Wer grenzenlose Heuchelei erfahren möchte, aber von Politik nichts mehr hören will, dem empfehle ich: Schauen Sie Bundesliga! Fußball ist längst undenkbar ohne irgendeine erzieherische Botschaft. Auch das viel diskutierte DFB-Urteil gegen die Südtribüne von Borussia Dortmund ist aus meiner Sicht durchtränkt von staatstragendem Getue und darüber hinaus ein Fingerzeig darauf, welches gesellschaftliche Fehlverhalten aktuell auf der Geht-gar-nicht-Skala ganz oben steht. Was ist geschehen in Dortmund?
Zu Beginn des Bundesliga-Heimspiels gegen RB Leipzig am 4. Februar 2017 war die Dortmunder Südtribüne (einer der größten Stehplatzblöcke der Welt) prallvoll mit Spruchbändern, auf denen (ich geb’s zu) heftige Beleidigungen in Richtung des Gegners zu lesen waren. Harte Sprache, oft unter der Gürtellinie, zum Teil wurden Einzelne gezielt und infam ins Visier genommen. Der DFB reagierte prompt, lauschen wir der Verlautbarung des DFB-Kontrollausschusses im Original-Wortlaut:
„Eine derartige Verunglimpfung und Diffamierung von einzelnen Personen und Vereinen durch Transparente und Schmähgesänge ist nicht hinnehmbar und muss konsequent sanktioniert werden. Dasselbe gilt auch für den Einsatz von Pyrotechnik. In beiden Punkten gab es gravierendes Fehlverhalten von Teilen der Dortmunder Zuschauer, das ein massiveres Eingreifen der DFB-Organe erfordert.“
Tja, im ersten Moment könnte man meinen: Gut so! Diesen inneren Reflex kennen wir, wenn in der Politik auf Menschenrechte verwiesen, Demokratiefeindlichkeit angeprangert oder ein internationaler Zusammenhalt gegen alles Böse angemahnt wird. Wer sollte da noch was einzuwenden haben? Doch wie so oft lohnt auch hier ein Lüften des Schleiers.
- Als regelmäßiger Stadiongänger und Sportstudio-Gucker darf ich Ihnen eine generelle Beobachtung verraten: Wenn in einem prallvollen Fanblock auch nur ein einziges, winzig kleines Tüchlein hochgezogen wird, auf welchem der Name des örtlichen Trainers steht, gefolgt von den Worten „muss weg“ oder „verpiss dich“ oder einfach nur von einem „RAUS“, dann können wir sicher sein: Eine ZDF-Kamera wird das Bild einfangen, und ein Reporter wird es breit am Samstag Abend in seinen Bericht einbauen. Ein geschickter Off-Kommentar a la „die Unmut im Stadion wächst“ oder „im Fanblock wird der Kopf des Trainers gefordert“ garantiert dem Reporter dabei formaljuristische Unangreifbarkeit, man ist ja schließlich keine „Lügenpresse“! Sitzblockaden vorm Marathontor mit fäkalem Schmähgeschrei Richtung Mannschaftsbus werden ebenfalls gern als filmisches Füllmaterial genutzt. Dass auf diese Weise auch beiläufigen Grobschlächtigkeiten zu Mediathek-Ehren verholfen wird, war NIE Thema. Sanktionen wegen „Diffamierung“? Äh, wie bitte?! Mit Beleidigungen im Fußball gibt es eigentlich nur dann ein Problem, wenn die Parole unleserlich geschrieben oder unverständlich gebrüllt wird. Das führt uns zum nächsten Punkt:
- Die Äußerung von Emotionen ist Kern des Fan-Daseins im Stadion, das bedeutet seit jeher nicht nur Unterstützung, sondern eben auch Verunglimpfung. Was macht den aktuellen Fall dann in den Augen des DFB so besonders sanktionierungswürdig? Die Wucht? Das Ausmaß? Die Mittel? So wird es kolportiert. Es gehört aber nicht viel dazu, den Verweis auf Pyrotechnik im DFB-Text als hinterhergeschoben zu entlarven, auf dass er davon ablenkt, worum es hier vornehmlich gehen dürfte: Die Dortmunder Fans haben sich eines Gesinnungsverbrechens schuldig gemacht! Die Ursache für die breite Ablehnung des Leipziger Bundesliga-Daseins liegt nämlich nicht etwa (wie sonst fast immer) in einer geografischen Nähe der Vereine zueinander oder einer besonderen sportlichen Rivalität, sondern hier wird (zumindest AUCH) eine Systementwicklung als solche massiv kritisiert. Ich wage zu behaupten: Die »Roten Bullen« (Leipzig) allein täten auf Seiten der »Echten Liebe« (Dortmund) zwar auch mit Sicherheit viele und heftige Ablehnungsreaktionen hervorrufen, doch der nun grassierende Hass bringt ein generelles, längst angeschwollenes grundsätzliches Ungemach zum Ausdruck, ein „Da machen wir nicht mehr mit!“ ist immer lauter herauszuhören. Dass der DFB das nicht möchte, ist klar – dass er das nicht offen zugibt, ist ebenso klar.
