Es war eine Nachricht, über die man sich weder aufregen noch empören konnte. Nur noch ein müder Blick der Gleichgültigkeit beschrieb treffend die Emotionen über die Neuigkeit, dass nachdem alle großen Filmreihen der Vergangenheit bereits bis zur Unendlichkeit verunstaltet und ausgemolken wurden, nun auch Sergio Leones Dollar-Trilogie ein Remake erhalten soll. Zwar darf man nicht vergessen, dass auch diese Klassiker (wie auch der Western „Die glorreichen Sieben“) bereits Remakes japanischer Filme von Akira Kurosawa darstellen, doch war es vor allem der ikonenhaften Erscheinung von Clint Eastwood und der kongenialen Zusammenarbeit Leones gewaltiger Bildsprache und der Musik von Ennio Morricone zu verdanken, dass die Übertragungen von Sergio Leone als Meisterwerk in die Geschichte des Kinos eingingen.
Nun ist die Ideenlosigkeit Hollywoods mittlerweile fast schon sprichwörtlich geworden und könnte als Symptom einer sich im Niedergang befindlichen Kunstform gesehen werden. Doch das Problem ist weitläufiger. Liebhaber der Popularmusik monieren ebenso einen seit Jahren spürbaren Niedergang (zumindest im Mainstream) und die mittlerweile fast 20 Jahre anhaltende 80er Jahre Nostalgie wurde lediglich um ein wenig 90er-Nostalgie erweitert, aber nicht überwunden. In der Klassikwelt wird es noch augenscheinlicher, denn der überwiegende Kanon des Repertoires wurde mit dem Ende des 2. Weltkriegs festgelegt und seitdem immer wiederholt. Erweitert wurde dieser lediglich durch das Aufkommen der Alte-Musik-Bewegung seit den 60er Jahren, doch auch hier sind die Standards des Repertoires mittlerweile seit vielen Jahren festgelegt und durchinterpretiert.
Ein Jugendmedium gefangen in ewiger Adoleszenz
Ja selbst ein absolut junges Kunstmedium – wenn man es als solches bezeichnen möchte – wie die Gaming-Industrie, die in Sachen Wirtschaftlichkeit und Reichweite die Filmindustrie bereits um ein Vielfaches überflügelt hat, befindet sich in einer kreativen Krise und zehrt ganz ähnlich wie Hollywood vor allem von den Leistungen der Vergangenheit und endlosen Fortsetzungen. Auffallend ist dabei vor allem die ausufernde Verlängerung der Entwicklungszyklen. Während noch bis in die 2010er Jahre selbst große Spiele nach drei bis vier Jahren einen Nachfolger bekamen, liegen einige der populärsten Spielereihen seit mehr als einer Dekade brach. Das popkulturelle Phänomen „Grand Theft Auto 5” hat mittlerweile 11 Jahre auf dem Buckel, das unausrottbare Rollenspiel „Skyrim” gar 13 Jahre, in denen es allerdings immer wieder Neuauflagen mit geringfügigen Verbesserungen gab, die es den Machern erlaubten, das Spiel selbst nach 10 Jahren noch einmal zum Vollpreis zu verkaufen.
Solcher Beispiele gibt es wie Sand am Meer. Auch die Lebenssimulation “Die Sims” hat einen ähnlichen Lebenszyklus aufzuweisen. Teil 1 erschien im Jahr 2000, Teil 2 folgte 2004 und bot einen erstmaligen Sprung in echte Dreidimensionalität. Teil 3 erschien 2007 und führte sogar eine mehr oder weniger offene Spielwelt ein. Doch Teil 4 ließ nicht nur bis 2014 warten, auch die offene Spielwelt wurde wieder abgeschafft und die Komplexität insgesamt runtergeschraubt. Seitdem herrscht Funkstille, bis natürlich auf mittlerweile fast 50 Erweiterungspakete, mit denen die Entwickler auf regelmäßige Zusatzeinnahmen hoffen können.
Die Möglichkeit, über Online-Angebote oder Zusatzpakete zu einem populären Basisspiel zusätzliche Einnahmen mit geringem Aufwand zu generieren, ist sicherlich ein Grund für diese Stagnation. Die Einfallslosigkeit und Risikoscheue einer Industrie, deren Budgets jene von Filmen mittlerweile deutlich überflügeln, ist ein weiterer. Doch knüpft sich daran auch eine weitaus erschreckendere Beobachtung, die sich wie ein dunkler, lähmender Schleier über unsere Gesellschaft legt, nämlich die, dass wir eine große Stagnation durchleben.
