Tichys Einblick
Vergessene Streiter

Akif reloaded oder die Helden von gestern

Verschwörungstheorien in Deutschland haben die seltsame Eigenschaft, sich binnen kürzester Zeit als Wirklichkeit herauszustellen, eine nach der anderen. Und diejenigen, die sie ahnungsvoll formulierten, zahlen teuer dafür – und sie werden vergessen. Daniela Seidel mit einer Hommage an ihren vergessenen Helden.

Der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci spricht am 25.09.2017 vor dem Amtsgericht in Dresden (Sachsen) mit Medienvertretern

picture alliance / Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa | Sebastian Willnow

Die Ereignisse überschlagen sich. Keine Woche, kein Tag mehr ohne brutalste Messer-, Gewalt- oder sonstige Ungläubigen-Dezimierungsattacken. Der auf dem Heimweg vom Abi-Ball brutal zu Tode getretene Phillipos Tsanis aus Bad Oeynhausen ist nur ein von vielen Beispielen, das bekannt geworden ist.

Während geschmackloses Gegröle auf Sylt unmittelbare Forderungen von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas nach Höchststrafen nach sich zog und der Vorfall von Grevesmühlen, bei dem ein Kind ein anderes Kind ärgerte, ultimative Haltungsbekundungen der üblichen, bekennenden Antirassisten hervorrief, herrschte im oben genannten Fall bleiernes Schweigen.

Betroffen wäre wohl zu viel gesagt – denn ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode, um den weitsichtigen William Shakespeare zu bemühen. Und an Weitsichtigen bestand grundsätzlich niemals Mangel. Doch dazu gleich mehr.

Der Blick in die momentane Mainstream- und Social-Media-Landschaft offenbart wie stets Erwartbares. Spürbar unwillig lassen sich Tonangeber zu Meldungen hinreißen, die, euphemistisch ausgedrückt, Euphemismen strapazieren. So sprach die Tagesschau davon „dass eine Gruppe von zehn jungen Männern mit den Opfern in Streit geraten war“. Wie bei unzähligen Machetengemetzeln, Gruppenvergewaltigungen oder sonstigen Blut- und Gewalttaten gingen also stets Auseinandersetzungen voraus, zu denen bekanntlich immer zwei gehören. Handy und Wertsachen nicht herausrücken, schief schauen oder sich nicht sofort entkleiden, kann dann logischerweise Differenzen nach sich ziehen.

Auch der WDR meldete, nach einer „Schlägerei“ sei ein 20-Jähriger „gestorben“. Ja, immer diese Meinungsverschiedenheiten und Rangeleien unter Halbstarken, bei denen dann eine der Konfliktparteien durch unsachgemäßen Gebrauch von Stiefeln oder Stichwerkzeugen tragischerweise verblichen ist. Erheblichen Zuspruchs erfreute sich zudem der Tweet des bis dahin eher unbekannten X-User nisi, der zu den Beileidsbekundungen von Alice Weidel deutliche Worte fand: „Halt deine fresse das war mein Freund und ihr nutzt ihn für rechte propaganda ich bin so wütend“ (sic!).

 

Denn selbstverständlich ist es wesentlich schlimmer, den Tod dieses jungen Mannes angeblich für die eigene politische, verachtenswerte Agenda zu instrumentalisieren, als darauf hinzuweisen, dass die aktuelle politische Agenda oder zumindest die eklatant verfehlte Migrationspolitik für den Tod dieses jungen Mannes überhaupt und ursächlich verantwortlich ist. Jetzt kann nur noch ein AfD-Verbot helfen! Zumal dieser Vorfall denen ja wieder nur in die Hände spielt. Einer AfD, die ohne eine solche Politik und daraus zwangsläufig resultierende Vorfälle in ihrer jetzigen Form überhaupt nicht existieren würde. Logisch.

Und damit zurück zu den Weitsichtigen. Ich war ja nicht schon immer rechts. Oder das, was man heute unter rechts versteht. Meinen notgedrungenen Werdegang darf, wer mag, gern hier nachvollziehen. Als ich seinerzeit Sarrazin las, gab mir das zwar schwer zu denken, dennoch dachte ich, der gute Mann spinnt. Oder übertreibt. Hoffentlich. Auch Pegida fand ich damals irgendwie „drüber“, wie unser Respekt-Olaf ja eben erst die Corona-Maßnahmen und schwersten Grundrechtseingriffe seit dem Ersten Weltkrieg verniedlichte.

So wollte ich nicht denken. So schlimm konnte es doch nicht werden. Und doch – mit einer endgültigen Faszination des Grauens erfüllte mich Akif Pirinçci. Rustikale, brutale Sprache. Schnörkellos, unbarmherzig. Unvergessen auch sein, wie man heute konstatieren muss, nahezu prophetischer Beitrag von 2013: „Das Schlachten hat begonnen“.

Elf Jahre ist das her. Ich war schockiert. Wie gern hatte ich als junge Frau seine, übrigens bereits sehr pharmakritischen, klugen Katzenkrimis gelesen, die aufzeigten, wie pseudo-logisch und wie schnell geschickt verpackte Ideologie und utilitaristische Ethik, also der aggregierte Gesamtnutzen, mit total plausiblen Begründungen über Einzelschicksale gestellt werden kann, wenn man nur raffiniert genug argumentiert.

Doch dann wurde er so politisch. So krass. So dystopisch.

Heute stehe ich hier und sage: Sie hatten mit allem Recht! Sie alle, die für ihre klaren Worte wie Stürzenberger abgemessert, wie Sarrazin an den hochnotpeinlichen öffentlichen Pranger gestellt, oder wie Pirinçci eingeknastet und vernichtet wurden und werden.

Der gerade stattfindende, koordinierte Frontalangriff auf eben diese Menschen – und somit auf unser aller Wahrnehmung, unser Urteilsvermögen, unsere (politische) Willensbildung, nicht zuletzt auch auf unsere Instinkte, auf unsere Kraft, mit der wir uns wehren wollen, sollte uns nicht irreführen. Wer noch einmal mag, hier dazu mein, zugegeben längerer, Tweet:

Unseren Sinn für die Realität dürfen wir uns nicht ausreden lassen. Nicht von den Politikern, die sich durch ihre Entscheidungen, Käuflichkeiten, Ignoranz oder Ideologie schuldig gemacht haben. Und nicht durch die angeblich breite Mehrheit, deren Scham und verletzter Stolz, sich für dumm verkaufen haben zu lassen, einer echten und umfassenden Wende bis jetzt noch entgegensteht.

Ich jedenfalls werde mein Land, meine Heimat und auch den Glauben an die Kraft der Vernunft und der gnadenlosen Wahrheit, auch wenn sie harscher Worte bedarf, nicht aufgeben. Und Akif, den feiere ich heute, irgendwie.

Dieser Mann, all diese Männer, die ihrer Zeit voraus waren, genießen meinen höchsten Respekt!

Anzeige
Die mobile Version verlassen