilanz nieder. Ford-CEO Jim Farley musste für das zweite Quartal wieder Milliardenverluste mit Elektroautos melden. Die Aktie fiel um 18 Prozent, der größte Tagesverlust seit 2008.
Diese Zahlen liefern im Grunde auch eine Erklärung für den schleichenden Rückzug von Ford aus dem europäischen Markt. Erst vor wenigen Wochen hatte Ford-Deutschland nach der angekündigten Werkstilllegung von Ford Saarlouis im Herbst 2023 und einen ersten Beschäftigungskahlschlag zur Karnevalszeit im Frühjahr 2024 die Öffentlichkeit mit einem geplanten weiteren deutlichen Produktions- und Beschäftigtenabbau geschockt.
Das war offensichtlich erst der Anfang. Vor wenigen Wochen kündigte Ford-Köln weitere drastische Entlassungs- und Einsparmaßnahmen zur Kostensenkung an, die Deutschland-Chef Martin Sander durch umgehenden Wechsel als Markenchef zu VW nachhaltig unterstütze. Von dem ursprünglichen Plan, ab 2030 in Deutschlands Ford-Werken nur noch Elektroautos zu bauen, ist inzwischen keine Rede mehr.
All das war eine düstere Vorankündigung dessen, was Ford-Konzern-CEO Jim Farley jüngst bei Erläuterung der Zahlen für das zweite Quartal die Presse wissen ließ. Das Unternehmen meldete einen Rückgang des Nettogewinns auf 1,8 Milliarden US-Dollar (Vorjahr 1,9 Milliarden Dollar), im zweiten Quartal um 4,5 Prozent, nachdem die Garantieaufwendungen unerwartet um 800 Millionen Dollar gestiegen waren. Der Konzernumsatz legte im zweiten Quartal sogar von 45 auf 47,8 Milliarden Dollar zu. Der bereinigte Gesamtertrag vor Zinsen und Steuern sank jedoch deutlich auf 2,8 Milliarden Dollar, was Ford mit gestiegenen Garantierückstellungen begründete.
Rettung kam aus dem Verbrenner-Geschäft, denn mit seinen mächtigen CO2-Pick-Ups und Verbrennern und Nutzfahrzeugen verdient Ford weiterhin sehr gut. Die Aktivitäten bei den konzerneigenen Elektroautos bezeichnete CEO Jim Farley insgesamt als „demütigend“ (Demütigend: Ford verliert wieder Milliarden mit Elektroautos | Automobilwoche.de). Kein Wunder, denn im zweiten Quartal verlor die Ford-Elektrosparte Model e 1,14 Milliarden Dollar. Für das Gesamtjahr rechnet Ford hier unverändert mit minus 5,0 bis minus 5,5 Milliarden Dollar.
Ford Blue, das traditionelle Verbrennergeschäft, brachte dagegen 1,17 Milliarden Dollar ein. Die Verkäufe von Hybridfahrzeugen stiegen um 34 Prozent und machten im zweiten Quartal fast neun Prozent am weltweiten Ford-Absatz aus. Bei der Nutzfahrzeug- und Flottendivision Ford Pro waren es 2,56 Milliarden Dollar bei einer Ebit-Marge von 15,1 Prozent (Demütigend: Ford verliert wieder Milliarden mit Elektroautos | Automobilwoche.de). Laut CEO Farley haben die Verluste Ford gezwungen, sich als Unternehmen besser aufzustellen, was sich auch auf das Verbrennergeschäft auswirke. „Das wird sich auf lange Sicht auszahlen.“ (Automobilwoche).
Der schleichende Rückzug aus Europa wird vom Mutterkonzern offensichtlich als wesentliche Maßnahme gesehen, „sich „besser aufzustellen. Künftig will sich Ford auf kleinere und erschwinglichere BEV-Modelle konzentrieren. In Europa könnte Ford zudem länger als geplant Autos mit Verbrennungsantrieben verkaufen. Womit die Lebenserfahrung, dass Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung ist, wieder bestätigt wäre. Für Ford Köln wäre das immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer, obwohl Fords Deutschland-Absatz mit rund 116.000 Autos und einem Marktanteil von nur noch 4 vH auf einen historischen Tiefstand gefallen ist. Entsprechend hat die Konzernmutter die ehemals stolze Ford AG inzwischen zur reinen Produktionsstätte, angehängt an die Mutter in Dearborn (Michigan), degradiert. Automobilexperten sprechen von Selbstzerstörung.
Für das Gesamtjahr rechnet der Ford-Konzern unverändert mit einem bereinigten EBIT von zehn bis zwölf Milliarden Dollar. Die Prognose für den freien Cashflow wurde um eine Milliarde Dollar auf eine Spanne von nun 7,5 bis 8,5 Milliarden Dollar angehoben. Insgesamt glauben Ford-CEO Jim Farley und Co., dass Ford auf dem richtigen Weg sei. „Wir sind absolut ein anderes Unternehmen als vor drei Jahren“, sagte Farley und verwies auf die Stärke im Nutzfahrzeuggeschäft und wachsende Einnahmen aus Software-Abonnements (Demütigend: Ford verliert wieder Milliarden mit Elektroautos | Automobilwoche.de.).
