Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist Sozialist – und als solcher offenbar der Überzeugung, im Besitz der allein selig machenden Wahrheit zu sein. Anders lässt sich das politische Schmierenstück, das Borrell gerade in der Causa der ungarischen Ratspräsidentschaft aufführt, kaum interpretieren.
Hintergrund: Anfang Juli hatte sich der ungarische Regierungschef Viktor Orbán zu einer von ihm so bezeichneten Friedensmission aufgemacht. In kurzer Abfolge traf er unter anderem den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jingping.
Als Vorkämpfer der Anti-Orbán-Front tat und tut sich Borrell besonders hervor – und zwar ausgerechnet, indem er genau das tut, was Orbán vorgeworfen wird: gegen den Willen von EU-Mitgliedsstaaten zu handeln. Denn am Montag verkündete Borrell nach einem Außenminister-Treffen, dass eine im August anstehende Tagung von EU-Außenministern nach seinem Willen nicht wie geplant in Budapest, sondern nun in Brüssel stattfinden soll.
Es ist ein offener Affront gegen Ungarn, das als Inhaber der Ratspräsidentschaft gemäß politischer Tradition das Recht hat, Gastgeber des einmal im Halbjahr stattfindenden informellen Gymnich-Treffens zu sein. Doch mehr noch: Mit seiner Entscheidung stößt Borrell auch 13 weitere EU-Mitgliedsstaaten, darunter große Länder, vor den Kopf, die zwar teils ebenfalls Kritik an Ungarn übten, aber sehr wohl nach Budapest fahren wollten.
„Einige wollten nach Budapest gehen – Business As Usual –, andere wollten ganz klar nicht gehen, und wieder andere sagten: ‚ok, der Hohe Vertreter muss entscheiden’“, referierte Borrell den Ablauf der Diskussion, um dann etwas arrogant anzufügen: „Na klar muss ich entscheiden.“ Wie diese Art des Vorgehens mit der kurz zuvor noch von Borrell selbst beschworenen „Notwendigkeit der Einheit“ in Einklang zu bringen sein soll, bleibt sein Geheimnis.
Wirklich verwunderlich ist das selbstherrliche Vorgehen des „Hohen Beauftragten“ allerdings nicht. Bereits in der vergangenen Woche hatte Borrell ähnlich agiert. Die pro-israelische Rechts-Regierung in Budapest hatte Medienberichten zufolge durch ihre Veto-Macht verhindert, dass die EU eine Rüge gegenüber Israel aussprach, weil sich das israelische Parlament gegen einen Palästinenserstaat positioniert hatte.
Borrell, für seine Israel-Feindschaft bekannt, ließ daraufhin selbst ein verurteilendes Statement veröffentlichen. Darin hieß es, „die Europäische Union“ bedauere die Resolution des israelischen Parlaments. Diese Art des Agierens mag im Einklang mit den europäischen Verträgen stehen, aber einem europäischen Geist souveräner Nationen entspricht sie nicht – eher dem Gestus eines EU-Superstaats, der allenfalls bedingt auf seine Mitgliedsnationen Rücksicht nehmen muss. Borrells Motto lautet jedenfalls offensichtlich: „Die Europäische Union bin ich.“