Zum Modell RB Leipzig ist schon viel gesagt worden, ich möchte kurz meine persönliche Sicht loswerden – vermutlich werde ich einige Fans des BVB nun vor den Kopf stoßen, bevor ich mich danach in die auf sie zielende Schusslinie werfen werde:
[inner_post Jawohl, RB Leipzig ist ein Marketingkonstrukt des Red-Bull-Konzerns ohne sporthistorischen Unterbau, und das bringt durch seine – nennen wir es höflich – „strategische Professionalität“ eine ganz neue Verachtungstiefe für Traditionsvereine mit sich. (Jene hantieren zwar ebenso mit DAX-Seilschaften und Merchandising, sehen sich dahingehend jedoch als weniger resolut und mit mehr gewachsenen Rechten ausgestattet.) ABER: Einem RB-Projekt in Leipzig kann ich zumindest sozialpolitisch zugutehalten, dass hier einer fußballerisch brach liegenden, urbanen Traditionsregion neues Leben geschenkt wurde, während andere Plastikclubs oft lediglich Talente und Geld aus dem Umland abziehen und einem das als Standortpflege unterjubeln. Erstklassiger Fußball in Sachsen? Irgendwie fühlt sich das richtig gut an! Was hingegen sich generell NICHT gut anfühlt ist der Umstand, dass zunehmend Fans nicht mehr als Fans angesehen werden, sondern (dem Zeitgeist gemäß) als Kundschaft. Und eine solche Kundschaft hat gefälligst zu konsumieren, zu akzeptieren, sich zu arrangieren. Klassische Fankultur, zu der eben auch das klare Wort gehört, wird (wie so vieles in unserer Zeit) noch als Folklore geduldet, aber strikt reglementiert. „Weltoffenheit“ – diese aus der Politik allbekannte Verneblungspille ist eine im Fußball selbst für die dümmste Nuss erkennbare Chiffre für Trikotverkaufsförderung in Singapur. „Wir können uns den Märkten nicht verschließen“, sagt Karl-Heinz Rummenigge. Da erlaube ich mir, Rudi Völler zu zitieren: „Hier wird der Fußball mit Füßen getreten!“
So sehr ich als Libertärer die Gesetze des Marktes anerkenne und zuweilen auch beschwöre, wenn ideologische Subventionitis eine faire Preisbildung zunichte macht, so sehr sehe ich doch als Fan des Fußballs dessen Besonderheit in Gefahr und auf dem Altar des globalen Konsums zum Schlachten preisgegeben. RB Leipzig ist dabei aus meiner Sicht weniger das Problem, als das Reinpressen des gesamten Fußballsports in ein gefälliges Korsett, aus welchem heraus die richtigen politischen Parolen sehr wohl krakelt werden dürfen, Unliebsamkeiten aber bitteschön nicht mehr. Die Richtlinienkompetenz kommt dabei von oben, logisch. Wie schön doch das Wort „Kontrollausschuss“ in diesem Zusammenhang klingt, oder?
Es heißt (auch in der Politik) immer: „Man muss anständig und höflich miteinander diskutieren!“ Aber wie sollen wir das als Fans denn machen, wenn unsere Unmut wächst? Unmut wegen beknackter Anstoßzeiten. Unmut gegen die Allmacht des Kapitals. Auf welchem Wege kann ich denn sonst meine Verachtung auf breiter Front einem verantwortlichen Personenkreis kundtun, außer durch prägnante Schmähungen?
Halten wir fest: Die Sperrung der Südtribüne kam einer Höchststrafe gleich, und die gab’s ausdrücklich NICHT für Krawalle, Sachbeschädigung oder dergleichen aufgebrummt (für die Vorkommnisse außerhalb des Stadions hätte der DFB ohnehin keine Handhabe), nein, die Tribüne wurde gesperrt wegen – so nenne ich es – „Gesinnungsverbrechen“; das steht auf schauderhafte Weise stellvertretend für einen grassierenden gesamtgesellschaftlichen Sanktionierungsmechanismus. „Konkret, Ludger, welche Reaktion nach dem Spiel hieltest DU denn für angemessen?“, hat ein Freund mich gefragt. Puh, das ist echt eine verzwickte Kiste. Auch mir hat das auf der Südtribüne zu Lesende in Gänze nicht gefallen, diese brachiale Drohkulisse. Zudem gehe ich auch nicht so weit, jeden Hassgesang als „Vox Populi“ zu beschönigen und durchzuwirkenden, es gibt Grenzen, klaro. Mmmh… Ich zäume das Pferd mal von der anderen Seite auf:
Ein Totalausschluss der Fanbasis wegen rhetorischen Fehlverhaltens ist m.E. nicht zu rechtfertigen und daher grundfalsch, hier insbesondere! Zudem gehören die Fans von Borussia zu denjenigen, die traditionell auch uneigennützig ihre Stimme erheben. Es waren Dortmunder, die in einem Europacup-Heimspiel vor 20 Jahren stellvertretend um Verzeihung baten, nachdem kurz zuvor bei einem Spiel der deutschen Nationalelf in Polen schlimmste Nazi-Gesänge ertönt waren. Wäre damals nicht erst recht ein Sperren der Tribüne bei einem Spiel der DFB-Elf angebracht gewesen? Die BVB-Anhänger haben das wieder gerade gebogen und ein Zeichen gesetzt. Hut ab! Fans generell mundtot machen zu wollen, wird zu Trotzreaktionen und Ausweichverhalten führen. Ich lehne das ab! Ein „Sorry“ von Herrn Watzke und die 100.000. € Geldstrafe wären im vorliegenden Fall mehr als genug gewesen.
Die BVB-Führung hat die Sperre akzeptiert – auch, weil man nicht in Verdacht geraten wollte, das Verhalten der eigenen Fans gutzuheißen. Das sagt ungemein viel. Der Fußballsport mag zurzeit Geld generieren wie noch nie und daher wirtschaftlich erfolgreich sein, als Kulturgut aber ist er auf keinem guten Weg. Und unsere politische Diskussionskultur ist es ebenfalls nicht. Dazu tragen alle Seiten bei, die „Kontrollausschüsse“ der Republik im Besonderen.