75 Jahre Grundgesetz, das war schon am Dienstag Thema bei Lanz. Und auch an diesem Mittwoch wieder. Die Sendung läuft dabei Gefahr, zur reinen Lobhudelei auf das Grundgesetz zu werden. Wenn etwa eine Juli Zeh, Schriftstellerin und ehrenamtliche Verfassungsrichterin, gesteht, sie freue sich, ein Kind dieser hervorragenden Verfassung zu sein. Oder wenn – mal wieder – das Schreckgespenst AfD an die Wand gemalt wird, das unsere ganze schöne Rechtsstaatlichkeit gefährden, ja sogar abschaffen könnte. Dass die AfD als einzige Partei dafür eintritt, in Deutschland Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild einzuführen, wird unterschlagen und sogar das Gegenteil behauptet. Die AfD, da ist sich die Runde einig, habe nur ein demokratisches Deckmäntelchen, sei im Kern aber ein Feind der Demokratie.
Lanz zitiert Carlo Schmid, einen der Gründungsväter des Grundgesetzes. Der sagte 1948: „Man muss den Mut zur Intoleranz denjenigen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um die Demokratie umzubringen.“ Lanz ist ganz ergriffen. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was für ein Satz! Heute vielleicht aktueller denn je.“
Zeh hingegen kritisiert, was viele Menschen seit einigen Jahren spüren. Dass sich der Diskurskorridor ständig verengt, sich die Fronten verhärten. Wenn eine Meinung nur einmal zu stark abweicht, sei das bereits ein Problem. „Menschen brechen Beziehungen zu langjährigen Freunden ab über Themen wie Corona-Maßnahmen, Ukrainiekrieg etc.“ Zeh bemängelt, dass dies „tiefe Risse in das soziale Gefüge zieht“.
Nur noch 40 Prozent der Deutschen antworten in aktuellen Umfragen, man könne in diesen Zeiten seine Meinung noch offen sagen. Ein erschreckend niedriger Wert. Der niedrigste seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Ach nein, falscher Bezug.
Diese Angst wird in der Sendung zwar angesprochen, doch die Suche nach den Gründen fällt den Beteiligten schwer. Wenn ein Querdenker wie Michael Ballweg ohne Grund enteignet und ein Jahr lang in Untersuchungshaft geworfen wird, wenn Regierungskritiker aus dem Job geworfen, ihnen die Bankkonten gekündigt oder sie öffentlich an den Pranger gestellt werden – gern auch im Bademantel während der Polizeirazzia morgens um 5.30 Uhr samt vorab informierter Antifa-Presse –, dann könnte all dies wirklich vortrefflicher Gesprächsstoff bei der Suche nach Antworten sein.
Zeh hingegen findet es grandios, wenn in Deutschland sogar die Einführung eines Kalifats offen auf Demonstrationen gefordert werden darf. „Da schlägt mein Herz höher, wenn wir das zulassen“, sagt sie, denn es zeige: „Wir können damit umgehen.“ Es sei ein Zeichen der Stärke, wenn wir als Staat etwas „erlauben, was uns eigentlich angreift“.
Die Juristin Nora Markard hingegen sieht gerade im Compact-Verbot „eine ganz problematische Situation“. Die Personen hinter einem Medium pauschal zu einem Verein zu erklären und dann zu verbieten, sei nicht hinnehmbar. Schließlich gelte immer noch Artikel 5 des Grundgesetzes („Eine Zensur findet nicht statt“). „Ich halte das für eine extrem problematische, autoritäre Politik“, sagt Markard. Ohne die Pressefreiheit „sind wir als liberaler Rechtsstaat mit dem Rücken an der Wand“.
Rechtswissenschaftler Kai Ambos kritisiert Nancy Faeser scharf. Über das Verbot entscheide „die Innenministerin in ihrer allumfassenden Macht, wo gerichtlicher Schutz erst ganz spät kommt. Das lädt natürlich zum Missbrauch ein.“ Und er warnt: „Wenn wir sagen, das finden wir bei Compact gut, dann geht es morgen vielleicht gegen eine liberale oder konservative Zeitung. „Liberalität bedeutet, das auszuhalten, was nicht strafbar ist“, sagt Ambos.
Auch das sogenannte „Demokratiefördergesetz“ kommt bei Lanz nicht gut weg. Zeh findet „es unglücklich benannt“, weil der Staat damit ja überhaupt nicht die Demokratie fördere, und Lanz bringt es ungewohnt klar auf den Punkt: „Da fördert eine linke Regierung NGOs (Nicht-Regierungs-Organisiationen, Anm. d. Red.), die gesinnungsmäßig auf ihrer Seite stehen.“
Fazit der Sendung: Es wirkt für den Zuschauer zumindest blutdrucksenkend, wenn bei Lanz ausnahmsweise einmal kein Politiker zu Gast ist. Plötzlich wird in der Sache diskutiert. Mit Scheuklappen zwar und bisweilen wenig Weitblick und deutlichen Erinnerungslücken, aber immerhin frei von hohlen Wahlkampfsprüchen und dumpfer Parteipropaganda.
So lange allerdings die wirklich kritischen Gäste fehlen, so lange fehlt auch der Biss. Deshalb kommt Lanz am Ende auch lediglich zu der dünnen Erkenntnis: „Es ist komplex, aber es ist nicht das schlechteste System, in dem wir leben.“