Ach, wie schön, dass die Amis so unterhaltsam sind und ablenken von deutscher Ödnis. Jenseits des Großen Teichs bewegt sich etwas. Je nach Verfassung von schaudernd bis freudig erregt gucken wir House of Cards – live.
I.
Den freiwilligen Rücktritt eines Präsidenten gab es erst einmal in den USA, Nixon kam einer Amtsenthebung zuvor. Es zeugt von Ahnungslosigkeit, Biden vorzuhalten, dass er bis zum Ende der Amtszeit im Weißen Haus ausharrt und nicht seine Vizepräsidentin mit „Amtsbonus“ in die Wahl schickt. Solange jemand nicht gewählt worden ist, steht ihm das Amt nicht zu, es sei denn, er folgt pflichtgemäß wie 1963 Vizepräsident Lyndon B. Johnson dem ermordeten Präsidenten Kennedy. Da mögen wir uns noch so selbstgerecht über die angeblich so zerrüttete Demokratie Amerikas erheben. Wesentlich demokratischer ist es auch, Präsidenten maximal acht Jahre im Amt zu lassen. Halbe Ewigkeiten wurden die Deutschen weder Kohl noch Merkel los, weil Kanzler nicht vom Volk gewählt werden, sondern von parteiabhängigen Abgeordneten, die ohne Rücksicht auf den Wähler-Willen Koalitionen vereinbaren und mit Ämtern jonglieren. In dieser Hinsicht ist das amerikanische System demokratischer. In anderer nicht. Nicht so gut ist, dass der Präsident wesentlich mehr Macht auf sich vereint als ein Bundeskanzler. Macht und Würde kleben am Amt, nicht an der Person. Donald Trump profitiert nicht davon, dass er schon einmal Präsident gewesen ist. Das ist schon daran zu erkennen, dass der Secret Service ihn offenbar weniger gut geschützt hat als den Amtsträger Biden.
II.
Faszinierend die Neubewertung von Personen binnen weniger Stunden. Gerade noch ist Kamala Harris eine ziemliche Nullnummer und Fehlbesetzung als Vizepräsidentin – schon wird sie hochgejazzt zur idealen Kandidatin für’s Weiße Haus. Weil sie so herzerfrischend lachen kann? Oder weshalb? Das konnte sie schon vorher. Aber jetzt hat sie womöglich wirklich etwas zum Lachen. Denn Donald Trump scheint auf dem falschen Fuß erwischt worden zu sein. Mit ihr hat er nicht gerechnet. Sonst hätte er womöglich einen anderen Vizepräsidenten nominiert, eine Frau vielleicht, eine Kandidatin für Wähler, denen weder Trump noch die Demokraten ganz geheuer sind, eine Republikanerin der alten Schule. J.D. Vance ist nur jünger, aber kaum anders. Vorteil Harris – falls sie einen vergleichsweise konservativen, weißen Mann als demokratischen Running Mate findet.
III.
Trump kann pöbeln, wie er will, Harris für „verrückt“ erklären, aber sie ist schwerer zu treffen als Sleepy Joe. Dabei galt doch Trump nach dem Attentat noch als Gesalbter des Herrn und damit als nahezu unbesiegbar. Als triumphaler Beinahe-Märtyrer mit gereckter Faust imponierte Trump soeben noch nicht nur seinen eigenen Anhängern. Jetzt ist er der alte Mann, schon auch ziemlich von gestern, und das Rennen scheint plötzlich wieder offen. Beide Kandidaten haben im Grunde nichts getan – etwas wurde mit ihnen getan. Auf das TV-Duell der beiden darf man sich freuen. Es wird für Kamela Harris so entscheidend sein wie das zuvor für Joseph Biden – falls Trump überhaupt mitmacht, angeblich lehnt er es ab.
IV.
Die beiden Kandidaten spiegeln die beiden Hälften einer zerrissenen Nation. „Freiheit oder Chaos“ sagt Harris. „Freiheit oder Sozialismus“ (kommt uns Deutschen bekannt vor) beschwört sinngemäß Trump. Beide wedeln mit dem Wort Freiheit herum, meinen aber etwas anderes. Eine Satire eigener Art ist der Opportunismus der Wirtschaft. Nach dem Attentat hatte selbst das „linke“ Silicon Valley nichts Dringenderes zu tun, als Trump mit Millionen gewogen zu stimmen. Umgekehrt dementiert Elon Musk nach dem Verzicht Bidens eiligst, er habe Trump versprochen, jeden Monat 45 Millionen Dollar für den Wahlkampf zu spenden. Heimlich wird jetzt die eine oder andere Tesla-Million auch in Harris’ Kasse landen.
V.
Wie ist das mit dem immer noch ganz überwiegend linken Konformismus bei uns? Von unschlagbarer Lächerlichkeit ist das Verhalten des Ullstein-Verlags, der seinen Bestsellerautor J.D. Vance cancelt, dessen „Hillbilly Elegie“ einst selbst Sozialdemokraten zum Heulen brachte. Ein grandioses Buch; doch mit dem Partner Trumps will man nichts mehr zu tun haben. Die Hauptstrom-Medien führen sich auf, als stünde mit einer zweiten Präsidentschaft Trumps die Demokratie auf dem Spiel und das transatlantische Bündnis obendrein. Sie favorisieren nun Harris, was nicht mehr ist als Wishfull Thinking. Wünschen allein hat noch nie geholfen. Trump für einen Unberührbaren zu halten, rächt sich, die Ampel ist auf Trump nicht vorbereitet und Madame Baerbock wird von Republikanern nicht ernst genommen. Auf der anderen Seite des Spektrums greift Trumpomanie um sich, und der eine oder andere Kollege liest dem Gelbschopf jedes Wort von den Lippen ab. Harris sei eine radikale Linke, behauptet Trump. Oh my God! In Deutschland wäre Harris vermutlich in der CDU. Nicht nach jedermanns Geschmack, aber kein Grund zur Panik. Die amerikanische Demokratie wird beide Kandidaten überleben. Sie ist krisenfester als die deutsche, wo der Wert der Freiheit immer weiter aufs Abstellgleis gerät.