Tichys Einblick
Das politische Schweigen im Lande

Umfrage unter Lehrern: Westlich gekleidete Mädchen gelten oft als ‚unrein‘ oder ‚haram‘

Die Frage nach dem Kopftuch für junge Mädchen stellt sich immer schärfer auch in Deutschland. Lehrer berichten von Hidschabs ab der fünften Klasse. In Frankreich sind sie an Schulen verboten. Hierzulande glaubt man noch an Staatsverträge. Das Verbot des IZH in Hamburg hat auf Grenzen hingewiesen.

picture alliance / dpa | Axel Heimken

Ist das Kopftuch ein Zeichen der Vielfalt und Pluralität, wie den Bewohnern dieses Landes immer wieder ohrenbetäubend eingebläut wird? Oder erschwert es die Koexistenz der Religionen? Dieser Frage ging die Bürgerinitative Terre des Femmes (TDF), seit nun mehr als 40 Jahren auf diesem Feld engagiert, nach. Die Frauenrechtsorganisation, in deren Vorstand unter anderem Necla Kelek sitzt, hat eine Umfrage unter Pädagogen gestartet und veröffentlichte im Juli die Ergebnisse. 784 Lehrkräfte und Sozialarbeiter an Schulen aus ganz Deutschland wurden befragt. Tatsächlich hatte TDF sogar Fragebögen an 4.500 Schulen verschickt. Doch nur ein knappes Sechstel antwortete. Die Ergebnisse sind also nicht repräsentativ, aber doch beachtlich. Beachtlich ist im Grunde auch die niedrige Antwortquote, und man weiß nicht, ob der Rest das Thema nicht bedeutsam genug empfand.

Stephans Spitzen:
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Das erste erstaunliche Ergebnis: 71 Prozent der Pädagogen haben derzeit Kontakt mit Schülerinnen unter 14 Jahren, die einen Hidschab tragen. Auf dem Land war dieser Prozentsatz niedriger und lag bei 46 Prozent, in den Städten verschiedener Größe reicht er von 68 (Mittelstädte) bis hin zu 76 Prozent (Großstädte). In Kleinstädten gab es einen Mittelwert von 72 Prozent. Der Hidschab ist bekanntlich ein Schleier, der eng um Haare und Hals geschlungen und in Deutschland für Mädchen aller Altersstufen erlaubt ist. Eine stärkere Verschleierung ist an Schulen in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen verboten.

73 Prozent der Pädagogen glauben, dass das Tragen des Schleiers die persönliche Entwicklung der Heranwachsenden und die Beziehung zu ihren Mitschülern beeinträchtigt. „Das Kopftuch wird zumeist als Symbol der Abgrenzung getragen. Häufig gepaart mit anderen klassisch muslimischen Kleidungsstücken“, berichtet ein Studienteilnehmer. Schon seit langem gehe es „nicht mehr nur“ um das Kopftuch. „Auch radikalere Formen wie ein Tschador sind häufig schon ab Jahrgang 5 oder 6 zu sehen. Westlich gekleidete Mädchen gelten oft als ‚unrein‘ oder ‚haram‘. Die Bezeichnung Kuffar (Ungläubige) ist häufig zu hören.“

Freiwillig und stolz für das Kopftuch entschieden?

Von Familienmitgliedern werden die Mädchen mit Lob und Geschenken „geködert“, wie ein Pädagoge und Studienteilnehmer berichtet. Da fallen dann Sätze wie: „Du bist eine besonders gute Tochter, wenn du ein Kopftuch trägst. Du stärkst unsere Ehre. Wir sind stolz auf dich. Wir lieben dich.“ Kleine Mädchen können angeblich schon hier „kaum widerstehen“, mutmaßt der Lehrer, außerdem gebe es Druck und Angst vor Ablehnung durch die eigene Familie.

Berichtet wird von einer Neunjährigen, die sich freiwillig für das Kopftuch entschieden habe, vermutlich weil sie es „spannend“ und neu fand. Es machte sie angeblich stolz. Allerdings wurde sie dadurch auch „viel introvertierter und ‚erwachsener‘“ als zuvor. Nun scheine ihr „Weg vorgegeben“. Auch andere Lehrkräfte sprechen von einer „Lebensentscheidung“, für die den Mädchen eigentlich Mündigkeit und freie Wahl fehlen. Auch Freundinnen üben oft Druck aus. Das stellt sich dann mancherorts wie eine Epidemie dar, die durch Ansteckung voranschreitet. Mädchen passen ihre Kleidungsstile aneinander an und „überwachen“ sich gegenseitig.