Von baldigen Gewinnen aus dem Ford Elektroauto-Geschäft wurde nicht gesprochen. Der US-Autoriese aus Dearborn (Michigan) ist in der Elektroauto-Krise nicht alleine. In Deutschland erweist sich der VW-Konzern als ein loyaler Krisenbegleiter.
Die am 1. August von VW-Chef Oliver Blume vorgelegten Geschäftszahlen für das 2. Quartal respektive 1. Halbjahr 2024 können von den Ford-Kollegen nur als Trost empfunden werden:
Auch der VW-Konzern schreibt Verluste, steckt tief im Absatzstrudel. Porsche, Audi, Kernmarke VW – im Volkswagen-Imperium türmen sich die Probleme.
Auch wenn die Zahlen für das 2. Quartal nicht ganz so schlecht ausfielen, wie vielfach unterstellt, lassen sie für die Zukunft nichts Gutes erwarten:
- Das operative Ergebnis fiel um 2,4 Prozent auf 5,46 Milliarden Euro.
- Die Absatzzahlen sanken, der Umsatz nahm trotzdem im zweiten Quartal dank des guten Abschneidens der Finanzdienstleistungen um 4,1 Prozent auf 83,3 Milliarden Euro.
- Bei der Kernmarke VW sank die Rendite auf 2.3 Prozent – in zwei Jahren sollen es 6,5 Prozent werden. – Da kommt der neue Vorstand für Vertrieb, Marketing und Aftersale der Marke VW Markus Sander, der kurz zuvor von Ford Deutschland nach Wolfsburg gewechselt ist möglicherweise direkt vom Regen in die Traufe – oder noch Schlimmeres.
- Der Gewinn fiel jedoch um 4,2 Prozent auf 3,63 Milliarden Euro.
Dazu zitiert die Automobilwoche zwei prominente Stimmen aus der Führungsetage (VW: Produktionskapazitäten in Deutschland um 25 Prozent gesenkt | Automobilwoche.de).
- „Es geht um Kosten, Kosten, Kosten. Besonders bei der Kernmarke Volkswagen, aber in allen unseren Marken“ (CEO Oliver Blume).
- „Wir müssen uns bei der Kernmarke Volkswagen in einen wesentlich besseren Kostenrahmen bewegen. Die Produkte sind klasse und werden vom Kunden gut aufgenommen. Wir haben eine starke Produktseite und müssen die Kosten wettbewerbsfähiger machen“ (Finanzvorstand Arno Antlitz).
Von einer Rückkehr zu alter Ertragsstärke und höherer Wettbewerbsfähigkeit durch Steigerung des Absatzes bei allen Konzernmarken war nirgends die Rede. Die aktuelle strategische Ausrichtung der VW-Führung folgt ausschließlich getreu der Philosophie der amerikanischen Managements-Schools und ist streng defensiv auf Kostensenkung und Gürtel-enger-Schnallen ausgerichtet. Kosten, Kosten, Kosten, nicht Absatz, Absatz, Absatz ist das Mantra der VW-Führung.
Entsprechend dieser Management-Weisheiten hat CEO Oliver Blume die weltweit fast 700.000 Mitarbeiter des Konzerns auf einen harten Sparkurs eingeschworen: „Es geht um Kosten, Kosten, Kosten. Besonders bei der Kernmarke Volkswagen, aber in allen unseren Marken“, sagte Blume (VW: Produktionskapazitäten in Deutschland um 25 Prozent gesenkt | Automobilwoche.de). Marlene Dietrich würde heute singen: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Kostensenkung eingestellt, denn das ist meine Welt – und sonst gar nichts.“
Dazu scheut VW-Chef Blume auch nicht vor drastischen Maßnahmen zurück. Der VW-Vorstand hat beschlossen, die Kapazitäten in Deutschland um 25 Prozent zu kappen. Nicht nur das Audi-Werk in Brüssel dürfte geschlossen werden, in Deutschland sollen in allen Werken die Nachtschichten wegfallen.
Dazu Konzernchef Blume laut Automobilwoche: „Wir sind in der Mitte der Implementierung unserer Performance-Programme über alle Marken. Dabei haben wir auch Kapazitätsanpassungen vorgenommen. Organisatorisch und technisch, dabei haben wir die technischen Kapazitäten an Standorten wie Ingolstadt, Emden und Zwickau um 25 Prozent reduziert. Speziell in Deutschland bringt uns das in eine bessere Position.“
Nur zur Erläuterung: In Emden und Zwickau werden nur Elektroautos gebaut, das Stammwerk Wolfsburg wird nicht erwähnt, offensichtlich will die VW-Führung eine Auseinandersetzung mit dem mächtigen Betriebsrat vermeiden. Ein Schock für die Branche und den Autostandort Deutschland – der Leuchtturm wankt! Dazu fällt dem altgedienten Automobilexperten nur noch ein geflügeltes Wort von Theodor Heuss (Erster Bundespräsident der Bundesrepublik von 1949-1959) ein, als dieser sich nach einem Manöverbesuch von den Soldaten der frisch gegründeten Bundeswehr verabschiedete: „Nun siegt mal schön!“