Filme als Zeitzeugen: Von anderen Welten zur Stagnation
Wer als Kind der 80er Jahre im Fernsehen – sagen wir der Einfachheit halber im Jahr 1994 – den originalen Star Wars Film aus 1977 sah, der hatte bereits damals das deutliche Gefühl, dass es sich um einen alten Film handelte. Kostüme und Frisuren sprachen die deutliche Sprache der 70er Jahre. Denn zum Vergleich: Im Jahr 1994 erschienene Filme wie Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ oder auch „Forrest Gump“. „Jurassic Park“ war zu dem Zeitpunkt bereits ein Jahr alt, der „Terminator 2“ gar drei Jahre. Kein Vergleich also zur Ästhetik der 70er Jahre bei „Star Wars“. Dennoch lagen zu diesem Zeitpunkt nur 17 Jahre zwischen „Star Wars“ und dem besagten Jahr 1994. In diesen 17 Jahren hat sich die Welt erheblich weiter gedreht.
Noch deutlicher wird der Vergleich, wenn man weiter in die Vergangenheit zurückreist. 1969 erschien das Biker-Epos „Easy Rider“ und fasste das Lebensgefühl der 68er-Hippies in einer Bildsprache zusammen, die bei Nicht-Boomern bestenfalls nur noch Fremdscham auslöst. 17 Jahre zuvor, im Jahr 1952, erschienen hingegen der erste „Don Camillo“-Film, „Ivanhoe“ und „Schnee auf dem Kilimandscharo“. 17 Jahre wie vom anderen Planeten. Zu diesem brauchte es sogar nur 16 Jahre, denn bereits 1968 erschien “2001: Odyssee im Weltraum“.
Die Mitschuld konservativer Kräfte
Solche Beobachtungen dienen nicht nur der Nostalgie, sondern sollen vor allem zur Standortbestimmung helfen. Denn während einerseits die Welt gesellschaftspolitisch einen großen Umbruch zu vollziehen scheint, lässt sich seit geraumer Zeit keine wirklich veränderte Sicht auf die Welt erkennen. Denn auch die zahlreichen Grenzverlegungen, die Jahr für Jahr unseren Alltag zu prägen scheinen, wurden bereits vor Jahrzehnten von Hollywood vorexerziert, sodass sie nur noch als kleine, konsequente Schritte, die vor allem den Anschein einer permanenten Revolution erwecken sollen, erscheinen.
Es ist an dieser Stelle, an der allerdings auch die kritische Selbstreflexion konservativer Kräfte von Nöten ist, denn so sehr Deutschland, Europa und der Westen im Allgemeinen nach einer neuen, positiven Vision lechzen, so bestätigen auch Konservative oftmals nur den Status quo, in dem sie zwar die neuesten Exzesse der Progressiven lauthals kritisieren, dem aber selten viel mehr entgegen zu setzen haben, als den Wunsch nach einer Rückkehr zu einem Zustand von vor einigen Jahren, als die Welt noch in Ordnung schien und das obwohl auch damals bereits vollkommen absehbar war, in welche Reise die Richtung gehen würde.
Dieses inhärente Problem hatte G.K. Chesterton bereits vor exakt 100 Jahren in einem Artikel beschrieben, als er analysierte:
„Die ganze moderne Welt hat sich in Konservative und Progressive aufgeteilt. Die Aufgabe der Progressiven ist es, immer Fehler zu machen. Die Aufgabe der Konservativen ist es, zu verhindern, dass die Fehler korrigiert werden. Selbst wenn der Revolutionär sich bereits von seiner Revolution abwendet, verteidigt der Traditionalist sie bereits als Teil seiner Tradition.“
Die Notwendigkeit einer positiven Zukunftsvision
Das soll nicht heißen, dass es nicht auch Visionen für eine positiv-schöpferische Ausgestaltung der Zukunft gibt. Guillaume Faye legte bereits vor Jahrzehnten seine Vision des Archäofuturismus dar, die sich dadurch auszeichnet, dass sie nicht nur die Irrungen des Liberalismus im Endstadium ablehnte, sondern eine Symbiose aus Traditionen – vor allem aus dem antiken Erbe – und technischer Zukunftsgewandtheit darstellt.
Es ist nur eine von vielen denkbaren Visionen für die Zukunft, aber sie ist vor allem geprägt von einem Willen zur Überwindung der Stagnation, dem Wunsch nach aktiver Gestaltung der Welt und des Lebens. Lebensbejahend und vital, statt ängstlich und in Nostalgie erstarrend.
Aber wenn es nur einer Ideologie oder eines Glaubenssystems bedürfte, wäre die große Stagnation keine Realität. Die Stagnation ist das Resultat einer Bündelung der Widersprüche und jener Kräfte, die an ihr zerren. Der resultierende gordische Knoten wird, wie es solchen Knoten immer zu eigen ist, nur mit einem Schwerthieb gelöst werden. Die große Stagnation ist daher auch das große Warten, die Ruhe vor dem Sturm. Je größer die Stagnation, desto näher rückt der Moment der Entladung. Zeit noch ein letztes Mal „Skyrim“ zu spielen, bevor jene Zeiten, in denen man ein 13 Jahre altes Computerspiel zum siebzehnten Mal durchspielt, für Jahrhunderte wieder an ein Ende kommen.