31 Prozent der befragten Pädagogen glauben, dass die Schülerinnen den Schleier nicht freiwillig tragen. 56 Prozent berichten, dass Mädchen unter 14 Jahren nicht am Sport- oder Schwimmunterricht teilnehmen, laut 52 Prozent auch nicht an Schulausflügen und Klassenfahrten. Und immerhin 49 Prozent glauben, dass ein Schleierverbot für junge Mädchen ihnen die Arbeit erleichtern würde.

Ein Verbot als Voraussetzung religiöser Vielfalt

Terre des Femmes fordert eine bundeseinheitliche Regelung des „Kinderkopftuchs“ in öffentlichen Bildungseinrichtungen. Damit sind Schulen und Kitas (!) gemeint. Den Zielen ist dabei kaum zu widersprechen: „Mädchen stärken, Gleichberechtigung fördern, Säkularität – für religiöse Vielfalt“. Die letzte Aussage lässt besonders aufhorchen. Die religiöse Vielfalt im Lande wäre also gerade durch die immer größere Verbreitung von Hidschab und Tschador bedroht, nicht durch ein Verbot.

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Das widerspricht vielen Publikationen hierzulande, wo der Schleier immer wieder als Ausweis der Pluralität und Vielfalt genommen wird, angefangen von den berüchtigten öffentlich-rechtlichen Funk-Formaten im Internet. Man kann das offenbar auch ganz anders sehen. Dabei wäre über den Mangel an freier Entscheidung nachzudenken, aber auch über die genannten Ansteckungsmomente – die in manchen Fällen sogar schon Nicht-Muslime betreffen, die dann vermehrt zum Islam konvertieren, einfach um auch dazu zu gehören. Man nennt das die „Macht der Peer-Gruppen“, und es ist eines der alltäglichsten Phänomene.

Die Umfrage hat inzwischen auch in Frankreich für Interesse gesorgt, wo bereits das Kopftuch wie andere typisch muslimische Kleidungsstücke (etwa die knöchellange Abaya) an Schulen verboten sind. Derzeit gibt es allerdings Befürchtungen, dass mit einer linken Regierungsbildung auch diese Errungenschaften der Regierung Attal (und vorheriger) Geschichte sein könnten. In Deutschland wollen auch viele in der angeblichen „Mitte“ nichts von solchen Verboten wissen.

In Frankreich Verbote, in Deutschland Staatsverträge

Nun werden einige sagen: Ja, die deutsche Schultradition ist anders, weniger laizistisch, eher von der Vorstellung geprägt, dass verschiedene Konfessionen an einer Schule koexistieren können – so wie im Religionsunterricht, der allerdings auch allmählich zum Problemthema wird. Zu nennen sind hier der Hamburger Staatsvertrag mit dem Schura-Dachverband, geschlossen vom heutigen Kanzler, und andere Landesverträge mit der Ditib. Die Frage ist also, wie lange dieses Konstrukt einer durch Konkordate und andere Verträge gestützten Koexistenz noch trägt.

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Die politischen Züge gehen derzeit noch meist in eine andere Richtung. So beschlossen die Hauptstadt-Grünen 2020, dass „unser grüner Feminismus … inklusiv, intersektional und plural“ sei. Das Neutralitätsgesetz sei eine „Diskriminierung kopftuchtragender Frauen im Berlin Öffentlichen Dienst“ und solle fallen.

In NRW legte die (wie gewöhnlich stiftungsfinanzierte) „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ gerade eine Verfassungsbeschwerde für kopftuchtragende Schöffinnen ein. Auch die ARD feierte zuletzt einen „Diversity Day“, den sie mit einer Frau im Kopftuch bebilderte (und offenbar auch so im Internet verlinkte). Eindeutig auf der Seite von Terre des Femmes und für ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren scheint vorerst im politischen Spektrum nur die AfD zu stehen. Auch das muss nicht so bleiben, ist aber für die Gegenwart dennoch bezeichnend.

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